Von Heribert Vogt
Heidelberg - ein Faszinosum aus Natur, Geschichte und Kultur, das viele Literaten hinriss. Aber wohl kein anderer hat eine so schöne Huldigung komponiert wie Friedrich Hölderlin mit seinem Gedicht "Heidelberg", in dem er die Neckarstadt mit den Worten "Du, der Vaterlandsstädte ländlichschönste" anspricht. Es ist vielleicht sein schönstes Gedicht. Die erste Strophe ist auf einem Gedenkstein in der Hölderlin-Anlage am Heidelberger Philosophenweg wiedergegeben. Der Originalentwurf des Gedichts befindet sich im Kurpfälzischen Museum.
Heute vor 175 Jahren starb Hölderlin (1770-1843), nachdem er die zweite Hälfte seines Lebens wegen schwerer psychischer Krisen im Tübinger Turm oberhalb des Neckars verbracht hatte. Es war vermutlich nicht zuletzt seine extreme Sensibilität, die Hölderlin zu einzigartigen lyrischen Schöpfungen befähigte, welche einen Höhepunkt in der deutschen wie in der gesamten abendländischen Literatur markieren.
Bis in die Gegenwart hinein leuchtet sein Schaffen durch sich selbst. Obwohl es sich weitgehend dem alltäglichen Leben entzieht, ist die Bedeutung des Dichters im gesellschaftlichen Bewusstsein fest verankert. Dabei tritt der jetzige 175. Todestag zurück hinter den 250. Geburtstag, der am 20. März 2020 bevorsteht. Dann will auch das Land Baden-Württemberg den in Lauffen am Neckar geborenen Hölderlin gebührend feiern.
Dafür verkündete das Kunstministerium Theresia Bauers schon 2015 Ausstellungsprojekte etwa des Deutschen Literaturarchivs Marbach und des Hölderlin-Archivs der Württembergischen Landesbibliothek. Und die Universität Tübingen will Veranstaltungen durchführen. Die Stuttgarter CDU-Landtagsfraktion würdigte Hölderlin als einen "der herausragendsten Vertreter des Landes der Dichter und Denker": Der Ehrentag 2020 werde europaweit, wenn nicht sogar weltweit wahrgenommen.
Und in Tübingen wird derzeit der Hölderlinturm saniert, das Museum soll zum 250. Geburtstag wieder öffnen. Bürgermeisterin Christine Arbogast sagte zum Baubeginn: "Der Hölderlinturm ist einer der zentralen Erinnerungsorte der Weltliteratur". Im Jahr 1807 hatte der Schreinermeister Ernst Friedrich Zimmer das Haus erworben. Über seiner Werkstatt im Erdgeschoss stand ihm eine Wohnung zur Verfügung, in die er im gleichen Jahr Hölderlin aufnahm. Bis 1865 blieb das Haus im Besitz der Familie Zimmer.
Anfang 2020 soll der Hölderlinturm mit einem neuen Ausstellungskonzept wieder für das Publikum geöffnet werden. Die Räumlichkeiten werden sich über das Erdgeschoss und die beiden darüber liegenden Stockwerke erstrecken. Die Besucher sollen dazu angeregt werden, den Gründen von Hölderlins Rückzug in den Turm selbst nachzuspüren.
Ein Friedrich-Hölderlin-Preis wird von Universität und Stadt Tübingen (seit 1989 zweijährlich) wie auch von der hessischen Stadt Bad Homburg vor der Höhe (seit 1983 jährlich), wo Hölderlin zeitweise lebte, regelmäßig vergeben. Der Bad Homburger Hölderlin-Preis, seit 2008 mit 20.000 Euro dotiert, hat überregionale Strahlkraft entwickelt. Mit ihm ist ein Förderpreis (7500 Euro) verbunden.
Die Heidelberger Dichterin Hilde Domin erhielt den Hauptpreis 1992, im Jahr 2000 ging er an den Mitinitiator Marcel Reich-Ranicki. Nun wird Daniel Kehlmanns Gesamtwerk mit dem Friedrich-Hölderlin-Preis 2018 gewürdigt. Die Auszeichnung wird am 10. Juni in der Schlosskirche der Stadt überreicht.
Auch für das beim Frankfurter Goethe-Haus entstehende Deutsche Romantik-Museum ist Hölderlin interessant, wie kürzlich eine dortige Veranstaltung deutlich machte. Zwar gilt Hölderlin in den meisten deutschen Literaturgeschichten als Grenzgänger zwischen Klassik und Romantik. Aber aus europäischer Perspektive wird die Romantik so weit gefasst, dass Goethe als wichtigster deutscher Romantiker erscheint und Hölderlin ebenfalls dazugehört.
In seinem Gedicht "Heidelberg" (1800) erfährt er die Neckarstadt als "der Vaterlandsstädte ländlichschönste, so viel ich sah" und möchte sie "Mutter nennen". Er verbindet hier Vaterland und Mutterstadt. Denn Hölderlin ist am Neckar groß geworden: Lauffen ist sein Geburtsort, in Nürtingen hat er gelebt und in Tübingen studiert. Heidelberg hat er mindestens zwei Mal besucht, zuerst am 3. Juni 1788 von Schwetzingen kommend, dann im Juni 1795 von Jena aus.
Über den ersten Aufenthalt berichtete Hölderlin: "Ungefär um Mittag kamen wir in Heidelberg an. Die Stadt gefiel mir außerordentlich wohl. Die Lage ist so schön, als man sich je eine denken kan. Auf beiden Seiten und am Rüken der Stadt steigen steile waldichte Berge empor, und auf diesen steht das alte, ehrwürdige Schloß. … Merkwürdig ist auch die neue Brüke daselbst."
In Hölderlins Heidelberg-Gedicht finden sich die "fröhlichen Gassen" und "duftenden Gärten" der Stadt, aber auch der "flüchtige" Strom, den Hölderlin von der Alten Brücke aus als Sinnbild wahrnimmt: Hier öffnet sich der Odenwald in die Rheinebene, man blickt in die "reizende Ferne" und erhält den Impuls, sich "in die Fluten der Zeit" zu werfen.
Über dem Spannungsfeld zwischen Heimat und Fremde thront die "Burg", die Ruine des Schlosses, die Hölderlin als "schicksalskundig" bezeichnet. Von ihr kann man erfahren, was Geschichte und Schicksal sind. Selbst wenn die Burg "bis auf den Grund" zertrümmert ist, durch Kriege oder Blitzeinschlag, so wird sie doch getragen vom "lebendigen Efeu" und von "freundlichen Wäldern", die das Trauma der Zerstörung bewahren.