Mit dem Tonstudio verwirklichte Christian Stader einen Traum
Es ist das größte private Tonstudio Deutschlands. Das Musikproduktions-Netzwerk ist ein Ort künstlerischer Freiheit.

Von Armen Hesse
Sandhausen. Über den Schaffensprozess bei einer Musikproduktion sagt Christian Stadt: "Gemeinsam ist man zu Dingen fähig, die man alleine nicht schafft." In vielen Bereichen des Musikgeschäfts sei er tätig gewesen, bevor er 2012 die "Alte Zigarrenfabrik" kaufte und und das gleichnamige Produktionskollektiv gründete. Das Gebäude liegt in einer unscheinbaren Straße im Westen Sandhausens. Wenig deutet darauf hin, dass in dem backsteinernen Gebäude das größte private Tonstudio Deutschlands untergebracht ist.
"Ich habe schon alles gemacht", sagt er. "Die Zigarrenfabrik war das i-Tüpfelchen. Es war ein Traum von mir." Hier lebten sie den Netzwerkgedanken.
Hinter dem Eingangstor, leicht rechts nach in die Einfahrt versetzt, befindet sich ein Seerosenteich, dahinter, etwas erhöht, steht ein Flügel, aus dessen Klangkörper Wildblumen wachsen; wenige Meter davor sind Hängelampen und Sitzgelegenheiten. Links vom Eingang ein Treppenaufgang, oben eine türkisfarbene Eingangstür mit zwölf Klingelschildern und dem Schriftzug "Alte Zigarrenfabrik – Studios".
Namhafte Künstlerinnen und Künstler haben dort ihre Alben aufgenommen und produziert: Die Söhne Mannheims, Beatrice Egli, Tony Marshall, Joris, Frank Farian, Laith Al-Deen, Wallis Bird und Mine gehören dazu. Bei ihrem Konzert im Heidelberger Karlstorbahnhof im Mai erzählte Mine vom Aufenthalt dort, der künstlerischen Freiheit, die ihr der Ort seit ihren Anfängen mit dem ersten Album "Herzverleih" gewährte. Produziert wurde es von Markus Wüst in der "Kleinen Audiowelt".
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Der Flügel erinnert noch an die Ursprünge des Gebäudes nach seiner Nutzung als Tabakfabrik. Zwischendurch sei das es Übernachtungsort für die Elefanten des "Circus Roncalli" gewesen, so Stader. 1980 zog es dann den Tonmeister Teije van Geest und die Cellistin Gisela Reith-van Geest dorthin. Fortan wich der Tabakgeruch den Klängen international renommierter Aufnahmen klassischer Musik und von Jazz-Kompositionen.
2016 übernahm der heute 55-Jährige die Leitung, führte die Regieräume zum Kollektiv "Alte Zigarrenfabrik" zusammen und machte mehr als nur ein Tonstudio daraus. "Musiker können sich einmieten und auf eigenständiger Basis arbeiten." Die Ausrüstung werde geteilt und bei genreübergreifenden Produktionen könnten sie auf die vielfältige Expertise zurückgreifen. "Crossover zwischen Klassik und Jazz zum Beispiel, das braucht ganz unterschiedliche Fähigkeiten."
"Wir sind ein Dinosaurier im Musikgeschäft", beschreibt er die Arbeitsweise. "Die Menschen bei uns kommen aus Liebe zur Musik und für die Freiheiten dort. Das ist es, was sie antreibt." Zwei Aufnahmeräume befinden sich im Gebäude. Dort dürften die Künstler alles selbst machen, aber auch den Austausch suchen.
Stader selbst hat sich aus dem Produktionsgeschäft zurückgezogen. Er wolle das den Jungen überlassen. "Ich komme da nicht mehr mit. Wenn die mit 20 herkommen, so gut wie die sind, war ich noch nie. Da kann ich nur noch mit Erfahrungswerten helfen." Diejenigen, die dort arbeiteten, seien zwischen 19 und 63 Jahren alt.
Der Klang der Musik habe sich sehr verändert, auch die Bedingungen. Musik werde nicht mehr so bewusst gehört und auch selten gekauft. Die Möglichkeiten künstlicher Intelligenz loteten sie derzeit aus. "Einer unserer Produzenten hier hat neulich eine Heldenmusik durch KI generiert, das ist beeindruckend", sagt er. "Ich will, dass die Zigarrenfabrik noch lange bestehen, um den Künstlern genau den künstlerischen Freiraum zu geben."
Aus Tabakfabrik wurde Tonstudio
Wie verbreitet der Tabakanbau in der Region einst war, ist heute kaum noch bekannt. In Sandhausen selbst wurde Mitte des 19. Jahrhunderts die erste Tabakfabrik eröffnet, zum Ende des Jahrhunderts waren es über 30. Für den Anbau bot der sandige Boden ideale Bedingungen, sodass Ende des Jahrhunderts deutschlandweit annähernd 200.000 Betriebe auf etwa 30.000 Hektar Land Tabak anbauten. Der Anbau ist seitdem stark zurückgegangen und wird derzeit von noch etwa 30 Betrieben in Baden weitergeführt.
Das Gebäude, in dem sich heute die "Alte Zigarrenfabrik" in Sandhausen befindet, war einst Domizil der Tabakfabrik von Josef Schönemann, der sie dort im Jahr 1896 eröffnet hatte. Zur Hochzeit der Produktion waren dort rund 130 Mitarbeitende beschäftigt, die bis 1929 Zigarren und Stumpen produzierten. Zwischen 1929 und 1966 war die Fabrik geschlossen, dann wurde sie durch die "Havilla Zigarrenfabriken" wieder in Betrieb genommen, bevor sie drei Jahre später erneut geschlossen und als Lager genutzt wurde.
Dass sich die Fabriken mit ihrem Charme und den großen Räumlichkeiten für Kreatives eignen, zeigt sich auch in Rauenberg, wo Herbert Grönemeyer im "Trick-Studio" Alben aufnahm – ebenfalls ursprünglich eine Zigarrenfabrik.