Kretschmann sieht keine Rückkehr zu "G9 der 1990er-Jahre" (Update)
Land will Modell zur Rückkehr zu neunjährigem Gymnasium erarbeiten.

Von David Nau
Stuttgart. Was da am Dienstagmorgen von der Pressestelle der Landesregierung per Mail an die Journalisten verschickt wird, kommt unscheinbar daher, ist aber nichts anderes als eine Kehrtwende. Eine Kehrtwende in der Frage, wie lange das Gymnasium in Baden-Württemberg dauern soll. Keine 24 Stunden nachdem das Bürgerforum zur Zukunft des Gymnasiums im Medienzentrum des Landtags die Ergebnisse seiner Beratungen vorgestellt und Grün-Schwarz die Rückkehr zu einer modernen Form des neunjährigen Gymnasiums empfohlen hatte, gibt Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) seinen Widerstand gegen eine Rückkehr zu G9 auf.
Man wolle ein neues Modell für ein neunjähriges Gymnasium erarbeiten, heißt es in einem knappen, einseitigen Papier, auf das sich die Spitzen der Koalition am Morgen verständigt haben. Die Landesregierung sei offen für ein neues G9 und starte einen Prozess zur Erarbeitung eines solchen neuen G8/G9-Modells. "Wir werden jetzt keine Schnellschüsse machen oder einfach zum G9 der 1990er-Jahre zurückkehren. Wir werden eine Lösung erarbeiten, die den Anforderungen unserer Zeit gerecht wird und die Empfehlungen des Bürgerforums aufgreift", wird Kretschmann zitiert.
Arg viel genauer wird der Ministerpräsident, der sich immer für eine Beibehaltung von G8 stark gemacht hatte, dann aber im weiteren Verlauf des Tages nicht mehr. Bei der wöchentlichen Pressekonferenz im Landtag bleibt er vage, liest stellenweise die Pressemitteilung vom Morgen wörtlich vor und sagt nur, man gehe in die Richtung eines neuen G9. Bis wann dieses eingeführt werden soll, bleibt offen. Ebenso wie die Fragen, ob es Schülerinnen und Schülern flächendeckend neun Jahre bis zum Abitur ermöglichen soll oder was die Umstellung für andere Schulformen bedeuten würde.
"Wir müssen jetzt erstmal den Aufschlag aufnehmen. Das wird gehörig Zeit und auch Kraft beanspruchen", sagt Kretschmann. Bis Januar soll das Kultusministerium erste Vorschläge zum Verfahren vorlegen. Hoffnung auf ein schnelles, flächendeckendes G9 macht er keine: Er könne sich nur ganz schwer vorstellen, dass die Umstellung auf ein neunjähriges Gymnasium bereits für das kommende Schuljahr möglich wäre, sagt er.
Auch interessant
Erst nach der Kretschmann-Pressekonferenz äußerst sich auch Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) erstmals zu dem neuen Projekt, das ihr erst das Bürgerforum, dann die Koalitionsspitzen aufgetischt haben. Man wolle "die Anforderungen einer Gesellschaft im Wandel angemessen" aufgreifen, so Schopper. Und: "Bei allen weiteren Planungen bleibt es von herausragender Bedeutung, dass wir gerade unsere Jüngsten auf eine erfolgreiche Bildungskarriere vorbereiten. Denn wer schon mit Defiziten in die Grundschule startet, wird auch später kein G9 besuchen."
Auch Kretschmann macht klar: "Diese Koalition konzentriert sich auf die Grundschule und die frühkindliche Bildung in den Kitas." Darüber herrsche Konsens. "Das gilt im Übrigen auch für die Ressourcen." Man wolle bald ein Maßnahmen-Paket für den Zeitraum vor der Einschulung und in der Grundschule vorlegen.
Fraglich ist, was das für die kommenden Landeshaushalte bedeutet. Zwei große Bildungsreformen werden nach einigen Mitteln verlangen – und dass insbesondere die Grünen keine großen Freunde der G9-Rückkehr sind, ist hinlänglich bekannt. Doch nachdem nun auch das Bürgerforum eine Verlängerung des Gymnasiums empfohlen hat, ließ sich der Widerstand wohl nicht mehr aufrechterhalten, obwohl die Koalition eigentlich vereinbart hatte, bei der Bildung keine Strukturdebatten führen zu wollen. Oder wie es Kretschmann formuliert: "Verantwortliche Politik redet den Menschen nicht einfach nach dem Mund. Aber verantwortliche Politik hört auch den Menschen genau zu. Und natürlich kann man wichtige politische Fragen nicht gegen den Willen einer großen Mehrheit der Bevölkerung durchsetzen."
Kretschmann scheint ein gewisses Déjà-vu zu haben und erinnert daran, dass er direkt nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten mit Stuttgart 21 ein Projekt umsetzen musste, gegen das er jahrelang gekämpft hatte.