Weil Neckargemünd Gebäude verkauft

Fehlende Hortplätze und Absagen sorgen für verzweifelte Eltern

Eine Alternative gibt es bisher nicht. Fast kein künftiger Erstklässler bekommt einen Hortplatz.

25.05.2023 UPDATE: 25.05.2023 06:00 Uhr 3 Minuten, 25 Sekunden
Kinder und Eltern bedauern die Schließung der „Igelgruppe“ in der Hauptstraße 23. Foto: Alex

Von Christoph Moll

Neckargemünd. Die Stadt Neckargemünd darf sich seit wenigen Monaten mit dem Titel "Familienfreundlichste Kommune" in Baden-Württemberg schmücken. Zumindest hat dies eine nicht ganz unumstrittene Untersuchung der Zeitschrift "Kommunal" unter ähnlich großen Städten ergeben. Deutschlandweit landete die Stadt sogar auf Platz zwei.

Doch wie familienfreundlich ist sie wirklich? Unlängst hat die Stadt das Gebäude in der Hauptstraße 23 – bekannt als Altes Grundbuchamt – verkauft, in dem bisher die "Igelgruppe" des Grundschulhorts untergebracht ist. Dadurch fallen im Herbst 20 Plätze weg, was die ohnehin schon schwierige Betreuungssituation noch verschärft. Und bei mehr Eltern für Verzweiflung sorgt.

So zum Beispiel bei Teresa Schoenkaes. Die zweifache Mutter arbeitet 30 Stunden pro Woche und ist deshalb auf einen Betreuungsplatz bis 16 Uhr für ihren sechsjährigen Sohn angewiesen. Dieser wird im Herbst eingeschult. Bereits vor einem Jahr hatte sie sich um einen Platz beworben. "Vor Kurzem habe ich dann zufällig auf dem Spielplatz mitbekommen, dass eine Hortgruppe geschlossen wird", erzählt sie.

Ende April erhielt sie die Absage von der Stadt per E-Mail. "Darin stand, dass mein Sohn auf der Warteliste steht", berichtet die Mutter. "Ich war überrascht, dass keine Alternative angeboten wurde, wie zum Beispiel eine kürzere Betreuung." Auf Nachfrage habe sie nicht einmal erfahren, auf welchem Platz auf der Warteliste ihr Sohn steht.

Inzwischen weiß Teresa Schoenkaes, dass fast kein künftiger Erstklässler einen Hortplatz bekommt. "Es ist bedenklich, dass die Stadt nicht offen informiert", kritisiert sie. "Ich vermisse hier Transparenz." Für ihren Arbeitgeber müsse sie den Platz auf der Warteliste kennen.

Schoenkaes möchte zudem wissen, ob die Stadt mit anderen Trägern gesprochen habe und andere Wege gesucht habe. Sie nennt als Beispiel das "Waldhilsbacher Modell": Im Stadtteil werden Kinder nach der Grundschule im Kindergarten betreut. Personal dafür sei da.

Nadja Gruß ist ebenfalls von der Schließung betroffen – aber auf andere Weise: Ihr siebenjähriger Sohn besucht seit September die erste Klasse und die Igelgruppe des städtischen Horts. "Es ist ein besonderer Ort", betont die Elternbeirätin. Die Räume seien klein und der Garten wunderbar für die Kinder. "Wir sind sehr zufrieden, die Schließung ist ein großer Verlust", findet sie.

Zwar sei die Betreuung der 20 Kinder in anderen Räumen des Horts garantiert worden, doch in zwei Jahren benötigt sie für ihre heute vierjährige Tochter einen Platz. Auch Gruß findet: "Die Stadt hätte vor dem Verkauf Alternativen suchen müssen." Deshalb hat sie mit Teresa Schoenkaes eine Petition im Internet gestartet, die von fast 400 Personen unterzeichnet wurde.

