Das wird meiner. "Catch it, Daniel!", schallt es über den Sportplatz. Aus großer Höhe saust der kleine rote Ball auf mich herunter. "Mine!" rufe ich. "Mine!" ruft es hinter mir. Links. Rechts. Lachend und albernd balgen sich meine Mitspieler regelrecht darum, wer den Ball aus der Luft pflücken darf. "Mine! Mine! Mine!" Wir müssen uns anhören wie die Möwen in "Findet Nemo", denke ich, während der Ball halbwegs sicher in meinen Händen landet. Geht doch.
Dass hier die ganze Zeit Englisch gesprochen wird, ist kein Wunder. Die Spieler im Training der TSG Rohrbach stammen allesamt aus Indien - und sprechen so unterschiedliche Muttersprachen, dass sie sich damit untereinander teils nicht verständigen können. Und schließlich haben Briten dieses merkwürdige Spiel mit dem paddelartigen Schläger ja erfunden und in die Welt getragen. Cricket wird vor allem in Ländern des ehemaligen britischen Empires gespielt. Australien und Indien etwa, Pakistan, Sri Lanka, Neuseeland. Also ist Englisch die Sprache auf dem Platz - und so mancher Cricket-Begriff ist ohnehin schlicht ins Deutsche unübertragbar.
Es ist auch kein Wunder, dass die kleine Fangübung der ausgelassenste Teil des Trainingsabends wird. Denn Cricket ist nicht das seichte Vergnügen für blasse englische Eliteschüler im cremefarbenen Pullunder, nachdem es für Laien aussieht.
So ein Cricketball ist hart. Verdammt hart. Und Profis beschleunigen ihn auf bis zu 150 Stundenkilometer. Dem muss man sich erst einmal in den Weg stellen wollen. Selbst die Regionalliga-Amateure hier in Rohrbach wissen von Knochenbrüchen zu erzählen. Nicht umsonst tragen die Schlagmänner dicke Protektoren am ganzen Körper - vom Helm bis zu den riesigen Schienbeinschonern und auf halbem Weg dazwischen dem Tiefschutz für alle, die die Familienplanung noch vor sich haben.
Das ständige Duell zwischen Batsman und Bowler ist also ein aufreibender Nervenkitzel, der sich über Stunden hinziehen kann. Das setzt neben Risikobereitschaft auch gute Kondition voraus. Auch die Feldspieler müssen stets die Konzentration hochhalten: Nicht, dass einem nach langem Leerlauf der eine Ball durch die Lappen geht, der dem Spiel eine entscheidende Wendung geben könnte.
"Cricket ist vor allem Kopfsache", erklärt Übungsleiter Ajay. "Du musst dich ganz auf deine Technik konzentrieren."
Ach ja, die Technik. "Du hast geworfen", grinst mir Ajay immer wieder mit leichtem Kopfschütteln zu, wenn ich meine, den Ball einigermaßen passabel platziert zu haben. Das korrekte Bowlen fällt wohl jedem schwer, der jemals einen Stein in den Fluss, einen Dartpfeil oder einen Handball geworfen hat. Arm gerade lassen und hoch über dem Kopf den Ball loslassen - das muss man von klein auf gelernt haben.
"Wir machen das seit 20 Jahren", erklärt mir ein Mitspieler. Und wie sieht es mit Neueinsteigern aus? Auch Erwachsene könnten das noch lernen, beteuert Ajay. "Nach sechs bis acht Wochen Training beherrscht man die Technik." Wer das auf sich nimmt, lernt ein komplexes, technisch und taktisch sehr anspruchsvolles Spiel kennen - und ein besonderes Gemeinschaftsgefühl. Denn Cricket ist auch eine Art gesellschaftliches Ereignis, nicht nur für die Zuschauer. Einer alten Tradition folgend essen die beiden Mannschaften in der Halbzeitpause gemeinsam; die Heimmannschaft bekocht die Gäste. Und durch die langen Pausen für viele Spieler ist am Rande ausgiebig für Gespräche, Scherze oder Sonnenbaden. "Unsere Gegenspieler sind auch unsere Freunde", nennt es Ajay. Ein Reiz, der sich auf dem Sportplatz vor den Toren Heidelbergs fast so gut entfaltet wie auf einer von Hügel umgebenen Wiese am Flussufer irgendwo in England.
Zum Abschluss soll es aber noch einmal die Konfrontation sein. In voller Schlagmann-Montur geht es in den Netzkäfig. Mal sehen, ob ich sechs Würfe überstehe, ein "Over", die kleinste Einheit im Cricketspiel. Die Sonne steht schon tief, der Adrenalinspiegel steigt. Eins. Ball geblockt. Zwei. Ball getroffen, er kullert ins Fangnetz. Drei. Ähem, der Schläger saust geradezu absurd am Ball vorbei, doch der auch am Ziel. Glück gehabt. Vier. Wieder ein Treffer, der Ball rollt in die Ferne. Ich werde mutiger. Fünf. Geblockt. Jetzt aber, einmal einen raushauen. Sechs. Wieder getroffen. Und doch klappert es hinter mir. Beim Ausholen hab ich mein eigenes Wicket erwischt. Anfängerfehler...