Symbolfoto: Fritz Weidenfeld
Heidelberg. (tv) Ein insolventes Unternehmen will seinen Gläubigern wenigstens zehn Prozent ihrer Forderungen von einer Million Euro bezahlen. Mehr Geld ist nicht da. Nun aber kommt das Finanzamt und sagt: "Die 900.000 Euro, die Du nicht gezahlt hast, sind ein Sanierungsgewinn, der versteuert werden muss." Das können beim Höchststeuersatz bis zu 48 Prozent sein.
Die drohende Steuer wie in diesem Beispiel gefährde die Sanierung von Unternehmen, sagte Patric Naumann, Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter in der Heidelberger Kanzlei Wellensiek, im Gespräch mit der RNZ. "Viele Insolvenzplanverfahren wurden wegen des Steuerthemas verzögert oder nicht gestartet", sagte Naumann.
Ein Insolvenzplan ist nötig, wenn ein bestehendes Unternehmen saniert werden soll. Das Planverfahren ist normalerweise schnell, viele Unternehmenssanierungen dauern wegen der derzeit herrschenden Rechtsunsicherheit länger als nötig. "Man kann nur hoffen, dass der Gesetzgeber schnell handelt", so Patric Naumann. Bis zu einer Gesetzesreform im Jahr 1997 waren sogenannte Sanierungsgewinne steuerfrei.
Das Finanzministerium hatte die Steuerpflicht per Erlass wieder aufgehoben. Auf dieser Grundlage konnten viele Jahre lang Unternehmen ohne Steuerzahlungen auf Sanierungsgewinne gerettet werden. Im Februar 2017 stellte aber der Bundesfinanzhof fest, dass der Erlass verfassungswidrig sei - das Handeln der Verwaltung müsse auf Gesetzen beruhen.
Der Gesetzgeber reagierte schnell, gut zwei Monate später wurde ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. Nun musste das Gesetz aber noch von der EU-Kommission überprüft werden, ob es gegen Beihilfe-Regeln verstößt. Mitte August schrieb die EU-Kommission an den Bundesfinanzminister, dass die Neuregelung nicht gegen europäisches Beihilferecht verstoße.
Doch damit ist das Thema immer noch nicht vom Tisch, weil das Gesetz (3a des Einkommensteuergesetzes) erst nach einer förmlichen Zustimmung der Kommission inkrafttreten kann. Diese Bedingung erfüllte das "comfort letter" genannte Schreiben nicht. "Nur Steine statt Brot" habe die EU-Kommission in dieser für die Sanierung von Unternehmen entscheidenden steuerlichen Frage gegeben, schrieb Christoph Niering, Vorsitzender des Berufsverbandes der Insolvenzverwalter Deutschlands, in einer Pressemitteilung.
Nun müsse ein neues Gesetz ohne die Bedingung der förmlichen Zustimmung der EU-Kommission verabschiedet werden, meint Patric Naumann. "Selbst wenn der deutsche Gesetzgeber sehr schnell die erforderliche gesetzliche Anpassung vornimmt, werden Bundesfinanzhof und der Europäische Gerichtshof das letzte Wort bei der Frage der beihilferechtlichen Relevanz haben", so Christoph Niering.
Die Hängepartie für zahlungsunfähige, aber sanierungswillige Unternehmen geht also weiter. Mittelfristig geht Patric Naumann davon aus, dass europaweit ein einheitliches vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren installiert wird.