"Champagner geht immer"

Weinpapst Eichelmann erklärt, was guten Schampus ausmacht

Der Heidelberger Weinkritiker Gerhard Eichelmann hat in den vergangenen 17 Jahren fast 13.500 Champagner verkostet und bewertet. Ein neues Buch ist erschienen.

04.06.2021 UPDATE: 05.06.2021 06:00 Uhr 4 Minuten, 34 Sekunden
Discounter
Archivfoto: Paul Zinken/dpa

Von Thomas Veigel

Heidelberg. Champagner – ein Wort, das Assoziationen hervorruft: Einen Hauch von Luxus bei der einen, festliche Freuden bei dem anderen. Champagner ist ein – meistens – prickelnder Wein aus einem der kleineren französischen Anbaugebiete und ein großes Geschäft. In guten Jahren werden Umsätze von fünf Milliarden Euro und mehr erzielt. Die Hauptrebsorten sind Pinot Noir, Pinot Meunier und Chardonnay.

Gerhard Eichelmann gilt als weltweit best-informierter Weinautor in Sachen Champagner, er hat Zugang zu den berühmtesten Häusern und tiefsten Kellern. Er hat auch maßgeblich die Veränderungen in der Stilistik der Winzer-Champagner und die Besinnung auf Einzellagen mitbestimmt. Etwa 2000 verschiedene Champagner verkostet der Weinkritiker pro Jahr. Er hatte zwar schon als Student immer eine Flasche im Kühlschrank, aber die intensive und kritische Beschäftigung mit den feinen Bläschen begann 2004. Gerhard Eichelmann ist ein unbestechlicher und unabhängiger Verkoster mit einem phänomenalen Gedächtnis. Fast zu jedem Champagner und auch zu fast jedem deutschen Wein kann er auf Anhieb etwas sagen. Er kann die Stilistik jedes Winzers auf den Punkt beschreiben. Gerhard Eichelmann lebt mit seiner Familie in Handschuhsheim.

Herr Eichelmann, wie kam es zu der intensiven Beschäftigung mit Champagner, zumal ihr "Hauptberuf" die Verkostung deutscher Weine ist?

Gerhard Eichelmann

Manche werfen es mir schon vor, dass ich als deutscher "Weinpapst" ein Buch in englischer Sprache veröffentliche. Champagner hat mich schon immer fasziniert. Ich war schon seit den 1980-er Jahren immer wieder dort. Ich habe mich auch mit Weinen aus dem Burgund beschäftigt, entschied mich dann aber für die Champagne. Es ist befriedigend, wenn man ein Thema sehr gut beherrscht.

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Was ist das Faszinierende am Champagner?

Als Student war es wichtig, dass man vom Champagner keine Kopfschmerzen bekommt. Im Ernst: Es ist die Komplexität bei wenig Alkohol. Das ist es, was ich immer wichtiger finde, auch beim deutschen Wein. Wenn ich einen Spätburgunder mit 15 Prozent Alkohol verkoste, dann frage ich mich: Was soll das?

Die meisten Champagner haben einen Alkoholgehalt von 12 Prozent, erlaubt sind maximal 13 Prozent. 11 und 11,5 Prozent waren früher normal, weil wegen der relativ nördlichen Lage wenig Zucker in den Trauben war.

Stimmt der Spruch: Champagner ist das Beste, was man aus unreifen Trauben machen kann?

Die Trauben werden heutzutage reif, aber es ist eine andere Reife als in wärmeren Gefilden. Es wird sogar früh geerntet, weil eine möglichst hohe Säure erhalten werden soll, möglichst zehn Promille. Säure ist wichtig für die Haltbarkeit und seine subtilen Geschmacksnuancen entwickelt Champagner erst nach vielen Jahren der Reife.

Wer hat den Champagner erfunden?

Pierre "Dom" Pérignon wird gerne als Erfinder genannt, diese Geschichte erzählt aber vor allem das größte Champagnerhaus, dessen Prestigecuvée Dom Pérignon heißt. Es ist wohl profaner: Ende des 17. Jahrhunderts wurde der Wein aus der Champagne ausschließlich in Fässern verkauft, England war der wichtigste Abnehmer. Dort wurde er auf Flaschen gefüllt und dabei mit Zucker versetzt, weil man Wein damals zum Dessert und süß trank. Der Zucker setzte eine erneute Gärung in der Flasche in Gang – der Champagner war geboren.

