Heidelberg

Wie Schmitt & Hahn zu einem der größten Buchhändler wurde

Groß geworden ist der Heidelberger Buchhändler Schmitt & Hahn mit dem Verkauf entlang der Bahnstrecke - Heute kehrt er auch wieder vermehrt in die Innenstädte zurück, trotz digitaler Angebote und Onlinehandels

16.12.2019 UPDATE: 17.12.2019 06:00 Uhr 4 Minuten, 47 Sekunden
Bahnsteigwagen in Heidelberg um 1929.

Von Barbara Klauß

Heidelberg. Es begann mit einem Leiterwagen, den ein Mann in Paris über einen Bahnsteig zog. Darauf lagen Bücher, die er an die Reisenden verkaufte. Die Idee faszinierte Carl Schmitt, der in der Heidelberger Hauptstraße eine Universitätsbuchhandlung betrieb. So bot auch er ab 1854 am Heidelberger Bahnhof Zeitungen und Sonderdrucken von Reclam auf einem Wagen an, wie Karl-Hans Schmitt erzählt, 59 Jahre alt, der heute das Unternehmen leitet.

Buchhandlung Schmitt & Hahn in der Brückenstraße in Neuenheim: Der Bahnhofsbuchhändler will an seinem Heimatstandort auch in der Stadt Gesicht zeigen. Foto: Hentschel

Aus dem Geschäft mit dem Leiterwagen ist einer der größten Bahnhofsbuchhändler Deutschlands entstanden. 84 Filialen betreibt Schmitt & Hahn heute in ganz Deutschland, 74 davon an Bahnhöfen wie in Heidelberg, Mannheim oder Frankfurt, acht in Innenstädten, etwa auf der Heidelberger Hauptstraße oder in der Brückenstraße in Neuenheim.

Gerade in der Anfangszeit ist die Geschichte des Buchhändlers eng mit der Eisenbahn verbunden. Und die war rasant. In den 1830er Jahren entstanden die ersten Bahnstrecken, auf denen Personenzüge fuhren. 1840 eröffnete das Großherzogtum Baden die Strecke von Mannheim nach Heidelberg – das erste Teilstück der 285 Kilometer langen Badischen Hauptbahn nach Basel.

Vier Züge seien in der Anfangszeit zwischen Heidelberg und Mannheim verkehrt, erzählt der heutige Firmenchef. 40 Minuten brauchte sie für die 18 Kilometer. "Damals hatten die meisten Menschen Angst vor der Geschwindigkeit der Bahn. Da war es eine gute Idee, ihnen etwas für die Reise anzubieten, womit sie sich ablenken konnten."

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So begann "hier in Baden eine große Erfolgsgeschichte". Die Rheinstrecke wurde schnell erschlossen. 1843 erreichte der Gleisbau Karlsruhe, 1845 Freiburg. "Und unsere Stammväter zogen mit – an der Eisenbahnlinie entlang", erzählt Schmitt, dessen Großvater Karl Schmitt 1914 ins Unternehmen eingestiegen war.

Bald hatte auch der Bahnsteigwagen ausgedient. In den Bahnhöfen, die entlang der Strecken gebaut wurden, entstanden Kioske für den Verkauf. Gebundene Bücher fanden die Kunden dort allerdings nicht. "Die großen Buchverlage wollten keine Kioske beliefern", erklärt Schmitt – bis die Taschenbücher den Massenmarkt eroberten. Günstig in hohen Auflagen produziert ermöglichten sie, neben Zeitungen und Romanheften auch "richtige Bücher" anzubieten.

Karl-Hans Schmitt

In den folgenden Jahrzehnten wuchs der Familienbetrieb Schmitt zufolge stark. Bereits in den 1970er übernahm er auch wieder Buchläden in der Stadt, etwa im Europäischen Hof und am Römerkreis, in den 1990er Jahren die beiden Standorte Libresso in der Brückenkopfstraße in Neuenheim und in der Hauptstraße 8. "Es war uns wichtig, am Heimatstandort Gesicht zu zeigen", sagt Schmitt.

Vor allem aber wuchs der Buchhändler in den 1980ern und 90ern an den Bahnhöfen. Ende der 1980er "sind wir raus aus den Kiosken in ,begehbare Verkaufsstände’, wie es so schön auf bahndeutsch hieß", erzählt Schmitt. Allerdings seien die Bahnhöfe zu dieser Zeit keine schöne Einkaufs-Umgebung gewesen – runtergekommen, schmuddelig, zum Teil soziale Brennpunkte. Doch mit dem Ausbau der ICE-Trassen ab den 1990ern, "hat sich das Gesicht von Presse- und Buchverkaufsstellen an den Bahnhöfen noch mal stark verändert." Nach und nach entstanden die großen Ladenflächen, wie wir sie heute kennen – mit Büchertischen, Kartenständern, Spielsachen, Handyzubehör und kleinen Geschenken, daneben lange Aufsteller mit Zeitungen und Zeitschriften.

