Wenn die Heizkosten explodieren und es keinen Ausweg gibt
175 Prozent Preissteigerung und Anschlusszwang für Nahwärme. Dem Betreiber drohte Insolvenz. Kunden hoffen auf Preisbremse.

Von Lukas Werthenbach
Sandhausen. Nicht nur Kunden mit "klassischer" Gasheizung müssen sich auf wesentlich höhere Energiekosten einstellen – auch jene, die mit Nahwärme versorgt werden. So war es auch für einen Sandhäuser aus dem Neubaugebiet Große Mühllach ein Schock, als er kürzlich als Nahwärmekunde über eine Preissteigerung von 175 Prozent informiert wurde. Hinzu kommt, dass für alle Bewohner dieses Neubaugebiets ein Anschlusszwang herrscht: Beim Bau des jeweiligen Hauses beziehungsweise zum Zeitpunkt des Einzugs stand also schon fest, dass eine alternative Heiztechnologie hier nicht infrage kommt. Doch die nun angekündigte Energiepreisbremse dürfte immerhin ein Stück weit für Aufatmen sorgen.
Für das Sandhäuser Neubaugebiet wird die Wärme im Blockheizkraftwerk am Friedrich-Ebert-Gymnasium erzeugt, wie Johannes Schuler als Geschäftsführer der Kraftwärmeanlagen GmbH (KWA) aus Bietigheim-Bissingen auf Anfrage der RNZ erklärt. Von dort wird die Wärme über spezielle Leitungen unter der Straße in das Wohngebiet geleitet. "Als Energieträger kommt in Sandhausen hauptsächlich Erdgas zum Einsatz", so Schuler. Jedoch: "Seit Anfang Oktober wird die Anlage vorwiegend mit Heizöl betrieben."

Zu der extremen Preissteigerung erklärt er: "Die Lieferverträge für Nahwärme an die Kunden sind langjährig angelegt." Um die Kostenentwicklung und die Entwicklung der Verhältnisse am Wärmemarkt bei der Preisbildung zu berücksichtigen, gebe es sogenannte "Preisanpassungsklauseln", die auf die Entwicklung repräsentativer Indexwerte Bezug nehmen. "Diese Preisanpassungen haben bei einer jährlichen Preisanpassung einen Zeitversatz von ein bis zwei Jahren", so Schuler. In normalen Zeiten sei dies für die Fernwärmeversorger kein Problem gewesen. Die extremen Preissteigerungen im Verlauf des vergangenen Jahres bei der Energiebeschaffung jedoch führten zu einer "bedrohlichen Liquiditätslücke, wenn diese Entwicklung nicht zeitnah über die Verkaufspreise weitergegeben werden kann", erklärt der Geschäftsführer.
Hintergrund
> Ein weiteres Nahwärmenetz gibt es in der Region rund um Heidelberg im Kleingemünder Neubaugebiet. Auch hier besteht ein Anschlusszwang für die Eigentümer der Grundstücke. Und auch hier wurden die Preise zuletzt erhöht – allerdings in deutlich geringerem Umfang – und zwar
> Ein weiteres Nahwärmenetz gibt es in der Region rund um Heidelberg im Kleingemünder Neubaugebiet. Auch hier besteht ein Anschlusszwang für die Eigentümer der Grundstücke. Und auch hier wurden die Preise zuletzt erhöht – allerdings in deutlich geringerem Umfang – und zwar zum 1. Juli wegen der gestiegenen Preise für Erdgas und Holzpellets, wie Stadtwerke-Sprecherin Ellen Frings auf RNZ-Anfrage berichtet: "Für einen typischen Haushalt in dem Wärmegebiet mit einem Jahresverbrauch von 12.000 Kilowattstunden war das eine Steigerung um 5,6 Prozent beziehungsweise 102 Euro im Jahr." Der Preis werde mit Hilfe einer festgelegten "Preisgleitklausel" ermittelt, in die verschiedene sogenannte Preis-Indizes einfließen. "Dazu zählen zum Beispiel die Indizes für Gas, Pellets oder auch für Löhne", so Frings. "Da die Preisindizes zum Teil deutlich gestiegen sind beziehungsweise steigen, ergibt sich daraus eine Preissteigerung." Da die Indizes allerdings rückwirkend für das vergangene Halbjahr gebildet werden, werde der Preisanstieg zum 1. Januar 2023 noch moderat sein. Zuletzt lief der "Prozess der Preisberechnung" allerdings noch, so Frings. Der ermittelte Preis werde jedoch wohl aufgrund der Gas- und Wärmepreisbremse nicht eins zu eins bei den Kunden ankommen. cm
Auf den Vorwurf des Sandhäusers, der übrigens anonym bleiben möchte, die Preissteigerung gehe auf das Profitbestreben eines Unternehmens mit "Monopolstellung" zurück, antwortet Schuler: "Bei dem Aufbau eines Wärmenetzes handelt es sich um eine kommunalpolitische Entscheidung, für die meist gute Gründe sprechen." Um den Betrieb wirtschaftlich und energieeffizient zu machen, sei eine möglichst "hohe Wärmedichte" zu erreichen. Die Verlegung eines Wärmenetzes ergebe in Neubaugebieten meist nur Sinn, wenn alle mitmachen. So komme es zu dieser Anschlusspflicht. Und: "Im Gegensatz zum Strom- und Erdgasmarkt gibt es bei der Nahwärme in der Regel tatsächlich nur einen Nahwärmeanbieter je Wärmenetz, dies hat technische und wirtschaftliche Gründe." Politisch werde dies kontrovers diskutiert.
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Gemeindesprecher Jochen Denker erklärte auf Anfrage, dass die Entscheidung der Anschluss- und Benutzungspflicht "vor dem Hintergrund einer grundsätzlichen Nachhaltigkeit solcher Netze getroffen" worden sei. Geregelt ist dies in der "Satzung über die öffentliche Nahwärmeversorgung der Gemeinde Sandhausen". Zur Preissteigerung erläutert der Sprecher, die KWA habe "der Verwaltung früh verdeutlicht, dass der Vertrag angepasst werden muss, um die KWA vor der Insolvenz zu retten und die Versorgungssicherheit im Gebiet Große Mühllach zu gewährleisten". Danach habe ein Gespräch mit den Fraktionssprechern des Gemeinderats und dem Interessenvertreter der Bürgerschaft stattgefunden. In der Folge wurden alle Betroffenen per Brief zu einer nicht-öffentlichen Informationsveranstaltung eingeladen. "Für uns als Verwaltung war klar, dass wir schnell für Transparenz sorgen und um Unterstützung in der Bevölkerung werben müssen", sagt dazu Bürgermeister Hakan Günes. Rund 200 Einwohner seien der Einladung Ende September gefolgt.

Laut Schuler wurden bei der Veranstaltung Empfehlungen zur Wärmeeinsparung erörtert. "Die Resonanz der Kunden ist sehr positiv und man spürt die Bereitschaft, bei der Energieeinsparung einen Beitrag zu leisten", stellt er fest. Zudem liefen im Wärmenetz Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz. Und Kunden könnten durch eigene Maßnahmen an Heizung und Haustechnik – etwa durch einen hydraulischen Abgleich – weitere Einsparungen erzielen. "Der Gesetzgeber hat bekanntlich mit den Plänen zum Gaspreis- und Fernwärmepreisdeckel auf die gravierenden finanziellen Auswirkungen für Endverbraucher und Unternehmen durch die aktuelle Energiekrise reagiert", so Schuler. Für 2023 hoffe man, "dass wieder merkliche Entlastungen entstehen und hohe Wärmepreise nur wenige Monate betreffen".