Darin ist von "verheerenden Auswirkungen" für Familien die Rede. "Hohe Lebenshaltungskosten in der Region, Inflation und Fachkräftemangel erfordern oftmals, dass beide Elternteile erwerbstätig sind", heißt es. Auch Kinder, die erst im Jahr 2024 oder 2025 eingeschult werden, seien voraussichtlich von dem "Rückstau" auf der Warteliste betroffen. Auch der ab 2026 geltende Rechtsanspruch auf eine Ganztagesbetreuung helfe wohl nicht. Die Schließung sei ein falsches Signal.

"Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die Familienfreundlichkeit Neckargemünds wird damit systematisch unterwandert", heißt es. "Die Einrichtung eines Co-Working-Spaces in der Villa Menzer ist in den Ohren von Elternteilen, denen die Möglichkeit überhaupt nach 13 Uhr zu arbeiten, genommen wird, blanker Hohn." Fehlende Betreuung zwinge "Mütter an den Herd".

"Die Entscheidung, das Alte Grundbuchamt zu veräußern, steht im Zusammenhang mit unserem Ziel, die städtischen Liegenschaften energetisch zu sanieren, um damit zum Klimaschutz beizutragen", betont Stadtsprecherin Petra Polte. "Das Gebäude weist leider einen sehr hohen Sanierungsstau auf und ist daher eines, dessen Erhalt im städtischen Bestand am unwirtschaftlichsten gewesen wäre."

Mindestens 500.000 Euro hätte man investieren müssen, bei einem solchen historischen Gebäude gegebenenfalls sogar noch deutlich mehr. Daher bestehe schon seit mehr als zehn Jahren der Plan, sich von dem Gebäude zu trennen. Polte nennt die Energiekrise, die notwendigen Gebäudesanierungen und die steigenden Unterhaltungsaufwendungen bei gleichzeitig schlechter Finanzausstattung der Stadt als Gründe.

"Als der Gemeinderat vor wenigen Monaten den Verkauf beschloss, geschah dies unter einer komplett anderen Prämisse: Damals war die Nachfragesituation nach Hortplätzen noch komplett anders, sodass die Bedarfslage einer Gruppenschließung nicht entgegen gestanden hätte", erklärt die Stadtsprecherin. "Inzwischen hat sich die Situation geändert, und es werden verstärkt Betreuungsplätze nachgefragt." Daher arbeite die Stadt gegenwärtig intensiv daran, eine gute Lösung zu finden.

"Wir prüfen verschiedene Standortvarianten", so Polte. "Wir gehen davon aus, dass wir eine passende Lösung hinbekommen werden, die uns in diesem Bereich für die Zukunft gut aufstellt." Es bestehe die "Zuversicht", dass in den nächsten Wochen schon konkrete Alternativen vorgestellt werden können, möglichst zum Beginn des neuen Schuljahres. Diese allerdings vorrangig im Bereich der Kernzeitbetreuung, denn hierfür gebe es eine deutlich längere Warteliste als für die Hortbetreuung.

Die Verwaltung stehe klar zu ihrer Ausrichtung als Schul- und Bildungsstadt. "Dies ist auch daran zu erkennen, dass die Stadt Neckargemünd für die Betreuung der etwa 550 Kinder in Kinderbetreuungseinrichtungen und fast 2000 Schüler in Schulen in städtischer Trägerschaft pro Jahr etwa fünf Millionen Euro aus Haushaltsmitteln nach Landeszuweisungen aufwendet", so Polte. "Bei all diesen Vorgaben ist die Stadt stets darum bemüht, bedarfsgerechte Betreuungsangebote vorzuhalten und nach Möglichkeit auszubauen."

An der Grundschule Neckargemünd gebe es derzeit 60 Plätze in der "Verlässlichen Grundschule", also der Kernzeitbetreuung, sowie 20 Plätze in der "Flexiblen Nachmittagsbetreuung" nach Unterrichtsschluss bis 16 Uhr und 105 Hortplätze mit Betreuungszeit bis 17.30 Uhr. Durch die Schließung der Außengruppe reduziert sich die Zahl der Hortplätze laut Stadt auf 85.

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