Auf der Köhlbrandbrücke am Hamburger Hafen stauen sich mit Containern beladene Lkw: Noch brummt die deutsche Wirtschaft. Foto: dpa
Von Michael Abschlag
Heidelberg. Abschwung oder Absturz? Weder noch: Die deutsche Wirtschaft überrascht im Sommer mit einem Mini-Wachstum. Konjunktur hatte zuletzt das "R-Wort": Schlittert Europas größte Volkswirtschaft in eine Rezession? Diese Gefahr sei gebannt, stellen Ökonomen am Donnerstag fest.
Nach vorläufigen Berechnungen des Statistischen Bundesamtes erhöhte sich die Leistung der Wirtschaft im dritten Quartal 2019 zum Vorquartal um 0,1 Prozent – nach einem Minus von 0,2 Prozent im zweiten Vierteljahr und 0,5 Prozent Wachstum zum Jahresauftakt.
"Damit steht fest: Wir haben keine Rezession, auch keine technische Rezession", sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). "Aber: Die Wachstumszahlen sind noch zu schwach."
Im europäischen Vergleich verbuchte Deutschland mit Italien, Litauen und Österreich das schwächste Wachstum im dritten Quartal. Eurostat-Zahlen zufolge legte die Wirtschaft in den 28 Staaten der Europäischen Union zum Vorquartal um 0,3 Prozent zu, im Euroraum mit seinen 19 Mitgliedstaaten um 0,2 Prozent.
Darüber, was das für Deutschland bedeutet, sprach die RNZ mit Friedrich Heinemann (55), Ökonom am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) Mannheim und Professor für Finanzwissenschaft an der Universität Heidelberg.
ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann. F.: ZEWHerr Heinemann, das Statistische Bundesamt verzeichnet eine positive Wachstumsbilanz. Wie bewerten Sie das?
Die erste Schätzung zum zweiten Quartal war eine positive Überraschung. Es zeigt sich, dass die Wirtschaft sich in den letzten Wochen etwas stabilisiert hat. Wir haben einen Zweikampf zwischen der starken Binnenwirtschaft, die mit der Bau- und Privatwirtschaft recht dynamisch ist, und der Rezession in der Industrie. Jetzt hat sich gezeigt, dass die Binnenwirtschaft stark genug ist, um die schwache Industrie auszugleichen.
Viele Experten halten die Gefahr einer Rezession noch nicht für gebannt.
Ja, das sehe ich auch so. Man darf es keinesfalls überbewerten, wenn das Wachstum jetzt einen Hauch über der Nulllinie ist. Es kann auch sein, dass sich bei der Revision herausstellt, dass es doch unter der Nulllinie liegt. Fakt ist, dass die großen Risiken, etwa der ungeordnete Brexit oder eine Gefahr im US-Handelskonflikt immer noch im Raum stehen. Auch die deutsche Automobilindustrie blickt einer sehr ungewissen Zukunft entgegen. Deswegen kann man noch keine Entwarnung geben.
Was erwarten Sie von der Regierung?
Was wir überhaupt nicht brauchen können, ist Aktionismus, also kurzfristiges Geldausgeben, ein hektisch zusammengeschustertes Konjunkturpaket. Das wäre genau falsch. Die Regierung sollte stattdessen endlich mal ohne Scheuklappen analysieren, was die Wachstumsbremsen in Deutschland sind. Dazu gehören vor allem die hohen Steuern und Abgaben für Normalverdiener, das ist eine Wachstumsbremse erster Ordnung. Hinzu kommen die im internationalen Vergleich hohen Unternehmenssteuern, die ein Standortnachteil sind. Und drittens ist da das Problem, dass die Babyboomer bald in Rente gehen. Wir haben noch keine Antwort auf die Frage, wie wir damit umgehen sollen. Diese tief liegenden Probleme sollten wir angehen.