Gymnasien wollen die Rückkehr zu G9
Das ist der Wunsch vieler Lehrer und Eltern. Künftig würden zusätzliche Räume und Personal benötigt.

Region Heidelberg. (cm/bmi/fhs) Ein Volksantrag und Ratschläge des Bürgerforums legen jetzt der baden-württembergischen Landesregierung nahe, die Schulzeit am Gymnasium wieder zu verlängern. Flächendeckend soll sie statt "G8" wieder neun Schuljahre bis zum Abitur dauern. Was sagen Praktiker des Schulbetriebs in der Region dazu? Die RNZ hat sich an den vier allgemeinbildenden staatlichen Gymnasien rund um Heidelberg umgehört.

> Am Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium in Eppelheim hätten sich die Lehrer weitgehend an das G8-Curriculum gewöhnt, doch "bei den Eltern ist der Wille nach wie vor sehr groß, zu G9 zurückzukehren", erklärt Schulleiter Thomas Becker. Sollten die Rahmenbedingungen stimmen, hält Becker dies "für wünschenswert". Man müsse aber bedenken, dass aktuell die Schulen vom Raumangebot und von der Personalausstattung gar nicht mehr auf G9 eingestellt seien. Es wäre gut, wenn man die Umstellung in einer fünften Klasse beginnend starte, so Becker.
G8 habe gezeigt, dass das eine eingesparte Schuljahr im internationalen Vergleich eigentlich keine Vorteile erbrachte. Auch vor Corona habe sich das 2004 eingeführte G8 nachteilig auf die Absolventen ausgewirkt. Verkürzte Übungszeiten hätten es erschwert, beim Lehrstoff in die Tiefe zu gehen. Der Direktor sieht einen großen Vorteil in der Rückkehr zu G9, auch wenn sich seine Schule einst für G8 beworben hatte. "Es ermöglicht einfach mehr vernetztes und vertiefendes Lernen", so Becker.
Dass nun angedacht sei, etwa pro Landkreis eine G8-Schule beizubehalten, hält Becker durchaus für begrüßenswert. Schon jetzt könnten Kinder auf ein Hochbegabten-Gymnasium gehen. "Es ist gut, wenn man für Kinder jeweils ihrem Entwicklungsstand gemäß unterschiedliche Angebote machen kann", meint er.

> Am Gymnasium in Bammental sieht Schulleiter Benedikt Mancini die Eltern in der großen Mehrheit sich für G9 aussprechen – obwohl es ihre eigenen Kinder wohl nicht mehr betrifft. Bei den Lehrern herrsche ein gemischtes Bild mit leichter Tendenz zu G9. Und auch Mancini ist für eine Abkehr von G8, sieht die ursprünglichen Erwartungen nicht erfüllt: Die wenigsten Abiturienten würden nun früher mit Beruf und Studium beginnen, das Zusatzjahr anders verbringen.
Auch interessant
Und selbst wenn: "Beschleunigung erscheint gar nicht so wünschenswert", meint Mancini. Den in der Gesellschaft wachsenden Effizienzdruck spüre man auch im Schulwesen, wo häufig nicht viel Raum etwa für AG-Unterricht oder das Fördern von persönlicher Reife bleibe – was der Schulleiter bedauert. G8 und insbesondere auch der überarbeitete Bildungsplan 2016 hätten eine starke Verdichtung der Inhalte bewirkt.
"Jeder Unterrichtsausfall führt das System an die Grenzen", sagt Mancini. Wie sollte G9 künftig aussehen? Der 56-Jährige betont: "Von einer Rückkehr kann keine Rede sein, das Ganze hätte nichts mehr mit dem System aus 2003 zu tun." Es wäre auch fatal, einfach nur ein neues Stundenkonzept über den Ist-Zustand zu stülpen. Mancini wünscht sich weniger Hektik und mehr Verlässlichkeit bei den Bildungsplänen. Zudem müsste man Klarheit schaffen, ob der Unterricht kompetenzorientiert oder stärker auf jedes Fach inhaltsbezogen ausgerichtet werden solle.
"Insbesondere Informatik sollte im Zuge der Digitalisierung mehr Raum einnehmen und im Bereich Politik und Gemeinschaftskunde sehe ich ein großes Defizit", betont Mancini. Auch die Umweltthematik habe sich dramatisch zugespitzt, während der Raum des klassischen Fachs Geografie gekürzt wurde.

> Am Friedrich-Ebert-Gymnasium in Sandhausen erklärt Direktor Alexander Wüst: "Ich habe eine leichte Tendenz zu G9, aber ich sehe auch die Vorteile, wenn man nach acht Jahren die Schule früher verlassen und sich im Leben neu ausrichten kann." An seiner Schule entstünde mit dem zusätzlichen Jahrgang bei G9 der zusätzliche Bedarf an fünf Klassenzimmern.
Was es an Lehrerstunden und Personalbedarf bedeuten würde, kann Wüst nicht abschätzen. Er erwähnt zudem die Vergleichbarkeit des Abiturs zwischen den Bundesländern, die unterschiedlich lange Gymnasialzeiten haben. Bei G8 empfindet Wüst es als nachteilig für die Schüler, dass sie die gleichen Aufgaben lösen müssen, für die in anderen Ländern als in Baden-Württemberg Schüler ein Jahr länger Vorbereitungszeit haben.
Die um ein Jahr längere Gymnasialzeit bei G9 verschaffe Schülern auch wieder mehr Zeit zur Persönlichkeitsentwicklung; durch weniger Nachmittagsunterricht bleibe mehr Zeit, etwa in Vereinen mitzumachen oder ein Musikinstrument zu erlernen.

> Am Max-Born-Gymnasium in Neckargemünd erklärt Direktor Joachim Philipp, dass er schon immer ein Befürworter von G9 sei – so wie auch das Kollegium. "Es ist sinnvoll, dass Jugendliche problemorientiertes, kreatives und kritisches Denken auch noch mit 18 oder 19 Jahren lernen", betont er. "Sie sind danach noch immer früh genug an der Uni."
Auch für Unternehmen sei es wichtig, dass sie reife Persönlichkeiten erhalten – und nicht vor allem junge. G8 führe in der zehnten Klasse zu 36 Unterrichtsstunden pro Woche, was Nachmittagsunterricht an drei Tagen pro Woche bedeute. Es fehle einfach die elfte Klasse als Vorbereitung für die Oberstufe, so Philipp. Der Schulleiter erinnert sich, dass es auch in Neckargemünd vor einigen Jahren die Forderung nach G9 gegeben habe.
Mit der Einführung eines "Sieben-Stunden-Modells" ohne Nachmittagsunterricht bis zur zehnten Klasse sei diese Diskussion aber zu Ende gewesen. So könnten Kinder ihren Hobbys nachgehen. Überhaupt sei "weniger verdichtete Zeit" wichtig. Ja, eine Jahrgangsstufe mehr koste mehr Geld für Personal und Räume. "Aber das zahlt sich aus", glaubt Philipp, der für einen Aufbau von G9 ab einer kommenden fünften Klasse plädiert. Er könnte sich aber auch eine G8-Klasse vorstellen, die den Weg zum Abitur im bisherigen Tempo beschreitet.