Hintergrund

> Gerhard Eichelmann studierte in Göppingen, Paris und Würzburg. Nach einer internationalen Karriere als Unternehmensberater hat sich der Diplom-Volkswirt und Diplom-Kaufmann hauptberuflich dem Wein zugewandt. Er gründete 1997 den Verlag Mondo Heidelberg. In seinen

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> Gerhard Eichelmann studierte in Göppingen, Paris und Würzburg. Nach einer internationalen Karriere als Unternehmensberater hat sich der Diplom-Volkswirt und Diplom-Kaufmann hauptberuflich dem Wein zugewandt. Er gründete 1997 den Verlag Mondo Heidelberg. In seinen Zeitschriften und Büchern führte er das international übliche 100 Punkte-System für Weinbewertungen ein. Im Jahr 2000 veröffentlichte Eichelmann die erste Ausgabe des Buches über deutsche Weine, das sich als Standardwerk etabliert hat. "Der Eichelmann" erscheint jedes Jahr neu.

In der "Mondo Weinbibliothek" erschien 2005 das erste Buch über die Champagne. Bis zum Jahr 2017 folgten sieben weitere Bücher. Bereits im Jahr 2012 war das damals aktuelle Handbuch Champagne ins Französische übersetzt und vom renommierten Verlag Larousse veröffentlicht worden. "Das beste Buch über Champagner" urteilte ein bekannter französischer Weinautor.

Nun ist im Verlag Mondo Heidelberg das neunte, komplett neue Buch erschienen, in Form eines Kompendiums und in englischer Sprache: "Champagne" präsentiert 1335 Erzeuger und 13.451 Champagner. Das Buch fasst alle bisherigen Champagner-Titel von Gerhard Eichelmann zusammen und listet die seit dem Jahr 2004 verkosteten Weine mit Bewertungen auf. Die wichtigsten Champagnerproduzenten, die großen Häuser, aber auch die besten Winzer, werden dargestellt, und der Stil ihrer Champagner wird umrissen.

Der Leser erfährt, wo und wie Champagner hergestellt wird. Darüber hinaus werden die Teil-Regionen der Champagne detailliert vorgestellt, ebenso die Jahrgänge mit ihren Besonderheiten. Eine Klassifikation aller aktuell verkosteten Erzeuger und ein umfangreiches Glossar runden "Champagne" ab. Alle Buchkäufer erhalten die App "Mondo Champagne" mit detaillierten Beschreibungen der 13.451 Champagner.

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Was macht einen guten Champagner aus?

Es ist ein Zusammenspiel verschiedener Einflüsse: Terroir, also Boden und Weinberg, moderate Erträge, das Können des Winzers. Er muss genau wissen, wie er seine Trauben am besten verarbeitet. Wie lange er den Wein auf der Hefe lässt, ob er ihn ins Holzfass legt oder in den Edelstahl-Tank. Der heute beliebte Spruch vom "Nichtstun" im Keller klingt gut für einen unbedarften Konsumenten. So ist es aber nicht.

Ist die Qualität bei Champagner homogen?

Nein, sie ist alles andere als homogen. Von 300 Millionen produzierten Flaschen sind aber mindestens 200 Millionen ordentlich. Das kann man von anderen Anbaugebieten nicht sagen.

Wie teilt sich der Markt in der Champagne auf?

Von 15.000 Weinbauern liefern knapp 13.000 ihre Trauben und zum Teil auch Flaschen an die etwa 300 so genannten Häuser - wie Moët & Chandon, Veuve Clicquot oder Roederer –, Genossenschaften und Händler ab. Selbstständige Winzer, die ihre Trauben auch verarbeiten, gibt es etwa 2000 – sie sind auf dem Etikett als "RM" (Récoltant Manipulant) bezeichnet.

Wie viel Geld erhalten die Winzer, wenn sie ihre Trauben abliefern?

Es wird jedes Jahr ein Fixpreis festgelegt, der lag im vergangenen Jahr bei 6,40 Euro pro Kilo. Je nach Qualität kann der Preis bis zu 20 Prozentpunkte niedriger liegen. Höhere Preise sind verhandelbar. Es werden bis zu 8 Euro bezahlt. Wenn man die Preise ganz freigeben würde, würde die Spanne wahrscheinlich zwischen 2 und 10 Euro liegen.

