Corona und das neue Schuljahr

Kultusministerin Schopper würde ihr Kind impfen lassen

Die Grünen-Politikerin spricht über Impfungen für Schüler und die Aufgaben in Anbetracht des Schulstarts im September.

23.07.2021 UPDATE: 24.07.2021 06:00 Uhr 6 Minuten, 25 Sekunden
„Es kann aber nicht sein, dass wir Alten Party feiern und die Kinder haben das Nachsehen“, mahnt Schopper die Erwachsenen. Foto: M. Murat

Von Sören S. Sgries

Stuttgart/Heidelberg. Bislang ist Theresa Schopper (60) recht gut in ihr Amt gestartet – was aber auch an den Rahmenbedingungen lag. Seit ihrem Amtsantritt Mitte Mai sinken die Inzidenzen, auch an den Schulen standen die Zeichen auf Lockerung und Entspannung. Jetzt wird der Ton rauer, denn Herbst und Winter geraten in den Blick: Wird es nach den Sommerferien besser laufen als im Herbst 2020? Im Telefoninterview am Freitagmorgen gibt sich Schopper zuversichtlich – und zeigt, selbst Mutter zweier erwachsener Söhne, viel Mitgefühl für die Nöte der Familien.

Frau Schopper, Ihre ersten Sommerferien als Kultusministerin stehen vor der Tür. Gehen Sie da mit gutem Gefühl rein – oder überwiegen die Sorgen?

Grundsätzlich besorgt mich schon, dass wir ansteigende Inzidenzen haben, dass wir am Beginn einer vierten Welle stehen. Auch wenn es schleichend ist. Mit Blick auf das nächste Schuljahr haben wir daher eine Grundbesorgnis, weil es für Kinder noch gar keinen Impfstoff gibt.

In anderen Bundesländern enden die Sommerferien ja früher. Da beobachten Sie genau, was passiert, und passen die Vorgaben dann an?

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In der Tat, es ist ein Vorteil, dass wir die Entwicklung beobachten können, wenn Reiserückkehrer in die Schulen gehen. Das war ja die Erfahrung aus dem letzten Jahr, dass die Pandemie wieder eingeschleppt wurde – obwohl wir bei den Inzidenzen fast schon bei Null waren. Wir sind nun aber auch besser gerüstet als 2020, weil wir unter anderem Tests haben und Lehrkräfte geimpft sind. Das ist ein großer Vorteil. Aber wenn das Infektionsgeschehen tatsächlich durch die Decke schießen sollte – was wir alle nicht hoffen – können auch Maßnahmen wie die Bundesnotbremse entsprechend wieder greifen. Das ist wie eine Wolke, die über uns schwebt.

Aber dank Impfung und Tests hoffen Sie schon, dass dieser Herbst anders werden kann als der Herbst 2020?

Ja. Das sind elementare Sicherheitszäune neben weiteren Sicherheitsmaßnahmen wie Masken oder Hygieneplänen. Wir haben momentan etwa 60 Prozent an Erstimpfungen. Wir gehen bei den Zweitimpfungen auf die 50 Prozent zu. Aber um die Kinder in den Schulen besser zu schützen, müssen wir noch deutlicher nach oben gehen.

Für die Kinder selbst steht erst ab 12 Jahren Impfstoff zur Verfügung, empfohlen ist die Impfung durch die "Ständige Impfkommission" erst ab 16. Der Großteil der Schüler bleibt also ohne Impfschutz.

Das ist richtig. Wir haben von 12 bis 17 Jahren von der Stiko keine generelle Impfempfehlung, weil sie sagen, aufgrund der momentanen Datenlage kann sie eine solche Empfehlung nicht guten Gewissens aussprechen. Deshalb rufen wir vor allem die Eltern und die bisher nicht geimpften Erwachsenen auf, dass sie sich solidarisch zeigen. Die Kinder hatten die letzten anderthalb Jahre sehr viele Einschränkungen. Die Mittelstufen waren fünfeinhalb Monate komplett aus den Schulen. Umso wichtiger ist, dass normaler Unterricht zurückkehrt. Und das begünstigen wir, wenn wir eine Herdenimmunität bei den Erwachsenen mittels Impfungen hinbekommen.

Also gibt es von Ihnen keinen Impfaufruf für Kinder ab 12?

Die Stiko ist kein Club, der bei einem Glas Wein philosophiert. Das sind renommierte Medizinerinnen und Mediziner, die das vor dem fachlichen Hintergrund abwägen. Ich denke, wenn ich persönlich ein Kind in dem Alter hätte, würde ich schon versuchen, es zu impfen. Aber das ist eine individuelle Entscheidung, die jede Familie für sich und nach Rücksprache mit dem Haus- oder Kinderarzt treffen muss.

