Von Russland auf den chinesischen Markt
Der aus dem Odenwald stammende Dürr ist mittlerweile einer der größten Milchproduzenten weltweit

Ein sogenanntes Melkkarussell der Ekosem-Gruppe in Russland. Firmenbild
Von Harald Berlinghof
Walldorf. Die Milchkühe dürfen Karussell fahren, leben in großen Laufställen mit Einzelzimmer und haben Freiflächen, die sie beweiden dürfen. Im Karussell werden sie gemolken, in den Ställen stehen den Kühen einzelne Boxen als Ruhezonen zur Verfügung und draußen warten auf die Kühe der Ekosem Agrar AG im Sommer grüne Weiden. Das klingt nach einem gelebten Rinderleben.
Die 77.500 Milchkühe und mindestens noch einmal so viele Jungtiere leben an neun russischen Standorten. Vor sechs Jahren war Ekosem Agrar noch der fünftgrößte Milchproduktionsbetrieb in Putins Reich, heute ist man mit Abstand der größte in Russland. "Und inzwischen der fünftgrößte auf der Welt", so Ekosem Gründer Stefan Dürr. In Russland produziert das Unternehmen knapp 500.000 Tonnen Rohmilch im Jahr und damit doppelt so viel wie die Nummer 2 auf dem Markt. Trotzdem ist das nur ein nationaler Marktanteil von gut drei Prozent. Wenn der mit Abstand vorn liegende Marktführer nur drei Prozent Anteil auf die Waage bringt, dann zeigt das, wie stark der Milchmarkt in Russland zersplittert ist. Weltweit liegen vor der Ekosem Agrar nur noch zwei chinesische und zwei US-amerikanische Milchproduzenten. "Aber es könnte sein, dass wir die Nummer vier bald knacken," erklärt der Firmenchef. Man ist nämlich auf rasantem Wachstumskurs.
Die Geschäftszahlen des abgelaufenen Jahres 2018 sind beeindruckend. Die Umsatzerlöse sind um 37 Prozent auf 240 Millionen Euro gestiegen. Der Gewinn (Ebitda) war um 67 Prozent auf 115 Millionen Euro geklettert, die Milchleistung um 62 Prozent auf 484.000 Tonnen angewachsen. Die landwirtschaftlich genutzte Fläche für den Futtermittelanbau stieg um 57 Prozent auf 504.000 Hektar. Die Gesamtherde wuchs um 42 Prozent auf 133.000 Tiere zum Ende 2018. Ende April 2019 waren es bereits 149.000 Rinder. Das Wachstum ist beeindruckend. Insgesamt beschäftigt Ekosem Agrar in Russland mehr als 12.000 Mitarbeiter. Erst 2002 war das Unternehmen mit seinem Kerngeschäft der Rohmilchproduktion gestartet. Kürzlich wurde die größte Anlage der Ekosem Agrar mit Platz für 6000 Kühe im sibirischen Nowosibirsk eröffnet. Von da ist der chinesische Markt nicht weit und den möchte man noch im laufenden Jahr mit Milchprodukten beliefern. "Der Hunger nach Milchprodukten wächst in China", so Dürr.
Früh zog es den im Odenwald geborenen und auf dem Landgut der Großeltern bei Waldbrunn aufgewachsenen Stefan Dürr nach Russland. Seit 1989 war er dort beruflich tätig. 2002 verknüpfte er dann zwei Leidenschaften miteinander: Russland und Landwirtschaft. Er gründete mit Ekosem in Russland eine erste Milchfarm. Der Hauptsitz mit der Verwaltung der Ekosem Agrar liegt in Walldorf, das operative Geschäft aber in Russland. Dürr verbringt 90 Prozent seiner Zeit in Russland. Die Modernisierung der technisch rückständigen Landwirtschaft in Russland liegt ihm am Herzen und daher versorgt er mit der Ekotechnika GmbH den russischen Markt vor allem mit John-Deere-Landmaschinen aus Mannheim. Die Landmaschinen werden von Ekotechnika auf eigenes Risiko gekauft und dann am russischen Markt weiter verkauft. "Das Landmaschinengeschäft ist auskömmlich, aber nicht sonderlich spannend", meinte dazu der Firmengründer. Von den rund 170 Millionen Umsatz in diesem Bereich fließt ein erheblicher Teil zu John-Deere.
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Die Landwirtschaftssparte erwirtschaftet 70 Prozent des Umsatzes mit Rohmilch um. Als drittes Geschäftsfeld hat man erst kürzlich die Milchverarbeitung mit der Eigenmarke EkoNiva gestartet. Mit den weiterverarbeiteten Milchprodukten baut man die eigene Präsenz an russischen Supermärkten aus. Vor allem die deutschen Ketten Globus und Metro sind bedeutende Abnehmer der EkoNiva-Milchprodukte. Für diese Produkte sind die europäischen Sanktionen gegen Russland wegen der Krim-Annektion sogar eine Chance. "Plötzlich ist mehr Platz im Supermarktregal für Produkte, die wir in Russland herstellen", so Dürr.