Ein Leben für die Krebsforschung

21.04.2022 UPDATE: 22.04.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 18 Sekunden

Von Julia Lauer

Heidelberg. Ein Mausraum des Deutschen Krebsforschungszentrums im Neuenheimer Feld. Im Tierlabor türmen sich reihenweise Käfige mit vier, fünf Tieren. Von allen Seiten ist ein Rascheln zu hören. Wer nähertritt, sieht etwa eine schwarze Maus, die sich schnuppernd auf die Hinterbeine stellt. "Das Tier zeigt Neugierde und damit ein ganz normales Verhalten", kommentiert Annalena Riedasch, promovierte Tierärztin am Zentrum für präklinische Forschung. "Schon ein Tier mit geringer Belastung zeigt dieses Verhalten nicht mehr." Die Maus hat ein Geschwulst oberhalb des Beins, einen bösartigen Tumor, er wächst direkt unter der Haut. "Jeden Tag kommt ein Tierpfleger und schaut sich die Tiere an. Dabei achtet er nicht nur auf das Tumorwachstum, sondern auch auf den Gesamtzustand der Tiere", erläutert die Tierärztin.

Das Leben dieser Maus steht im Dienst der Krebsforschung, so wie das vieler anderer Tiere hier auch. Aktuell hält das Krebsforschungszentrum DKFZ rund 44.300 Mäuse, 500 Ratten, 500 Krallenfrösche und vier Meerschweinchen, die auf zahlreiche Räume verteilt sind. Die Tiere werden zu Versuchen genutzt oder ihnen werden Organe entnommen. Ein Mäuseleben hier dauert bis zu zwei Jahre, manchmal aber auch nur ein paar Wochen. "Das Tier muss die Krankheit nicht bis zum Ende haben", erläutert Prof. Kurt Reifenberg, der das Tierlabor leitet. Das heißt: An ihren Tumoren müssen die Tiere nicht sterben, die Beschäftigten kommen den Krankheiten der Tiere mit Sterbehilfe zuvor. Neben sechs Tierärzten sind im Tierlabor rund 60 Tierpfleger im Einsatz, die die Tiere füttern und täglich in Augenschein nehmen. Und für die Versuche würden stets präzise Abbruchkriterien festgelegt, erklärt Reifenberg.

Anlässlich des internationalen Tags des Versuchstiers hatte das DKFZ am Donnerstag Medienvertreter eingeladen. Nur selten öffnet das Tierlabor seine Türen. In den Räumlichkeiten gelten strenge Hygienevorgaben, dazu gehören Kopfhaube und Überschuhe, Kittel und Mundschutz. Das soll in erster Linie die Tiere schützen, deren Immunsystem deaktiviert ist.

Tierversuche – ein heikles Thema, auch in der biomedizinischen Forschung. Um Erkenntnisse zu solch komplexen Krankheiten wie Krebs zu gewinnen, sind Experimente mit lebenden Tieren jedoch unverzichtbar, argumentieren Wissenschaftler. Dr. Angelika Riemer etwa forscht als Fachärztin für Immunologie an einem therapeutischen Impfstoff bei diagnostizierten HPV-Infektionen, die bei Frauen und Männern Krebs verursachen können. Nach der Diagnose wartet man zunächst ab, ob das Immunsystem eine Infektion erfolgreich bekämpft. "Hier wäre eine alternative Behandlungsstrategie hilfreich", sagt Riemer. Sie will einen Stoff finden, der das Immunsystem zum Abtöten virusinfizierter Zellen bringt. "Das geht nicht in der Petrischale", erklärt Riemer. "Die Immunantworten können nur am lebenden Organismus überprüft werden." Organmodelle, die den Organismus des Menschen auf einem winzigen Chip imitieren und so bisweilen als technische Alternative zu Tierversuchen gelten, taugten hier nicht. "Organe auf Chips sind in anderen Fällen geeignet, aber dieses Forschungsvorhaben ist dafür zu komplex", erklärt die Wissenschaftlerin.

Auch ihr Kollege Prof. Mathias Heikenwälder möchte die Mäuse nicht missen. Der studierte Mikrobiologe forscht dazu, wie Medikamente krebsfördernde Entzündungen, die zum Beispiel aus einer Fettleber resultieren, hemmen und so langfristig vor Leberkrebs schützen. "Wir haben entdeckt, dass bei Mäusen, die eine fettreiche Diät erhalten, vermehrt Blutplättchen in der Leber zu finden sind", erläutert Heikenwälder. Ähnliches treffe auch auf viele Menschen mit Fettleber zu.

Inzwischen habe er mit seinem Team einen Antikörper entwickelt, der auch bei Menschen der Vermehrung entzündungsfördernder Zellen in der Leber entgegenwirkt. Ohne Tierversuche wäre das nicht möglich gewesen. "In alternativen Szenarien wie etwa auf einem Organ-Chip kann man das nicht nachspielen", so Heikenwälder. Er gibt zu bedenken, dass die Einhaltung der Regularien bei Tierversuchen immer aufwändiger werde. "Das geht zu Lasten der Forschung."