Damit NS-Opfer nicht vergessen werden
Schüler recherchieren zur Geschichte der Sinti und Roma zur Zeit des Nationalsozialismus. Eine Kooperation mit dem Dokumentationszentrum.

Von Jonathan Holzwarth
Heidelberg. Wie sehr sie für ihr Projekt brennen, ist Geschichtslehrer Dietmar Schmid und den sechs Schülerinnen und Schülern des Englischen Instituts deutlich anzumerken. Bereits seit September vergangenen Jahres trifft sich die Schülergruppe ein Mal im Monat, um mehr über das Leben der Sinti und Roma zur Zeit des Nationalsozialismus herauszufinden. In Zusammenarbeit mit dem Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma recherchieren und forschen die Elftklässler zu den Lebensgeschichten von zwei außergewöhnlichen Persönlichkeiten, die Opfer von Ausgrenzung und Verfolgung unter den Nationalsozialisten wurden.
Am Ende des Projekts könnte im nächsten Jahr sogar ein Gedächtnisblatt im offiziellen Gedächtnisbuch des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau stehen, erzählt Andreas Pflock vom Dokumentationszentrum für Sinti und Roma. Zunächst aber tüfteln die Jugendlichen an einer neuen Website des Dokuzentrums, auf der die Lebensgeschichten verfolgter Sinti und Roma gesammelt werden sollen. Damit dort auch die 1943 geborene Rita Prigmore und der 1913 geborene Jacob Bamberger einen angemessenen Platz bekommen, durchforsten die Schüler Online-Archive, interviewen Verwandte und sprechen mit den Mitarbeitern des Dokumentationszentrums.
In ihrer Arbeit stoßen die Jugendlichen immer wieder auf Herausforderungen. "Vom Ursprung der historischen Quellen weiß niemand so richtig was", berichtet der 16-jährige Noah, der sich vor allem mit dem Leben von Jacob Bamberger beschäftigt. Das, was bisher über die Geschichte des Sinto bekannt ist, sei eher überschaubar.
Bamberger war aktiver Boxer und wurde in verschiedene Konzentrationslager deportiert, unter anderem nach Dachau. Noch Jahre später kämpfte er mit gesundheitlichen Folgen der grausamen Repressalien wie den Meerwasserversuchen. Er widmete sein Leben nach Kriegsende dem Kampf für Wiedergutmachung und Anerkennung der Verfolgung der Sinti und Roma. Bamberger starb 1989 in Heidelberg und wurde Ehrenvorsitzender des Zentralrats. "Es ist beeindruckend, was die Menschen nach dem Konzentrationslager noch aus ihrem Leben gemacht haben", ist Elftklässler Noah fasziniert.
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Den Jugendlichen geht es vor allem um persönliche Geschichten, nicht einfach nur um Daten und Fakten. "Wir wollen das Menschliche darstellen", erzählt die 16-jährige Schülerin Mia. Auch zu Rita Prigmore forschen die Schüler. Sie ist heute über 80 Jahre alt und lebt nach vielen Jahren in den USA in Würzburg. Die Recherche gestaltet sich in ihrem Fall anders als bei Bamberger. "Von Prigmore existieren viele aufgezeichnete Reden nach dem Krieg", berichtet die 17-jährige Riya. Selbst im Holocaust-Memorial in Washington D.C. sei eine Rede von ihr archiviert.
Außerdem haben die Schüler das große Ziel, Prigmore als Zeitzeugin eines Tages persönlich zu treffen. Nach der Geburt wurde Prigmore mit ihrer Zwillingsschwester für medizinische Experimente der Nationalsozialisten missbraucht. Die Zwillingsschwester starb, Prigmore überlebte. Sie kämpft seither mit den gesundheitlichen Folgen und setzt sich bis ins hohe Alter für Anerkennung und Wiedergutmachung ein.
"Es ist eine Ehre, die Personen stark machen zu dürfen, die viel geleistet haben", meint Elftklässlerin Mia. So könne man gegen das Vergessen vorgehen. Schüler Noah sieht auch eine Verpflichtung. Deutschland habe in der Vergangenheit so große Fehler gemacht, dass es die eigene Geschichte aufarbeiten müsse. Im Dokumentationszentrum der Sinti und Roma gibt es noch viel zu tun. "Es gibt noch unendlich viele nicht aufgearbeitete Geschichten von Sinti und Roma", sagt Andreas Pflock. Er möchte auch in Zukunft mit Schülern kooperieren und die Aufarbeitung für die Gesellschaft öffnen.