In der Vorwoche hatte ja ein Satz von Ihnen für Aufregung gesorgt, der so klang, als würden Sie Corona-Infektionen bei Kindern als Erkältung abtun, die mit "einem Packen Taschentüchern" auskuriert sei. Können Sie das nochmal einordnen?

Ganz im Gegenteil. Ich nehme Corona sehr ernst, das hatte ich auf der Pressekonferenz auch so gesagt. Es ging um die Krankheitsverläufe. Ich tausche mich dazu auch regelmäßig mit Wissenschaftlern aus. Momentan gehen wir, Gott sei Dank, auch bei der Delta-Variante davon aus, dass die Verläufe eher leicht sind. Wir blicken dennoch genau nach England oder Israel, um die dortigen Erfahrungen mit der Delta-Variante und Long-Covid sowie die wissenschaftlichen Erkenntnisse in unsere Überlegungen einzubeziehen.

Also stehen Eltern gerade in der schwierigen Abwägung erst einmal alleine da zwischen einer nicht empfohlenen Impfung und einer vermutlich für Kinder nicht so gefährlichen Krankheit?

Das wird sicherlich zu Diskussionen zwischen Eltern und Kindern führen. Ich höre auch, dass Jugendliche durchaus die Impfung wollen, weil sie damit ein Stück weit Normalität und normales Leben wieder für sich sehen. Sie wollen ja miteinander feiern, zusammen abhängen. Die Haltung der Eltern ist da ja oftmals nur die Zweitmeinung.

Wie sieht‘s denn im Lehrkörper aus: Sind Lehrerinnen und Lehrer überwiegend geimpft?

Wir wissen es ehrlicherweise nicht. Datenschutzrechtlich wird das nicht erfasst. Aber es wird natürlich in den Lehrerzimmern über die Impfungen geredet, über Impftermine, über Astrazeneca, Biontech, Moderna. Und da haben wir aus den Lehrerverbänden die Rückmeldung, dass die Impfungen bei den Lehrkräften immens gut angenommen worden seien. Wir gehen also davon aus, dass Lehrkräfte zum Großteil vollständig geimpft sind. Übrigens auch Erzieherinnen und Erzieher.

Ein paar besondere Sicherheitsmaßnahmen haben Sie doch geplant nach den Ferien. Zum Beispiel die zweiwöchige Maskenpflicht. Muss das nicht doch dauerhaft sein?

Das hängt ja vom Infektionsgeschehen ab. Momentan haben wir die Maskenpflicht bei einer Inzidenz von über 35. Nach den Ferien gilt sie unabhängig von der Inzidenz in den ersten zwei Schulwochen. Wenn die Kennzahlen stark steigen sollten, werden Sicherheitsmaßnahmen wie die Maskenpflicht gewiss wieder greifen. Es müssen dann keine FFP2-Masken mehr sein, medizinische Masken sind laut den Fachleuten ausreichend.

Das Testkonzept bleibt wie gehabt: Zwei Tests pro Woche?

Ja. Zweimal die Woche zu testen ist ein probates Mittel, um zu erkennen, wie das Infektionsgeschehen innerhalb der Schülerschaft ist, und relativ schnell zu reagieren, falls ein Fall auftritt. Momentan sind wir an den Schulen nicht mit einem großen Infektionsgeschehen geplagt: Wir haben 4500 Schulen in Baden-Württemberg. Und wir hatten am Donnerstag an 108 Schulen Fälle und es waren rund 45 Klassen aus dem Unterricht herausgenommen, insgesamt gibt es 67.500.

Viele Eltern und Lehrerverbände hätten gerne als zusätzliche Absicherung mobile Luftfiltergeräte in den Klassenzimmern. Warum zeigt sich die Landesregierung davon so wenig angetan?

Wir haben letztes Jahr den Schulträgern 40 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Davon konnte man in Digitalisierung oder Raumluft-Maßnahmen investieren. Da wurden viele CO2-Ampeln und auch einige Luftfilter angeschafft. Wenn Luftfilter die "Gamechanger" wären und man damit sicher Schulschließungen vermeiden könnte, dann wäre das überhaupt keine Debatte. Aber sie können nur eine Ergänzung sein. Wir geben nun noch einmal 60 Millionen Euro an die Schulen und 10 Millionen Euro an die Kindergärten – insbesondere für die Klassenzimmer, die nicht gut gelüftet werden können.

