Malocher trifft Mimosen

Holger Stanislawski und 1899 Hoffenheim trennen noch Welten, wie die Wutrede nach dem 1:1 gegen Lautern beweist        

07.11.2011 UPDATE: 07.11.2011 13:27 Uhr 2 Minuten, 47 Sekunden
Malocher trifft Mimosen

Holger Stanislawski und 1899 Hoffenheim trennen noch Welten, wie die Wutrede nach dem 1:1 gegen Lautern beweist

 

 

 

 

Ernst Tanner musste die verstörten Journalisten beruhigen. Bis Montag werde sich der Trainer schon wieder gefangen haben, meinte der Manager. Wie ein Vulkan, der Feuer und Lava speit, hatte sich der Zorn von Holger Stanislawski über seine Profis ergossen. Mit einer Leidenschaft, die die Hoffenheimer beim 1:1 gegen den 1. FC Kaiserslautern vermissen ließen, prangerte der Fußballlehrer die Versäumnisse und Fehler an. Eine Wutrede.

 

Stanislawski sprach vom "schlechtesten Spiel in dieser Saison". Er schäumte: "Kaiserslautern war aggressiver, handlungsschneller, präsenter. In allen Belangen überlegen." Er spottete: "Unsere Leistungen sind wie die Lottozahlen. Man weiß nie, was rauskommt." Er giftete: "Manche Dinge, die wir uns vorgenommen haben, sind bis 15.29 Uhr vorhanden, ab 15.30 Uhr sind sie weg." Und er resümierte: "Den Punkt haben wir glücklich gestohlen. Denn wir haben alles, wirklich alles, falsch gemacht."

Dies ging selbst Tom Starke zu weit. Der Torwart, ansonsten ein Freund deutlicher Worte, widersprach: "Hätten wir alles falsch gemacht, hätten wir 4:0 verloren. Das hat der Trainer sicher im Überschwang der Gefühle gesagt." Doch genau deshalb haben sie Stanislawski nach Hoffenheim geholt. Einen Mann voller Emotionen, der dem oft steril wirkenden Verein Leben einhauchen soll. Jetzt stellt sich heraus, dass der Kulturschock nicht darin besteht, dass im Kraichgau die Tankstellen um elf zumachen und man nach zehn nur noch schwer warmes Essen bekommt, sondern dass zwischen dem Malocher vom Kiez und den Mimosen im Fußball-Paradies eine gewaltige Diskrepanz besteht.

Stanislawski fehlt jedes Verständnis, dass seine Spieler nicht "heiß" sind auf den Samstagnachmittag, den "Höhepunkt der Woche". In St. Pauli war alles Schwerstarbeit, in Hoffenheim fällt vieles in den Schoß. Es wird wohl dauern, bis der feurige Fußballlehrer und die schwer entflammbaren Profis kompatibel sind. Tanner hat das Problem erkannt. "Holger ist noch St. Paulianer, wo der Teamgeist über allem stand. Unsere Spieler sind zwar viel besser, aber sie sind Individualisten."

Schon nach den Niederlagen in Stuttgart und Schalke schwang der Trainer die große Keule. Genutzt hat es nichts. Jetzt fragt er voller Sarkasmus: "Soll ich die Spieler in Watte packen, soll ich sie streicheln?" Schwer zu sagen, welche Methode richtig ist, wenn man erst mal drin ist im Teufelskreis von Misserfolg, fehlender Anerkennung und geschwundenem Selbstvertrauen. Nur eines seiner letzten sechs Spiele hat 1899 Hoffenheim gewonnen und in keinem anderen Bundesliga-Stadion fallen weniger Tore als in der Rhein-Neckar-Arena. Dabei zaubern Babel, Obasi und Firmino wie die Weltmeister – im Training.

Man kann Stanislawski verstehen, dass er ausrastet, wenn er erleben muss, wie sehr seine Profis im Ernstfall unter ihren Möglichkeiten bleiben. Tanner sagt, man habe einen guten Mentaltrainer. Bei Babel und Obasi ist das Spielverhalten schon zwanghaft. Sie wollen bei jedem Ballkontakt zeigen, wie toll sie sind – das kann nur schiefgehen. Bei anderen hilft wohl selbst eine lebenslange Therapie bei Dr. Freud nicht weiter. Fabian Johnson und Sebastian Rudy sind, was sie im normalen Leben sympathisch macht, im harten Business aber hinderlich ist: Lieb und leise.

Es fehlen – von Starke abgesehen – Führungsspieler. Es gibt keine Hierarchie. Die Unterschiede verschwinden. Nahezu alle sind austauschbar. Der Konkurrenzkampf lähmt, er beflügelt nicht. Das jedenfalls lassen die Erfolge zu Beginn der Runde vermuten, als sieben, acht Spieler fehlten und die Mannschaft sich von allein aufstellte. "Wer Bundesliga spielt, muss Konkurrenzdruck aushalten können." Stanislawski, der sich selbst gegen Widerstände durchboxen musste, hat wenig Verständnis.

Auch kurios: Als Hoffenheim unvermittelt durch Vedad Ibisevic in Führung ging (33.), war es Stadionsprecher Mike Diehl fast peinlich. "Liebe Fußballfreunde, das kam für alle überraschend, aber egal", sagte er. Es klang wie eine Entschuldigung. Hoch verdient der späte Ausgleich durch Dorge Rostand Kouemaha (73.), auch wenn Starke behauptet, dass es nicht mit rechten Dingen zugegangen sei: "Der Torschütze hätte gar nicht mehr auf dem Platz sein dürfen, weil er mir zuvor in den Allerwertesten getreten hat. Eine klare Tätlichkeit."

Noch ist Hoffenheim Neunter, vier Punkte und drei Plätze vor Lautern. Doch während die Pfälzer mit einem Etat von rund 20 Millionen Euro operieren, schüttet Hoffenheim – aufgrund laufender hoher Verträge – 35 Millionen an Gehältern aus. Da darf man mehr erwarten als Mittelmaß. Bis zur Winterpause kommen die Gegner – von Leverkusen abgesehen – aus der unteren Tabellenhälfte. Doch das ist eher schlecht als gut. Denn nur die Titelanwärter aus München und Dortmund konnten Hoffenheim auf Trab bringen. So gesehen kann man Stanislawskis Ärger verstehen. Der sich übrigens bis gestern noch nicht gelegt hatte. Co-Trainer André Trulsen: "Stani ist tief verletzt."

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