Philippsburg

So lief die Sprengung der AKW-Kühltürme (plus Video/Update)

Seit 6.05 Uhr am Donnerstagmorgen gibt es die markanten Punkte in der Rheinebene nicht mehr

14.05.2020 UPDATE: 14.05.2020 08:04 Uhr 3 Minuten, 25 Sekunden
Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Von Hans-Joachim Of

Philippsburg. "Wir haben Jahrzehnte mit dem Kraftwerk vor unserer Haustüre gelebt, und jetzt gönnt man uns nicht einmal dieses Spektakel", hatte eine enttäuschte Besuchergruppe aus der Region wenige Tage vor der Sprengung der beiden Kühltürme in Philippsburg verkündet. Nach über 40 Jahren Betrieb wurden die symbolträchtigen, für manche Menschen liebgewonnenen Landmarken am Donnerstagmorgen kurz nach 6 Uhr unter Ausschluss der Öffentlichkeit gesprengt. Wegen Corona hatte Kraftwerksbetreiber EnBW das Schauspiel, das wahrscheinlich Zehntausende von Zuschauern angezogen hätte, frühzeitig in entsprechende Bahnen gelenkt und das Gelände rund um die Rheinschanzinsel großräumig abgesperrt.

Innerhalb weniger Sekunden war dann das Spektakel vorbei. Ein akustisches Signal hatte den Zeitpunkt der Sprengung markiert, Donnergrollen und Staubwolke folgten. Dann war Ruhe. Thomas Müller, Projektleiter vor Ort, hatte im Vorfeld von einer sogenannten Fallrichtungssprengung, bei der sich die Staubwolke nach der Sprengung innerhalb weniger Minuten verzogen habe, gesprochen. Da die Wohngebiete diesseits und jenseits des Rheins weit weg waren, musste zuvor auch niemand evakuiert werden, zumal auch keine Druckwelle entstand. "Diese Art der Sprengung ist eine weltweit bewährte Methode", hieß es bei den Experten.

Trotz des frühen Zeitpunkts gab es zahlreiche Menschen, die das Spektakel aus der Ferne beobachteten und ihre Eindrücke im Netz kundtaten. "Nachdem alle Großveranstaltungen bis Ende August abgesagt wurden, war klar, dass es jetzt und ohne Zuschauer, innerhalb eines Zeitfensters von 48 Stunden, passieren musste", erklärte Philippsburgs Bürgermeister Stefan Martus. Nun könne die begonnene Energiewende weiter vorangetrieben werden, zumal der von der EnBW-Tochter TransnetBW konzipierte Konverter innerhalb des Kraftwerksgeländes stehen und als Knotenpunkt für den Stromtransport dienen soll. Das Umspannwerk – Inbetriebnahme ist für 2024 vorgesehen – soll den Gleichstrom, der aus Windparks im Norden kommt, in Wechselstrom umwandeln und ins Stromnetz einspeisen.

"Ich habe die Kühltürme eher als Landmarke, nie als Wahrzeichen der Stadt, gesehen und ein Industriedenkmal brauchten wir nicht", sagte Martus. Die Meinungen der Menschen vor Ort oder die Kommentare im Netz schwankten zwischen Nostalgie und Feierstimmung. Bereits Tage zuvor waren zahlreiche Hobbyfotografen und "Kühlturmgucker" nach Philippsburg aufgebrochen, um "ein letztes Mal" ein Bild oder Selfie zu schießen oder einfach einen Blick auf die Zwillinge – junge Besucher nannten sie sogar "Max und Moritz" - zu werfen. "Ein bischen traurig bin ich schon", ließ Tanja Schweikert aus Waghäusel via Facebook wissen. Für die begeisterte Motorradfahrerin waren die 150 Meter hohen Türme bei den Touren immer wieder Orientierungspunkte aus der Ferne. "Tschüss Wolkenmacher, nun liegst du in Schutt und Asche und wir finden nicht mehr nach Hause", lachte sie ein wenig gequält.

