"Fridays for Future"-Demo

Sinsheimer Schüler müssen als Strafe Müll sammeln

Schreiben des Kultusministeriums zum Thema "Fridays for Future" löst Empörung aus – "Es muss wehtun, um gehört zu werden"

04.04.2019 UPDATE: 05.04.2019 06:15 Uhr 2 Minuten, 38 Sekunden

Gemeinsam für den Klimaschutz: Knapp 60 Schülerinnen und Schüler der Albert-Schweitzer-Schule haben in Heidelberg für eine bessere Klimapolitik demonstriert. Foto: privat

Von Anjoulih Pawelka

Sinsheim/Kraichgau. Jeden Freitag gehen Schüler in ganz Deutschland auf die Straße. Demonstrieren für besseren Klimaschutz, für sich und für ihre Welt, auf der sie noch eine ganze Weile leben dürfen - vielleicht auch müssen. Doch das Engagement der Bewegung "Fridays for Future" wird nicht nur positiv gesehen. Unlängst hat das Kultusministerium Baden-Württemberg eine Stellungnahme veröffentlicht, in der es heißt, dass es zwar zu begrüßen sei, wenn Schüler demonstrieren, aber bitte nicht während der Unterrichtszeit, da sie somit die Schulpflicht verletzen würden.

Der Brief liegt zahlreichen Schuldirektoren vor, auch Thomas Gißmann vom Wilhelmi-Gymnasium. Er hat dieses Schreiben mit einem persönlichen Hinweis an den Gesamtelternbeirat geschickt. Dieser wiederum hat den Brief an die Elternvertreter der einzelnen Klassen weitergeleitet, mit der Bitte, alle Eltern zu informieren. Doch hier regt sich teilweise Kritik.

In seinem Hinweis schreibt Gißmann zwar, dass er Verständnis für das Engagement der Schüler für den Klimaschutz habe, weist aber darauf hin, dass die Teilnahme an einer Demonstration laut Kultusministerium nicht als Entschuldigungsgrund akzeptiert werden kann. Gißmann zitiert den im Schreiben des Kultusministeriums genannten Paragrafen. Darin heißt es: "Versäumt ein Schüler unentschuldigt die Anfertigung einer schriftlichen Arbeit, wird die Note ungenügend erteilt."

Gißmann geht davon aus, dass es auch am Wilhelmi-Gymnasium Schüler gibt, die demonstrieren. Den Brief habe er verschickt, damit die Schüler eine Orientierung hätten und nicht "ins offene Messer" liefen, sagt der Schulleiter auf Nachfrage. Wenn sich ein Schüler krankmelde, sei das kein Problem. Gißmann könne aber die Teilnahme an einer Demonstration nicht als Entschuldigung gelten lassen. Bisher sei das jedoch noch nicht passiert.

Auch interessant
"Fridays for Future"-Demo: Mehr als 2500 Menschen demonstrierten in Heidelberg (Update, plus Fotogalerie)
Baden-Württemberg: Klimademos müssen nicht während Schulzeit sein, sagt Kultusministerin
Edingen-Neckarhausen: Pestalozzi-Grundschüler beteiligten sich mit eigener Demo an "Fridays for Future"

Das Thema Klimaschutz versuche man aber auch in der Schule aufzugreifen, sagt der Schulleiter. So hätte es zum Beispiel eine Demonstration am Wilhelmi-Gymnasium gegeben. Organisiert von Oberstufenschülern, hätten die Jugendlichen in der Pause demonstrieren können.

"Eine Schülerdemonstration nur in der Freizeit gut zu heißen, ist ein Witz, entsprechend wäre ein Aufruf der Arbeitgeberverbände an Streikwillige in einem Tarifkonflikt zu werten, doch bitte nur in der arbeitsfreien Zeit zu streiken", sagt Markus Leonhardt. Seine Frau ist Elternvertreterin am Wilhelmi. Daher habe er den Brief von Thomas Gißmann auch gelesen.

Für den Schulleiter hat Leonhardt Verständnis. Dieser hätte nichts anderes machen können. Hätte Gißmann sich gegen das Schreiben des Kultusministeriums gewendet, hätte das disziplinarische Folgen gehabt, ist sich Leonhardt sicher.

Viel mehr ärgert er sich über die Stellungnahme der Kultusministerin. "Die Schüler verdienen unsere Unterstützung und unseren Rückhalt." Es müsse wehtun, um gehört zu werden.

Doch hat dieser Brief wirkliche Auswirkungen auf die Schüler und deren Entscheidung, ob sie demonstrieren oder nicht? Den meisten Schulen in der Umgebung ist nicht bekannt, dass ihre Schüler demonstrieren gehen. Lediglich Oliver Frank, der Schulleiter der Albert-Schweitzer-Schule, weiß, dass fast die ganze zwölfte Jahrgangsstufe demonstrieren war.

Juliette Subileau ist eine von ihnen. Sie hat zusammen mit Nina Warnecke organisiert, dass knapp 60 Schüler der Albert-Schweitzer-Schule bei einer "Fridays for Future"-Demonstration in Heidelberg waren. Eine Stuttgarter Freundin habe ihr begeistert von den dortigen Demos erzählt. Subileau wollte ein Teil davon sein und beschloss selbst aktiv zu werden.

Irgendwann stellte sich heraus, dass auch andere aus ihrer Klasse mit dem Gedanken spielten, sich zu engagieren. "Als Gruppe hat man weniger Angst vor den Konsequenzen", sagt die 17-Jährige. Außerdem hätten Jugendliche oft gar nicht die Chance, etwas zu bewegen, fügt Jule Kralik hinzu. "Wenn man die Möglichkeit hat, sollte man das nutzen."

Also hat die Jahrgangsstufe teilweise im Unterricht Plakate gebastelt und ist zum Demonstrieren nach Heidelberg gefahren. Die Lehrer hätten davon gewusst, sagt Paul Fuhr. Man habe sie informiert, "damit es fair ist", und sie nicht umsonst in den Unterricht kommen, erzählt der 18-Jährige, nicht ohne zu betonen, dass die Schüler das nicht hätten machen müssen.

Eine Strafe gab es trotzdem. Als Konsequenz müssen die Demonstranten demnächst rund um das Schulzentrum Müll sammeln. "Es gibt Schlimmeres", sagt Paul Fuhr. Vom Demonstrieren hält sie das aber nicht ab. Auf der nächsten Demo im Mai wollen die Jugendlichen wieder dabei sein.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.