Die Zeiten des großen Wachstums aber sind vorbei. Schmitt & Hahn steht vor denselben Herausforderungen wie alle Buchhändler. Die Menschen kaufen immer weniger Bücher. Zwar stieg die Zahl zuletzt wieder leicht. 29,9 Millionen Menschen kauften im Jahr 2018 zumindest ein Buch, wie aus Zahlen des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels hervorgeht. Doch waren es 2012 noch 36,9 Millionen. "Wir kämpfen – ebenso wie viele andere Medien – um Zeitbudgets", erklärt Schmitt. "Und die sind nicht beliebig erweiterbar." Digitale Medien, Soziale Netzwerke, Streaming-Angebote, E-Books – all das konkurriert mit dem gedruckten Buch. Dennoch bleibt Schmitt gelassen. Der große Hype um das E-Book, meint er etwa, habe sich gelegt. Einen Anteil von fünf Prozent hat es laut Börsenverein am Umsatz in der Branche. Dass es noch große Anteile dazu gewinnen wird, davon geht Schmitt nicht aus. "Die Leute kommen zurück zum gedruckten Buch", meint er.

Hintergrund

Das Unternehmen: Der Familienbetrieb Schmitt & Hahn hat seinen Sitz in Heidelberg-Wieblingen und beschäftigt rund 700 Mitarbeiter, etwa 140 davon in der Region Rhein-Neckar.

Den genauen Umsatz oder Gewinn veröffentlicht das Unternehmen nicht. Doch liegt der Umsatz

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Das Unternehmen: Der Familienbetrieb Schmitt & Hahn hat seinen Sitz in Heidelberg-Wieblingen und beschäftigt rund 700 Mitarbeiter, etwa 140 davon in der Region Rhein-Neckar.

Den genauen Umsatz oder Gewinn veröffentlicht das Unternehmen nicht. Doch liegt der Umsatz eigenen Angaben zufolge bei etwa 100 Millionen Euro. Firmenchef Karl-Hans Schmitt spricht von einem "relativ guten Jahr". Demnach ist die Gesamtgruppe im Plus, ebenso wie die Umsatzentwicklung im Buchbereich. Schmitt & Hahn ist dem eigenen Bekunden nach die Nummer zwei im Bahnhofsbuchhandel in Deutschland mit einem Marktanteil von rund 20 Prozent (nach Valora Retail Deutschland).

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Ähnlich gelassen blickt er auf den zunehmenden Onlinehandel. Nur noch knapp die Hälfte des Umsatzes in Höhe von 4,3 Milliarden Euro wurde im vergangenen Jahr in einem Laden erwirtschaftet. Bei Büchern geht laut einer Studie der Universität Sankt Gallen fast jeder fünfte Euro über den Internet-Riesen Amazon. Auch Schmitt & Hahn hat einen Onlineshop, mit dem der Buchhändler aber nicht einmal ein Prozent des Umsatzes macht.

"Die Käufer, die wir an die großen Online-Händler verloren haben, bekommen wir nicht mehr in den Laden", meint Schmitt. Doch habe sich das Niveau stabilisiert. Diejenigen, die jetzt noch kommen, kommen auch weiterhin, meint er – "weil sie anders einkaufen, nicht nach Algorithmus." Das Schöne sei doch, beim Schlendern im Buchladen Dinge zu entdecken, "von denen ich vorher gar nicht wusste, dass sie mich interessieren".

Dennoch: Die Branche rechnet damit, dass die Zahl der Buchhandlungen weiter zurückgehen wird. 2018 gab es laut Börsenverein noch rund 4700 klassische Buchhandlungen. Bei einem Großteil derer, die verschwinden, handle es sich um die Aufgabe der Geschäftstätigkeit, heißt es beim Verband. Zudem würden kleinere Buchhandlungen aus wirtschaftlichen Gründen von größeren übernommen. 2018 gab laut Verband noch rund 3500 kleine, unabhängige Buchhandlungen und 1200, die zu Ketten gehören.

Auch Schmitt & Hahn hat über die Buchhandelsgesellschaft S+K Rhein-Neckar einige Innenstadtbuchhandlungen übernommen – in Mannheim und Sinsheim, zuletzt in Neckargemünd und Heppenheim. In erster Linie seien das Nachfolgethemen, erklärt Andreas Klingel. Der 47-Jährige leitet seit 2013 Vertrieb, Einkauf und Marketing von Schmitt & Hahn und ist mit 50 Prozent an S+K beteiligt.

