Von Sabine Scheltwort
Auch wer in seinem Leben das Glück hatte, selbst nie fliehen, seine Habseligkeiten in einen Koffer packen und in die Fremde ziehen zu müssen, weiß nach diesem Theaterstück, was es bedeutet, alles aufzugeben und sich unendlich fremd zu fühlen. 14 Monate dauerte die Flucht des Mädchens Mehrnousch Zaeri-Esfahani, fünf Jahre dauerte es, bis ihr Asylantrag genehmigt wurde, weitere elf Jahre, bis sie einen deutschen Pass erhielt, und noch zehn Jahre mehr, bis sie sich entschloss, ihre Geschichte aufzuschreiben.
Im iranischen Isfahan hatte die wohlhabende Familie im Haus mit Garten und Pool gelebt. Dort hatte Mehrnousch (Anouk Wagener) ihre langen Haare zum Zopf geflochten und hübsche Kleider getragen, ihr Bruder Mehrdad (Mehmet Ali Berber) den Moonwalk von Michael Jackson perfekt imitiert und davon geträumt, Schokoladenfabrikant zu werden - bis nach der Revolution Chomeneis Sittenwächter all das verboten. Als dann noch verkündet wurde, dass 15-jährige Jungen an die Front des Irak-Kriegs geschickt würden, entschloss sich die Familie zu gehen.
Zurück ließen sie die verhasste Schuluniform, aber auch ihre Freunde, ihre Großeltern, ihre Katze, ihre Spielsachen. In Istanbul saß die Familie erst einmal fest: geduldet, aber nicht gewollt. Der Vater (Massoud Baygan) darf nicht arbeiten, die Kinder dürfen nicht in die Schule, Ratten laufen durch das dreckige Viertel, die Mutter (Felicity Grist) wünscht sich, sie wären nie geflohen.
Hoffnung auf Änderung ist nicht in Sicht, die Ausweglosigkeit spiegelt sich in den Dialogschleifen. Währenddessen lernen die Kinder auf der Straße Türkisch, angeln im Bosporus und glauben, sie hätten eine neue Heimat gefunden. Plötzlich aber heißt es: sofort Koffer packen. Mit einem 30-Stunden-Visum geht es nach Ost-Berlin, von dort nach West-Berlin, anschließend in verschiedene Flüchtlingsheime.
Karoline Felsmann, Dramaturgin am Jungen Theater Heidelberg, ist das Kunststück gelungen, aus Mehrnousch Zaeris Buch ein ebenso komisches wie trauriges Stück zu machen, das seinen schweren Inhalt mit Leichtigkeit transportiert. Der Inszenierung Franziska-Theresa Schütz' ist anzumerken, dass dieser Stoff sie besonders berührt hat. Auch sie war erst zehn Jahre alt, als ihre Familie von Ost- nach West-Deutschland flüchtete. Obwohl ihr erspart blieb, sich in einer neuen Sprache zurechtfinden zu müssen, fühlte sie sich wie Mehrnousch fremd, missverstanden und allein. So gelingen ihr berührende Bilder, wenn die Familie immer wieder aufbrechen muss oder sich bizarren Situationen, wie dem stempelnden Bürokraten (Peter Lindhorst, in weiteren Rollen auch Katze, Taxifahrer usw.) ausgesetzt sieht.
Als Requisiten dienen weiße Plastikkanister, die überhastet ergriffen und mitgeschleppt werden - immer entmutigter nach jedem neuen Aufbruch ins Ungewisse, aber nie ganz ohne Hoffnung, es könne sich lohnen, sie zu sortieren und in Reih und Glied aufzustellen, um ein wenig Heimeligkeit in der unheimeligen Fremde zu verbreiten.
Schütz inszeniert "Weil wir kein Deutsch konnten" nicht mit dem moralischen Zeigefinger, sondern mit einer Prise Ironie, wenn Schattenmenschen die Kinder in breitestem Kurpfälzisch für ihre mangelnden Deutsch-Kenntnisse tadeln - "gell, verschtescht mich nich" - und wieder dahin zurückschicken wollen, wo sie hergekommen sind.
Dabei sind die Zaeris Vorzeige-Emigranten: Der Vater, ein gebildeter Mann, fordert seine Familie schon auf dem Weg nach Berlin auf, Deutsch zu lernen. Doch immer wieder haben sie den Eindruck, nicht willkommen zu sein in diesem Land. Auf poetisch leise Art unterstreichen die elf Bühnenbilder von Mehrnouschs Bruder, dem Zeichner Mehrdad Zaeri, die wie Vorhänge auf- und wieder zugezogen werden, die Gefühle dieser unfreiwilligen Reise: Ein zähnefletschendes Tier ist zu sehen, als die Revolutionswächter die Familie bedrohen, oder ein riesiger Wal, als sie in Istanbul gestrandet sind.
Zum Glück können die Zaeris auch immer wieder staunen, fluchen und kichern über alles, was sie nicht kennen: etwa den Berliner Taxifahrer, der sie und ihr gesammeltes Gepäck nicht mitnehmen will, solange nicht alle angeschnallt sind, wo doch in Isfahan 14 Kinder in ein Auto passen. Oder den Staubsaugervertreter, einen der ersten willkommen geheißenen Besucher in Heidelberg, der ihren Teppich dreckig macht, um ihn dann nur halb zu säubern, als er feststellt, dass sie als Asylbewerber kein Bargeld besitzen: "Weil wir kein Deutsch konnten" ist ein unbedingt empfehlenswertes Stück zum Lachen und zum Weinen für alle Kinder und Jugendlichen ab 10 Jahren, ganz gleich welcher Herkunft.
Info: Nächste Aufführungen: 18., 19. Februar, 11., 12., 15.-17. März.