Bei allen Maßnahmen, die Sie planen: Dürfen Kinder auch im kommenden Schuljahr zuhause bleiben, wenn die Furcht vor Ansteckungen zu groß ist?

Momentan planen wir, dass wir die Präsenzpflicht wieder normal umsetzen. Wir berücksichtigen dabei aber die Bedürfnisse von Risikogruppen. Es gibt Familien mit vulnerablen Gruppen, bei denen auch eine Impfung nicht möglich war. Da wollen wir es mit einem ärztlichen Attest möglich machen, dass Kinder noch zuhause bleiben können. Wir wollen aber nicht mehr, dass man formlos mitteilen kann, nicht in die Schule zu gehen.

Die Präsenzpflicht gilt im kommenden Schuljahr also wieder.

Ja. Aber mit der Möglichkeit einer ärztlichen Befreiung. Bei gesundheitlichen Risiken sowohl für das Kind als auch für das nahe Umfeld soll es diese Möglichkeit geben.

Kommen wir zu den inhaltlichen Herausforderungen: Können die Lücken im Stoff, die in den letzten anderthalb Jahren entstanden sind, überhaupt aufgeholt werden?

Das IBBW hat in der ersten Pandemiewelle, als die Schulen noch nicht vorbereitet waren, einen Lernrückstand von etwa einem Monat aufgrund der Schulschließungen festgestellt. In das aktuelle Schuljahr sind wir schon mit deutlich besseren digitalen Formaten gegangen. Wir haben Anhaltspunkte, dass bei rund einem Viertel der Schülerinnen und Schüler große Lernlücken vorliegen.

Wie schließen Sie diese?

Unter anderem mit unseren Förderprogrammen. Aktuell läuft bereits "Bridge the gap", hinzu kommen die "Lernbrücken" und die "Sommerschulen" in den Sommerferien. Im neuen Schuljahr startet das große Programm "Lernen mit Rückenwind". Dort werden wir nachsteuern und versuchen, die Lücken zu schließen. Das geschieht dann sowohl im Unterricht als auch mit Partnern von außen. Wir kümmern uns dabei aber auch um den sozial-emotionalen Bereich, um beispielsweise Lernblockaden abzubauen. Daher ist zunächst auch das Ankommen im Schuljahr wichtig, hier helfen zum Beispiel auch Wandertage und andere Exkursionen.

Könnte es langfristig notwendig sein, die Lehrpläne anzupassen an die Lage der Corona-Generationen, die derzeit in den Schulen sind? Es ist ja sehr viel Stoff, der zusammenkommt, wenn man nachholen muss und gleichzeitig regulär im Lehrplan vorangeht.

Wir planen, dass wir in ein Schuljahr mit Präsenzunterricht gehen. Und im Normalfall wird der Stundenplan auf Basis der regulären Stundentafel erstellt. Es besteht aber die Möglichkeit, dass man Unterrichtsstunden vorzieht oder schiebt, um beispielsweise auf deutliche Defizite zu reagieren. Hier haben wir den Spielraum erweitert. Das kann aber nicht generell verordnet werden, schon weil wir aus den Schulen unterschiedliche Rückmeldungen haben, was den Lernstand anbelangt.

Zum Abschluss zu Ihrer persönlichen Lage: Sie sind als Kultusministerin in eine Art "Honeymoon-Phase" gestartet, mit sinkenden Inzidenzen, Entspannung an den Schulen. Dafür bekommen Sie auch persönlich gute Umfragewerte. Wie groß ist die Sorge, dass Sie im Herbst dann doch die Erwartungen enttäuschen müssen?

Ich pflege da keine persönlichen Eitelkeiten. Mich freut Unterstützung, ich weiß aber auch, wie fragil das ist. Wir wissen, dass jede Entscheidung eine vehemente Schar an Gegnerschaft aufbringt, aber auch eine vehemente Schar an Unterstützern. Man muss einen Kompass für sich finden.

Können Sie vermeiden, dass es zwei "Blasen" gibt: Feiernde Erwachsene und vor dem Computer isolierte Kinder?

Es liegt nicht ganz in meiner Hand. Wir tun unser Mögliches, um sicheren Präsenzbetrieb zu gewährleisten, damit die Kinder und Jugendlichen auch das soziale Miteinander an den Schulen leben können. Aber man muss da auch an die Vernunft und an die Verantwortung der Erwachsenen appellieren. Ich bin im April 60 Jahre alt geworden, ich könnte jetzt eine Party nachfeiern. Zumal in meinem Umfeld ein Großteil geimpft ist. Es kann aber nicht sein, dass wir Alten Party feiern und die Kinder haben das Nachsehen.

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