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Klara Albrecht aus Philippsburg hat von ihren "Lieblingen" im Laufe der Jahre über 1000 Bilder geknipst und ist natürlich auch bei der Abschiedstour als Fototouristin vor Ort – auch wenn ihr ein Schnappschuss bei der Explosion nicht vergönnt war. Volker Konrad war zwei Tage zuvor sogar an seinem Geburtstag mit dem Motorroller ("Für ein Abschiedsbild") aus Östringen angereist. Der 58-Jährige findet die Aktion überflüssig und bedauerlich. Karsten Kraus aus Plankstadt arbeitet in Waghäusel und will den Moment "kurz vor Ultimo" mit seinem Handy festhalten. "Ich sah die Türme jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit, nun fehlen sie im Erscheinungsbild Philippsburgs".

Auch Sabine Schreier, Malerin aus Wiesloch, ist traurig: "Seit meiner Kindheit gehörten sie zum Landschaftsbild und ich genoss von den Wieslocher Weinbergen den weiten Blick in die Rheinebene. Zu jeder Tages- und Jahreszeit, in jedem Licht." Für ihre künstlerische Arbeit, wie beim Werk "Flug der Kraniche", spiele die Weite eine wichtige Rolle. "Das Auge soll wandern können, die Gedanken weit weg schweifen. Die Türme werden mir fehlen". Auch ein Mann aus dem österreichischen Kärnten, der in der Nähe arbeitet, hatte den Fotoapparat gezückt, wollte nochmals einen Blick auf die Skyline werfen.

Wenige Stunden nach der Sprengung war das Gelände rund um den Kraftwerkszaun schon wieder zugänglich und zwei Männer aus Ludwigshafen begutachteten den "Schrotthaufen aus Stahlbeton". Jürgen Schmidt, der frühere Bürgermeister aus Philippsburg, ist mit dem Fahrrad gekommen und erklärt. "Die Energiewende war ein Schnellschuss und nicht in aller Konsequenz durchdacht." Der ehemalige Rathauschef, hält "in fünfzig Jahren eine Renaissance der Kernenergie für möglich".

Update: Donnerstag, 14. Mai 2020, 11.49 Uhr


Philippsburg. (dpa) Die Kühltürme des Atomkraftwerks Philippsburg bei Karlsruhe sind Geschichte. Die beiden markanten Bauwerke, die über viele Jahre hinweg in der Region weithin zu sehen waren, wurden am Donnerstag um 06.05 Uhr gesprengt. "Der Abbruch verlief jederzeit sicher", teilte die Betreiberin des Meilers, der Energieversorger EnBW, kurz nach der Sprengung mit. Der genaue Tag und die Uhrzeit der lange geplanten Aktion waren wegen der Beschränkungen durch die Corona-Pandemie im Vorfeld nicht genannt und lediglich ein 48-stündiges Zeitfenster dafür genannt worden. Das Unternehmen hatte größere Menschenansammlungen und damit die Gefahr der Ansteckung für Zuschauer befürchtet.

Die jeweils rund 150 Meter hohen Türme waren im Vorfeld entkernt worden, so dass nur noch die Außenschale aus Beton zum Abbruch anstand. Die Sprengung selbst dauerte nur etwa eine Minute, dann fielen die Bauwerke in sich zusammen. Der Bauschutt, rund 32 500 Tonnen pro Turm, soll möglichst wiederverwertet und zur Aufschüttung des Geländes verwendet werden. Damit ist ein weiteres Kapitel im Zuge des Rückbaus des AKW-Standortes mit den beiden abgeschalteten Blöcken beendet.

Dort, wo die Türme standen, wird ein Gleichstrom-Umspannwerk des Netzbetreibers TransnetBW gebaut. Dieser sogenannte Konverter wird benötigt, um über Hochspannungsleitungen große Mengen Ökostrom aus Norddeutschland in den wirtschaftsstarken Süden Deutschlands zu bringen.

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