Die Hoffenheim Story - Teil 1

Die Zeit der Zauberer

Ein Aufsteiger schreibt Geschichte - Die Hintergründe des Höhenflugs im Herbst 2008

26.04.2020 UPDATE: 27.04.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 54 Sekunden
Diemar Hopp (rechts) und Gerd Oswald, Freunde und SAP-Kollegen, feiern mit der Mannschaft den Aufstieg in die Bundesliga. Foto: dpa

Von Wolfgang Brück

Heidelberg. "Das sind keine Fußballer", sagte Heinz Merklinger, "das sind Zauberer." Der damalige Bürgermeister von Walldorf sprach aus, was viele Fußballfreunde in Deutschland dachten. 1899 Hoffenheim brachte im Herbst 2008 eine neue Qualität in die Bundesliga. Der Aufsteiger wurde Halbzeitmeister. Das war zuvor nur einem anderen Neuling gelungen: Dem 1. FC Kaiserslautern in der Saison 1978/79.

Hoffenheim gewann in der Höhle des Löwens, im Mannheimer Carl-Benz-Stadion, sieben seiner neun Heimspiele. Selbst eingefleischte Waldhof-Fans mussten den Hut ziehen. Dortmund und Karlsruhe (jeweils 1:4), Bielefeld und Hamburg (jeweils 0:3) erlebten im wahrsten Wortsinn ein blaues Wunder. Nicht nur HSV-Profi Joris Mathijsen glaubte an magische Kräfte: "Die laufen und laufen. Ich möchte wissen, was die gegessen haben." Manager Jan Schindelmeisters Antwort: "Rinderbraten mit Spätzle."

Am vorletzten Vorrunden-Spiel kam es zum Showdown in München. Der Rekordmeister empfing den Tabellenführer. Die Bayern waren nervös. Franz Beckenbauer sprach von "beginnenden Größenwahnsinn" beim Emporkömmling. Karl-Heinz Rummenigge fragte hämisch: "Wo hat sich der Verein namens Hoffenheim in den letzten hundert Jahren versteckt?"

Trainer Ralf Rangnick schoss zurück: "Wenn Sie flotte Sprüche hören wollen, müssen Sie nach München gehen. Wenn Sie flotten Fußball sehen wollen, kommen Sie zu uns."

Es war nicht nur das Pfeifen im Walde. Der Außenseiter ging kurz nach der Pause durch Vedad Ibisevic in Führung. "Danach spielten sich die Hoffenheimer in einen Rausch, kombinierten traumhaft, versäumten aber, das zweite Tor zu machen", schrieb der kicker. Wie aus dem Nichts gelang Philipp Lahm nach einer Stunde der Ausgleich und Luca Toni in der Nachspielzeit das 2:1-Siegtor für die Münchner.

Trotz der Niederlage am 5. Dezember 2008 in der Allianz Arena beendete der Neuling die erste Serie als Erster. Bei gleichen 35 Punkten wie die Bayern, aber mit vier Toren mehr.

"Hoffenheim im Rausch der Rekorde" titelte der Spiegel. Die Überraschungs-Mannschaft erzielte nicht nur die meisten Tore, nämlich 42, sondern stellte mit Ibisevic auch den besten Schützen. Das von RNZ-Verlegerin Inge Hoeltzcke in einem Kraftakt herausgegebene Buch "Das Wunder von Hoffenheim" lag unter zahlreichen Weihnachtsbäumen. Knapp 25.000 Exemplare gingen innerhalb weniger Wochen über den Ladentisch.

Eines der Themen: Torschützenkönig Ibisevic war nur in die Mannschaft gerutscht, weil Chinedu Obasi mit Nigeria an den Olympischen Spielen in Peking teilnahm. Er gewann dort die Silbermedaille. "Vedo" profitierte bei seinen 18 Toren von einem magischen Dreieck. Es bestand aus Chinedu Obasi, Demba Ba und Carlos Eduardo.

Mit sieben Millionen Euro war der Brasilianer im Sommer 2007 der bis dahin teuerste Neuzugang in der Geschichte der Zweiten Liga. Er soll bei seiner Ankunft in Hoffenheim gefragt haben: "Wann kommen wir endlich ins Zentrum?" Die Antwort hat ihn offenbar nicht abgeschreckt: "Da sind wir gerade durchgefahren."

So steil der Höhenflug war, so abrupt ging er zu Ende. Zum schwarzen Mittwoch wurde im Trainingslager in Spanien der 15. Januar 2009. Beim 0:2 im Testspiel gegen den Hamburger SV zog sich Ibisevic einen Kreuzbandriss zu. Rangnick versprach als Ersatz einen "Kracher". Doch es kam ein Rohrkrepierer. Von Boubacar Sanogo, der in 14 Spielen nur ein Tor erzielte, blieb nur sein Spitzname in Erinnerung: Bobby-Car.

Auch mit einer anderen Personalie wurde der Senkrechtstarter nicht glücklich. Als Klubchef Dietmar Hopp beim Abendessen im feinen La Manga-Hotel verkündete, dass Schindelmeiser vom Sportlichen Leiter zum Co-Geschäftsführer befördert werden sollte, verdarb das nicht nur dem eitlen Jochen A. Rotthaus die Laune. Augenzeugen berichten, dass Ralf Rangnick aufgestanden und sichtbar missgelaunt den Speisesaal verlassen habe. Einer soll daraufhin gefragt haben: "Wo will der Ralf jetzt hin? Holt er den Champagner?"

Zum Anstoßen gab es kaum noch Anlass. "Hoffe" rutschte auf den siebten Platz ab. Das neue Stadion in Sinsheim brachte erst mal kein Glück. Nach einem 2:0 im Eröffnungsspiel gegen Cottbus dauerte es bis zum Mai, ehe gegen Köln der zweite Heimsieg folgte.

Derweil verschlechterte sich das Klima zwischen Rangnick und Schindelmeiser zunehmend. Aus dem Helfer war der Vorgesetzte des machtbewussten Trainers geworden. Das konnte nicht gut gehen.

Die Neuzugänge vor der zweiten Bundesliga-Saison bildeten die Disharmonien ab. Weit über 20 Millionen Euro wurden für Fehleinkäufe verschleudert. Kein Vergleich zur genialen Einkaufspolitik in den Jahren zuvor. Die Idee, hungrige Hochbegabte statt satter Stars zu holen, hatten Hoffenheims Höhenflug ermöglicht. Angeblich wurde Schindelmeiser sogar als Manager bei Bayern München gehandelt.

Heute spielt nur noch Vedad Ibisevic – bei Hertha BSC Berlin – in der Bundesliga. Was aus Chinedu Obasi, Demba Ba, Carlos Eduardo, Luiz Gustavo und Sejad Salihovic geworden ist, aus Andreas Beck, Tobias Weis und Marvin Compper, die im Kraichgau Nationalspieler wurden, können Sie in der Rhein-Neckar-Zeitung nachlesen.

Unser Mitarbeiter Chris Offner hat sich auf Spurensuche begeben. Offner, 26 Jahre jung, ist in der in der Nähe von Schwäbisch Hall aufgewachsen und hat in Heidelberg Germanistik und Geschichte studiert.

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