Hier feilt Produzent Daniel Mudrack am Klang der Musik
Mudrack spricht über seinen Alltag im ständigen Austausch. Eine Pause von der Musik brauche er nie.

Von Armen Hesse
Sandhausen. Morgens um neun Uhr trägt Daniel Mudrack seine Ausrüstung durch den Hintereingang der "Alten Zigarrenfabrik" in das Gebäude. Vorbei an Lautsprechern, Kabeln und Stativen führt ein Gang in einen großen Raum: Holzboden, trockene Akustik. "Das hier ist einer der Aufnahmeräume, der kleinere", sagt er. Ein anderer Gang führt in den deutlich größeren zweiten Aufnahmeraum.
"Hier haben wir uns an den Abbey Road Studios orientiert", erklärt Mudrack. Hinten steht eine leere Kabine, überdacht und mit drei Wänden, nach vorne offen; das habe man sich beim berühmten Londoner Tonstudio, in dem beispielsweise die Beatles ihre Alben produzierten, abgeschaut.
In der Kabine stehe üblicherweise ein Schlagzeug. "Der Klang bleibt kompakt, verliert sich nicht nach hinten, sondern geht nur nach vorne in den Raum. So haben sie das damals in den berühmten Londoner Studios gemacht – eine Revolution."
Aufnahmeräume, fährt er fort, würden wegen der Bewegung der Schallwellen großzügig gestaltet. Die Abstände zwischen den Musikinstrumenten gäben den Ausschlag, wie sauber der Klang am Ende sei. Auch wenn sich das meistens durch Nachbearbeitung bereinigen lasse.
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"Am Ende ist es Physik", erklärt er die sogenannte Übersprechung. "Man kann genau berechnen, wie der Klang welches Instruments sich durch den Raum bewegt und sich mit den anderen Instrumenten oder Stimmen überschneidet. Abhängig davon lassen sich die nötigen Abstände bestimmen. Schlagzeug immer ganz hinten, Gesang immer ganz vorne."
Mudrack ist Musikproduzent und strahlt Begeisterung aus, wenn er davon spricht. "Es ist ein Beruf, den man aus Leidenschaft macht." Seine Basis ist die "Alte Zigarrenfabrik" in Sandhausen. Dort ist er seit kurz vor Beginn der Pandemie. 2019 habe er die Möglichkeit bekommen, einen eigenen Regieraum anzumieten, aber auf selbstständiger Basis zu arbeiten.

Dort findet in einem Tonstudio die eigentliche Arbeit nach der Aufnahme statt: Tonspuren werden zusammengeführt und gemischt, der Klang eines Stücks oder Albums entsteht, die Aufnahme wird bereinigt und am Ende steht die Musik, so wie sie aus den Lautsprechern erklingen soll. Glück habe er da gehabt, so Mudrack, es sei ein Raum frei geworden und weil er dort schon länger regelmäßig tätig gewesen sei, hätte sich das ergeben.
Der Inhaber des Gebäudes ist der Musikproduzent Christian Stader. Er gründete das Label "Alte Zigarrenfabrik", nachdem er 2012 das bereits bestehende Aufnahmestudio von Teije van Geest abgekauft und sich selbst einen Traum verwirklicht hatte: ein Kollektiv aus Musikproduzierenden unterschiedlicher künstlerischer Hintergründe, vom selbstgelernten Produzenten bis zum diplomierten Tonmeister und Toningenieur.
Er selbst komme von einem Jazz-Hintergrund, erzählt Mudrack. "Das ist auch nie weggegangen und inzwischen erkenne ich die Einflüsse des Jazz überall und bin dankbar, dass ich mich dem ausgesetzt habe."
Mudrack ist Jahrgang 1983. In seiner Jugend habe er begonnen, sich für die Musikproduktion zu interessieren. Zunächst habe er an der Pop-Akademie in Mannheim Schlagzeug studiert. "Die Musikproduktion hat mich nicht losgelassen. Ich wollte noch einmal im Detail wissen, wie das funktioniert, es fundierter lernen." Also habe er ein zweites Studium angeschlossen. Viele hätten ihn gefragt, warum – er selbst habe sich diese Frage nicht gestellt.
Nach dem Studium arbeitete erzunächst als Musiklehrer. "Das Pädagogische war spannend, da habe ich mich reingearbeitet", spricht er von dieser Zeit. "Wenn man sich aber so für die Musik begeistert, merkt man irgendwann, dass man an die Grenzen dessen stößt, was man eigentlich machen möchte."
Das andere Extrem habe er auch erleben dürfen, als Mitglied einer Band auf Tour. "Wir haben unerwartet die Möglichkeit bekommen, in den USA bei einem großen Label ein Album aufzunehmen und sogar durch die Staaten zu touren." Das sei eine besondere Zeit gewesen; sie hätten all die Orte besuchen können, an denen ihre großen Vorbilder gewesen seien und von denen sie bisher nur gehört hatten.
