Brandrede bei der Feuerwehr
Kommandant Sven Lillig wurde bei Jahreshauptversammlung der Abteilung Stadt scharf kritisiert - Er fehlte das dritte Mal in Folge

Von Philipp Weber
Weinheim. Die Freiwillige Feuerwehr Weinheim hat ein Führungsproblem. Das zeigte der Verlauf der Jahreshauptversammlung der Abteilung Stadt am Samstagabend. In Abwesenheit von Sven Lillig, hauptamtlicher Kommandant der Weinheimer Gesamtwehr, hielt der ehrenamtlich tätige Abteilungsleiter Ralf Mittelbach eine wahre Brandrede.
Er berichtete den 57 stimmberechtigten Aktiven und weiteren Feuerwehrleuten aus Weinheim und der Partnerstadt Eisleben, dass einer seiner beiden Stellvertreter, Sascha Dell, Ende 2019 von seinem Amt zurückgetreten ist. Dazu hat Feuerwehrveteran Rolf Tilger den Wehrausschuss verlassen. Beide hätten vieles angeprangert, nichts erreicht und die Konsequenzen daraus gezogen, so Mittelbach. Dells und Tilgers Funktionen sind bis auf Weiteres vakant. Das hatte Kommandant Lillig aber nicht gehindert, um eine terminliche Verschiebung der Jahreshauptversammlung zu bitten – wegen eines Skiurlaubs, wie mehrere Feuerwehrangehörige betonten. Die Versammlung fand ohne Lillig statt.
Oberbürgermeister Manuel Just und die Ehrengäste aus den Ratsfraktionen von GAL, Freien Wählern, CDU, SPD sowie Die Linke mussten hören, dass Lillig schon das dritte Mal in Folge fehlte. Auch die Abteilungen Lützelsachsen-Hohensachsen und Oberflockenbach mussten ohne den Kommandanten auskommen, so Mittelbach. Erschwerend kommt hinzu, dass Lillig seit seiner endgültigen Ernennung zum Kommandanten im März 2018 mehrere Fortbildungen durchlaufen muss.
"Ehrenamtliche können die Abteilung nur mit viel Zeitaufwand führen", verwies Mittelbach unter anderem auf die Probleme mit der inzwischen beendeten Mammutbaustelle in der Mannheimer Straße. Bis heute funktioniere dort keine Schalttechnik, die Staus an Kreuzungen so rechtzeitig auflöst, dass die Einsatzkräfte im Notfall durchfahren können. Aber es sei ja davon auszugehen, dass Lillig von April an zur Verfügung steht, sagte Mittelbach unter hörbarem Gemurmel. Bis dahin sollen seine Fortbildungen wohl beendet sein.
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Beobachter bemerkten derweil, wie sich OB Just Notizen machte und dabei keine Miene verzog. Denn Mittelbach und seine Kameraden hatten noch mehr zu sagen. So fühlen sich die Ehrenamtlichen auch im eigenen Haus an den Rand gedrängt: Sie mussten ihre Bürofläche, die sie für notwendige Schreibarbeiten nutzten, zugunsten Hauptamtlicher räumen. Die avisierten Ersatzräume in einem benachbarten Wohnhaus hat die Verwaltung bislang nicht freigegeben.
Mindestens ebenso großen Unmut unter den Freiwilligen verursacht, dass die hauptamtliche Führung den ehrenamtlich besetzten Arbeitskreis Fuhrpark nicht ausreichend einbeziehe und fragwürdige Entscheidungen bezüglich der Beschaffung von Fahrzeugen treffe, wie ein junger Feuerwehrangehöriger bemängelte. "Der Sven könnte mehr dazu sagen, aber er ist ja Ski fahren", kritisierte er Kommandant Lillig.
Zu diesem Zeitpunkt war die Stimmung schon nah am Siedepunkt: Das zurückgetretene Ausschussmitglied Tilger war für 50 Jahre Mitgliedschaft in der Freiwilligen Feuerwehr geehrt worden. "Ich war mir nicht sicher, ob ich das annehmen soll. Seit drei Jahren geht es mit der Feuerwehr bergab, und das hat mit einem Kommandanten zu tun, der nie da ist", rief Tilger unter lautem Applaus.
Trotzdem ist Lillig nicht die Ursache aller Probleme: So müssen die Ehrenamtlichen erst einmal die Zeit finden, um Jahr für Jahr die geforderten 40 Übungsstunden zu absolvieren. Wehgetan hat dem ehrenamtlichen Brandschutz auch, dass der Bund die Wehrpflicht und damit auch den Ersatzdienst bei der Feuerwehr abgeschafft hat. Hinzu kommen Beschwerden, die dem Land gelten: etwa in Bezug auf die geringe Zahl an bewilligten Lehrgängen.
Aber auch vom normalen Bürger fühlen sich die Feuerwehrleute zumindest phasenweise im Stich gelassen: Schwere körperliche Angriffe auf Einsatzkräfte waren zwar nicht zu beklagen. Aber es habe durchaus Situationen gegeben, in denen nicht viel dazu fehlte, so Mittelbach (weiterer Bericht folgt).
Wie viel die Ehrenamtlichen "wegschaffen", zeigte die Statistik, die Daniel Paradiso verlas: Allein die Abteilung Stadt war mit 665 Einsätzen im vergangenen Jahr noch stärker gefordert als 2018 (650 Einsätze). Den Löwenanteil stellten die 245 technischen Hilfeleistungen, dazu waren 123 Notfall-Einsätze zu verzeichnen, 102 Mal hatte es gebrannt – etwa im Bereich der Weidsiedlung, wo sich Hitze und fehlende Feuchtigkeit höchst negativ bemerkbar machten.
Die Kräfte der Abteilung Stadt retteten 81 Menschen, elf konnten nur noch tot geborgen werden. Vier Wehrangehörige wurden verletzt. Am Ende stehen 5469 Einsatzstunden, bei Übungen und Dienstveranstaltungen kamen weitere 4172 Stunden dazu.
Dass sich bei der Feuerwehr nicht nur Dramen abspielen, zeigten die lebhaft vorgetragenen Berichte der Jugendlichen und Kinder aus der 60 Mitglieder zählenden Jugendfeuerwehr. Auch stimmungsvolle Ausflüge und Feste gehörten zum Feuerwehrjahr 2019. Dennoch hielt David Kunerth, stellvertretender Abteilungskommandant, fest, dass es eines der verlustreichsten Jahre der Weinheimer Wehr war. Der viel zu früh verstorbene Ex-Kommandant Reinhold Albrecht wird bis heute schmerzlich vermisst – nicht nur als Mensch.