Wie hat sich die Corona-Krise ausgewirkt?

Der Absatzeinbruch von 300 und mehr auf 245 Millionen Flaschen im vergangenen Jahr ist für manche Winzer dramatisch. Einige Häuser wurden bereits verkauft und es werden noch einige in Schwierigkeiten geraten. Es betrifft vor allem mittelgroße, nicht so bekannte Häuser.

Was passiert mit den Weinen, die nicht verkauft werden?

Die Häuser und Händler von Supermarkt-Champagnern kaufen von Genossenschaften und Erzeugern Flaschen "sur latte", also direkt aus dem Keller. Dieser Verkauf wurde im vergangenen Jahr verboten, um Dumpingpreise von 7 Euro pro Flasche zu vermeiden. Das hätte Supermarktpreise von 9 Euro bedeutet. Der Verband will verhindern, dass im Handel Champagner für weniger als 10 Euro auftaucht. Man zwingt die Produzenten zur Vorratslagerung, was ihnen aber nicht hilft. Sie sehen kein Geld. Es gab im vergangenen Jahr Rabattangebote im Handel, was de facto Weine unter zehn Euro bedeutete.

An der Hauptfassade der Kathedrale Notre Dame in Reims, der Hauptstadt der Champagne, steht ein Engel, der lächelt. Champagner könnte eine Rolle gespielt haben. Bei der Reifung in den riesigen Kreidekellern unter Reims verdunstet ein Teil des Weins und des Alkohols, der „La Part des Anges“ genannt wird – der Anteil der Engel. Und es sieht so aus, als halte der gotische Engel ein Glas dafür in der Hand. Foto: tv

Bis zu welchem Jahrgang reichen die Weine im Buch zurück?

Der älteste ist ein 1914-er von Pol Roger. Den gab es noch, weil man diesen Jahrgang eingemauert hatte und weil die Deutschen, die im Ersten Weltkrieg die Keller plünderten, ihn nicht gefunden hatten. Der Wein war grandios, roch nach Haselnuss und Brioche, sehr fein und elegant, nur die Kohlensäure fehlte – und man brauchte einen Korkenzieher.

Warum ist der billigste Champagner teurer als 99 Prozent der deutschen Sekte?

Champagner ist sowohl ein Gattungsbegriff als auch eine Regionalbezeichnung. Unter dem deutschen Begriff Sekt ist fast alles versammelt, was sprudelt. Also sowohl die guten Weine, die im klassischen Flaschengärverfahren hergestellt werden, als auch die Billigsekte, die ohne große Kosten auf die Schnelle im Großtank gemacht werden. Die Kosten des Champagner-Verfahrens entstehen ja auch durch die langen Reife- und Lagerzeiten, also durch die Kapitalbindung.

Was unterscheidet die besten deutschen Sekte vom Champagner?

Die besten deutschen Sekte haben im Unterschied zum Champagner keinen Bezug zu einer Region. Die zehn besten Erzeuger sind über sechs  Anbaugebiete verstreut. Das ist vor allem ein Nachteil in der Außenwirkung, in der Vermarktung. Da hat es sogar der Prosecco leichter, auch Franciacorta oder Cava haben einen deutlicheren Regionalbezug. Ein weiteres Problem ist es, dass in Deutschland alle Rebsorten zugelassen sind.

Gibt es deutsche Sekte, die auch in Blindproben neben Champagner bestehen?

Die Top-Sekte aus Deutschland sind konkurrenzfähig, das muss man eindeutig sagen.

Wie kommt man an guten Champagner? Sind die Weine vom Discounter ein guter Einstieg?

In der Regel ist das ein Ausstieg, aber es mag Ausnahmen geben. Vielleicht sollte man sich zunächst einmal mit deutschen Sekten von guten Erzeugern befassen und versuchen, bei diesen die Unterschiede zu erkennen. Das geht nicht so ins Geld. Und wenn man wirklich interessiert ist, sollte man in die Champagne fahren.

Zu welchen Gelegenheiten sollte man Champagner trinken?

Champagner geht immer.

Also auch zum Essen?

Selbstverständlich, man kann ein ganzes Menü mit Champagner gestalten. Als Essensbegleiter inklusive Aperitif hat Champagner die größte Varianz zu bieten. Ein gereifter Champagner zu Käse passt perfekt.

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