1899 Hoffenheim

Baldrianfußball

Hoffenheim kommt bislang nicht richtig in die Gänge und muss sich Unmutsbekundungen des Publikums gefallen lassen

16.09.2019 UPDATE: 17.09.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 38 Sekunden

Enttäuschte Gesichter beim und nach dem 0:3-Debakel gegen den SC Freiburg:Neuzugang Jürgen Locadia. Fotos: APF

Von Joachim Klaehn

Sinsheim. Sichtbare Zeichen gab es genug. Wenn sich der größte Fan und oberste Chef der TSG 1899 Hoffenheim, Dietmar Hopp, während des badischen Derbys gegen den Sportclub Freiburg nach einer knappen halben Stunde in seine Loge zurückzieht, dann spricht es für sich. Wenn fast alle Profispieler des Kraichgauklubs den Journalisten im Stadionbauch deutlich zu verstehen geben, dass sie partout nichts sagen möchten, stattdessen nur auf ihr Handy starren oder ihre Rollkoffer energisch hinter sich herziehen, dann ergibt auch diese Hintergrundszene ein klares Gesamtbild. Wenn selbst hartgesottene 1899-Fans die Hände in den Hosentaschen vergraben, die Arme vor dem "Hoffe"-T-Shirt verschränken, die Unterstützung nach der Halbzeit einstellen oder gar frühzeitig die Flucht aus dem Sinsheimer Stadion ergreifen, dann ist die Stimmungslage zugleich gedämpft und ziemlich brisant.

Topstürmer Andrej Kramaric mit Freundin Mia auf der Tribüne. Fotos: APF

"Hoffes" 0:3 (0:2) am Sonntagnachmittag gegen die zielstrebigen, effizienten und kompakten Freiburger war eine Blamage. Bei allen drei Gegentreffern durch Christian Günter (11.), Janik Haberer (38.) und Nils Petersen (59.) sah die Defensive sehr schlecht aus. Noch schlimmer freilich: Die Hausherren hatten vor 29.395 Besuchern keinen Plan, wie sie gegen das konsequente Pressing der Breisgauer vorgehen können. Brutal und erschreckend, wie eine verunsicherte, überforderte und uninspirierte Mannschaft zu Werke ging. Ob Abwehr, Mittelfeld oder Angriff - nirgendwo griffen die Rädchen ineinander.

Schläfrig, lethargisch, passiv, mutlos schleppten sich die hochbezahlten Akteure über den Platz, als ob sie vor dem Anpfiff des Kerkener Schiedsrichters Guido Winkmann Baldriantropfen geschluckt hätten. Debakel- statt Spektakelfußball, wie so mancher Spötter auf den Tribünenflanken meinte.

Lediglich zwei der TSG-Protagonisten stellten sich den Öffentlichkeitsarbeitern. Torhüter Oliver Baumann tut es immer, und seine Kritik fällt sonst schonungslos aus. Ob das nun ein misslungener Saisonstart gewesen sei, wurde der gebürtige Breisacher und langjährige SC-Ballfänger gefragt. Baumann: "Von der Entwicklung her gar nicht, auch wenn es tabellarisch so ausschaut." Und die Unmutsbekundungen des Publikums? Baumann leicht genervt: "Die Jungs kriegen es vielleicht nicht so mit, ich als Torhüter natürlich schon. Das hilft uns nix." Wenig später fügte er hinzu: "Pfiffe haben wir auch schon unter Julian gekriegt." Stimmt - einerseits, und andererseits: "Vielleicht sollten wir mehr Risiko gehen", so Baumanns Schlussworte.

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Volltreffer. Mit einer übertriebenen Defensivstrategie und einem Festival an Quer- und Rückpässen ist jedenfalls kein Blumentopf zu gewinnen. Und weitgehend ohne Bälle in die Schnittstelle und tiefe Läufe ist es gegen jeden Bundesliga-Kontrahenten problematisch.

TSG-Cheftrainer Alfred Schreuder blieben die elementaren Probleme seines Kollektivs nicht verborgen. Panik hilft zu einem frühen Saisonzeitpunkt sicherlich nicht weiter. Er setzt auf den Zeitfaktor, die Automatismen und die nahe Zukunft, "wenn wir ein paar Wochen weiter sind." Die bittere Heimniederlage ordnete der Niederländer vor den Medien so ein: "Ich will das Spiel jetzt schnell abhaken und nach vorne schauen. Wir werden noch viele Höhen und Tiefen haben - das gehört zum Fußball und auch zum Leben."

TSG-Gesellschafter Dietmar Hopp. Fotos: APF

Tatsächlich gestaltet sich der Neuaufbau unter Schreuder in der Nachfolge des schillernden Trainers Julian Nagelsmann delikater als erwartet. Zum einen scheint der Substanz- und Qualitätsverlust nicht ganz von der Hand zu weisen zu sein, zum anderen fehlen mit Toptorjäger Andrej Kramaric und Neuzugang Diadie Samassékou wichtige Kräfte. Warum ein Mentalitätsspieler wie Benjamin Hübner, angeblich "topfit", nur die Bank im Duell mit Freiburg drückte, und ein Kämpfertyp wie Ermin Bicakcic frühzeitig in die Kabine geschickt wurde, erschloss sich Experten wie Anhängern nicht unbedingt.

"Edelfans" wie der Tiefenbacher Norbert Schell kritisieren bereits die Hoffenheimer Transferpolitik. Man habe sein Tafelsilber (Joelinton, Demirbay, Amiri und Schulz) verkauft, und eben nicht adäquat eingekauft. Vor allem an der Rückholaktion und Spielweise von Sebastian Rudy erhitzen sich die Gemüter. Unterm Strich sind es viele Baustellen, die es abzuarbeiten gilt: Das Sturmtief, das unergiebige Mittelfeldgeplänkel, die Abwehrschwächen, das Spielsystem und die derzeitige Verletzungssituation. "Biss und Schärfe", die Schreuder zurecht vermisste, gehören schlichtweg zu den Grundtugenden.

Zumindest ein positives Zeichen an einem tristen Sonntag gab es doch noch: der Kroate Andrej Kramaric durchschritt die Mixed Zone, ohne Trolley, und sein Daumen zeigte symbolisch nach oben. Wenn es sich richtig deuten ließ, dann ist der 28-jährige Stürmer bald wieder fit. Am Montag lief Kramaric mit Ball locker über den Trainingsplatz - Schreuder kann ihn gut gebrauchen.

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