Plötzlich sei es nur noch Musik gewesen. "Da bleibt für Familie und andere Interessen überhaupt keine Zeit. Hätten wir das Projekt ausbauen wollen, hätte sich alles darum drehen müssen." Das müsse man wirklich wollen, alles aufgeben, insbesondere im momentanen Musikgeschäft, fährt er fort.
Man könne in Konkurrenz mit den Streaming-Plattformen eigentlich nur dann bestehen, wenn man dem alles unterordne, viel toure. "Bei Konzerten machen Musiker ihr Geld. Früher hat man ein Album produziert und ist damit auf Tour gegangen. Heute geht man auf Tour und produziert dazwischen Alben." Anders lasse sich das nicht finanzieren. Weder Streaming noch Verkäufe würden viel Geld einbringen, selbst bei bekannteren Künstlern.
Inzwischen hat Mudrack das Beste aus beiden Welten. Stader lasse ihnen sehr freie Hand. Alle dort Ansässigen haben jeweils ihre eigenen Regieräume, an die zwei Aufnahmestudios sind zwei große Regien angeschlossen, die vom Kollektiv und Gästen genutzt werden können. Von klassischen Aufnahmen über kleine Orchester, Vokalensembles, Chöre, Schulprojekte, Jazz-Ensembles, Rock-Gruppen, elektronischer Musik und Pop sei alles dabei.
Das Netzwerk biete viele Vorteile. Die Ausrüstung, die jeder mitgebracht habe, stehe allen zur Verfügung. "Wir können damit eigentlich alles machen, was uns in den Sinn kommt." Ein weiterer Vorteil sei, dass man immer Austausch suchen kann. "Wenn man sich mal nicht sicher ist beim Mischen, kann man auch einfach im Regieraum nebenan klopfen und nachfragen." Auch genreübergreifende Projekte könnten so zusammen betreut werden.
"Der Hauptteil meiner Arbeit besteht im Austausch über verschiedene Vorstellungen", sagt Mudrack. "Es ist ein Beruf, bei dem man bereit sein muss, aufeinander einzugehen. Manchmal ist ein Lied eine sehr persönliche Angelegenheit." Das müsse man berücksichtigen.
"Am Ende geht es aber darum, dass das, was aus den Lautsprechern kommt, gut klingt und beim Publikum ankommt." Die Vorstellungen seien da nicht immer kompatibel. Es könne schon vorkommen, dass sie zu unterschiedlich seien. Dann sei es auch besser, an jemand anderen zu verweisen. Auch wenn das selten vorkomme, die meisten Anfragen kämen über Empfehlungen. Dann wüssten die Leute in etwa, was sie erwarten könnten.
"Früher hatte man ein Abspielmedium. Heute gibt es tragbare Lautsprecher, Stereo-Anlagen, Platten sind wieder im Kommen, oder Handys; egal, wo die Musik herkommt, sie muss gut klingen." Das einzuschätzen, brauche viel Erfahrung und eben auch Austausch. Es gehe immer darum, einen Kompromiss zu finden zwischen dem, was die Künstlerinnen und Künstler wollten und dem, was einerseits technisch umsetzbar sei, aber auch dem, was er an eigenen Vorstellungen mitbringe.
Zu Beginn habe er sich zu sehr an die Vorstellungen der Künstler gehalten, sagt er und zu wenig seine eigenen Vorstellungen eingebracht. "Manche Produktionen würde ich so nicht mehr machen, aber das ist ein Lernprozess. So wie die Produktion ein ständiger Austausch ist."
Es sei gut, wenn die Menschen mit Vorstellungen zu ihm kämen, dann hätte man einen Anhaltspunkt. Interessant sei es aber auch, wenn jemand noch mit einem ganz offenen Konzept ankomme. "Dann unterhalten wir uns erst einmal darüber, was für Musik die Person hört, von welchem Hintergrund sie kommt und natürlich auch über meinen." Die Einflüsse lägen längst nicht mehr nur beim Jazz, im Rock-Bereich habe er gearbeitet, auch mit elektronischer Musik und natürlich im Pop-Bereich, aber auch Chöre und Klassisches.
"Vor allem genieße ich es aber, auch einmal alleine im Regieraum zu sitzen und mehrere Stunden oder auch über Tage am Klang eines Stücks oder eines Albums zu feilen und sonst keine Einflüsse von außen zu haben."
Blickt man in seinen Regieraum, glaubt man das gerne. Das eher kleine Zimmer ist in rot-braun gehalten. In der Mitte steht sein Arbeitsplatz, ein Laptop, davor Mischpulte und Lautsprecher, links ein Klavier mit offenem Gehäuse, verteilt in dem Raum sind Pflanzen und ein kleines Sofa steht an der Wand. Weil es keine Arbeit sei, sei er aber auch nie fertig. "Wenn ich den Regieraum verlasse und nach Hause fahre, mache ich mir Musik an, wenn ich irgendwo unterwegs bin, mache ich mir die Kopfhörer rein. Eine Pause von der Musik brauche ich nie."