Von Franz Schneider
Die Leidensgeschichte eines Volkes und wie sie dessen Identität stiftet: die Ukraine, das diesjährige Gastland des Heidelberger Stückemarkts, bescherte zu dessen Abschluss dem Theaterfreund zwei aktuelle Produktionen, die - obwohl thematisch unterschiedlich - dieselbe Botschaft formulierten.
Theater sei eine Möglichkeit, die Kraft für kulturelle und politische Selbstbehauptung zu finden. Ein Prozess, der sich durch das Blut der Geschichte kämpft. Aber der Kampf ist eine Farce. Zumindest in der ersten Hälfte von "Ruhm den Helden", einem Stück des auch in Köln lebenden Autors Pavlo Arie aus Lwiw. Aufgeführt vom Theater Goldenes Kiew unter Regie von Stas Zhyrhov zeigten sich im Zwinger1 nämlich zwei todkranke Kriegsveteranen auf einem schrägen Bett, die um Gottes Willen nicht beieinander liegen wollen. Denn der eine war Rotarmist, der andere jedoch ein "Bandera" ein Kämpfer der UPA, der Ukrainischen Aufstandsarmee., die eine unabhängige Ukraine wollte und erst 1954 zerschlagen wurde.
Das Krankenhaus um das Bett herum ist korrupt, und die Verhältnisse sind kompliziert. Eine der Schwestern ist die Enkelin des Bandera, sie hat kein Geld um die Operation ihres Großvaters zu bezahlen. Eine Lösung wäre ausgerechnet der Enkel des Rotarmisten, ein kühler Jungunternehmer. So weit die Ausgangslage für eine Auseinandersetzung mit der heutigen Ukraine unter Beschäftigung mit ihrer Vergangenheit, dargeboten in zwei Teilen, herrlich komödiantisch im ersten, sentimental und pathetisch im zweiten. Am Ende zeigt einer der Schauspieler den stehend applaudieren Ukrainern im Publikum ihre Flagge, sie haben einander verstanden.
Noch mehr Applaus gab es im Alten Saal für "Der Getreidespeicher" von Natalia Vorozhbyt, eine Aufführung des ersten ukrainischen Kinder- und Jugendtheaters aus Lwiw, bei dem Andrij Prychodko Regie führte, das aber wahrlich kein bloßes Jugendstück ist.
Geht es doch um die Hungersnot in Folge der stalinistischen Zwangskollektivierung. Das Korn fault im Speicher, die Bauern haben nichts zu essen. Ein Agitator mit Ukulele und Pistole drangsaliert sie zudem, ein junger Rotarmist ist im Gefühlskonflikt zwischen einem Bauernmädchen und seinem Kommunismus. Die Lage eskaliert, als sich ein amerikanischer Journalist ankündigt, dem sich das Volk freudig lachend präsentieren soll. Zwar gäbe es dafür auch zu essen, aber erst nachher.
Natürlich kommt der Journalist nicht. Das Elend bleibt, aber im Lauf des Stückes überformt es sich zu einem Mahnmal heroischen Selbstbehauptungswillens. Es endet auf mit Sternen übersäter Bühne, Gesang und Kuchen.