Bahnhofsbuchhandlung in Neckarelz, in Betrieb bis 1973. Fotos: Schmitt & Hahn

Es gebe viele Buchläden, deren Inhaber langsam ins Rentenalter kämen, erklärt Klingel. Läden, die – zum Teil mit einem gewissen Maß an Selbstausbeutung – vor allem aber mit viel Herzblut geführt worden seien und bei denen die Beziehung zwischen Buchhändler und Kunden eine große Rolle spiele. Daher versucht Schmitt & Hahn, die ehemaligen Inhaber einzubinden. Natürlich bedeute das für die Altbetreiber eine große Umstellung, gar einen "Kulturschock", wie Schmitt sagt. Doch könne es für sie auch etwas Befreiendes haben, nicht mehr 50 Stunden im Laden zu stehen und dann sonntags zehn Stunden Buchhaltung zu machen. Auch um die Vielfalt brauche man sich nicht zu sorgen, fügt Klingel hinzu. Die Filialleiter vor Ort könnten ihr Sortiment selbst bestimmen.

Beispiel Neckargemünd: Dort übernahm S+K Anfang des Jahres den "Buchladen" sowie "Apropos Buch" und vereinte beide unter einem Dach. Alle Mitarbeiter wurden übernommen. Die frühere Inhaberin des "Buchladens", Viola Roolf-Taag, führt die Filiale nun. Sie hatte einen Nachfolger gesucht – und wollte, ebenso wie Marina Klein, ehemalige Inhaberin von "Apropos Buch" vor allem sicherstellen, dass ihr Laden bestehen bleibt. "Die Zusammenlegung ist wirtschaftlich richtig", sagt Roolf-Taag.

Hintergrund

Was wird am Bahnhof gekauft, was in der Stadt?

Faktor Zeit: "Der kleine Unterschiede ist der Faktor Zeit", sagt Karl-Hans Schmitt auf die Frage, wo der Unterschied liegt zwischen einer Buchhandlung am Bahnhof und einer in der Stadt. Wer zum Zug muss,

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Was wird am Bahnhof gekauft, was in der Stadt?

Faktor Zeit: "Der kleine Unterschiede ist der Faktor Zeit", sagt Karl-Hans Schmitt auf die Frage, wo der Unterschied liegt zwischen einer Buchhandlung am Bahnhof und einer in der Stadt. Wer zum Zug muss, bei dem sollte es schnell gehen. In der Innenstadtbuchhandlung bleibt der Kunde auch mal etwas länger. "Am Bahnhof geht es mehr um Übersichtlichkeit, um schnelle Orientierung, in der Buchhandlung eher um Atmosphäre."

Nicht nur Bestseller: Allerdings finden sich laut Schmitt in den Bahnhofsbuchhandlungen – vor allem in den großen – nicht nur Bestseller. Auch die gefragten Titel unterscheiden sich kaum. "Saša Staniši ist im Moment mit dem Titel ,Herkunft’ sowohl im Bahnhof als auch auf der Hauptstraße top", sagt Schmitt. Sebastian Fitzek mit seinem Psychothriller "Das Geschenk" liege in der Hauptstraße auf Platz 3, am Bahnhof auf 5.

Lesende Frauen: "Am Bahnhof haben wir einen hohen Anteil Männer, der klassische Buchhandel ist frauendominiert", so Schmitt.

Spezielle Interessen: Die gedruckte Presse spielt im Bahnhofsbuchhandel eine große Rolle, sie macht dort 60 bis 70 Prozent des Umsatzes aus. Verkauft werden viele Special-Interest-Zeitschriften (Sport, Musik, Technik, Lebensart usw.). An großen Standorten wie in Frankfurt gibt es Schmitt zufolge 6500 bis 7000 verschiedene Titel.

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Auch aus Sicht von S+K ergibt die Übernahme der Läden vor allem in kleineren Städten Sinn – und soll weitergehen. "Die wirtschaftliche Basis ist da, wir haben eine solide Grundlage, den Zentraleinkauf und das Zentrallager", erklärt Klingel. "Das ist eine ganz andere wirtschaftliche Grundlage, als für sich allein zu kämpfen." Er ist der Überzeugung, dass man Buchläden in kleineren Zentren durchaus wirtschaftlich betreiben kann – wenn der Standort und die Fläche stimmen. Zumal Schmitt & Hahn an solchen Orten zu einer Art multifunktionalem Versorger würde, wie Klingel hinzufügt – mit Postkarten und kleinen Geschenken sowie einem Postshop.

Bei Schmitt & Hahn sind sie also zuversichtlich. "Unser Geschäft macht uns Spaß", sagt Schmitt. Klar sei man in einer rückläufigen Branche, klar werde der Markt nicht wachsen. "Aber ich glaube, wir haben uns gut positioniert." Seiner Ansicht nach ist in den vergangenen Jahren das Bewusstsein für die Bedeutung des Buches gewachsen. "Deswegen sind wir auch nicht ängstlich, was die weitere Entwicklung angeht."

"Der Leser liest", sagt Schmitt zum Abschluss. "Und das ist etwas Tolles."

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