Auf was sich die Gewichtheber jetzt einstellen müssen
Neuordnung der Gewichtsklassen im internationalen Gewichtheben sorgt für sportliche Brisanz

Die sportliche Brisanz nimmt für Obrigheims Europameister Nico Müller zu. Foto: Weindl
Obrigheim. (rol) Zwei Schritte vor, drei zurück - auf diesen Nenner lässt sich die Neuordnung der Gewichtsklassen im internationalen Gewichtheben bringen, die Weltverband IWF gerade verabschiedet hat. Sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen wird die Zahl der Gewichtsklassen von acht auf zehn erhöht. Allerdings: Während es bei Welt-, Europa- und nationalen Meisterschaften künftig diese zehn Klassen gibt, werden es bei Olympischen Spielen nur noch sieben sein. Damit folgt die IWF einer Forderung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), das Teilnehmerfeld zu reduzieren.
Auch die Zahl der Gewichtheber schrumpft: In Tokio 2020 werden bei den Männern und Frauen jeweils maximal 14 Athleten in sieben Gewichtsklassen starten, also insgesamt 98 Kraftsportler. Pro Nation können maximal vier Athleten und vier Athletinnen nominiert werden. Ebenfalls neu: Es ist nicht mehr möglich, dass ein Land mehr als einen Heber für dieselbe Gewichtsklasse in den Wettkampf schickt. Für das deutsche Gewichtheben ist das keine gute Nachricht. Denn: Mit Simon Brandhuber und Robert Joachim (bis 69 kg), Max Lang und Nico Müller (bis 77 kg), Michael Müller und Tom Schwarzbach (85 kg) gab es allein bei der WM 2017 drei Heber-Paare, die in der gleichen Klasse zu Hause sind.
Vor allem für Europameister Nico Müller vom SV Obrigheim und den fast gleichaltrigen Max Lang gewinnt dadurch das sportliche Duell an Brisanz, wenn beide von der 77-Kilo- in die neue 81-Kilo-Klasse aufrücken. Hinzu kommt ein veränderter Qualifikationsmodus für Olympia: Bislang wurden die Ergebnisse bei zwei Weltmeisterschaften nach Punkten bewertet, eine Länder-Tabelle erstellt und entsprechend bis zu sechs Startplätze (Männer) an die Nationalverbände vergeben. Diese Regelung wird ersetzt durch eine Athleten-Weltrangliste, in die das persönliche Abschneiden bei zuvor definierten Turnieren (WM, Kontinentalmeisterschaften, ausgewählte Cups) einfließt. "Grundsätzlich betrachte ich es als gut, dass für Olympia 2020 die persönliche Qualifikation eingeführt wird", sagt Frank Mantek, Sportdirektor des Bundesverbandes Deutscher Gewichtheber (BVDG).
Die neu eingeteilten Gewichtsklassen stoßen hingegen auf weniger Gegenliebe. "Ich kann die Verteilung nicht wirklich verstehen", sagt Tom Goegebuer, dreimaliger Olympia-Teilnehmer für Belgien und langjähriger Bundesliga-Heber des AV Speyer. Er moniert zum Beispiel, dass es zwischen den drei männlichen Klassen bis 96, 102 und 109 Kilo nur eine vergleichsweise kleine Lücke von 13 Kilo gebe, während der Abstand zwischen zwei traditionell anspruchsvollen Klassen bis 73 und bis 81 Kilo mit acht Kilo ziemlich groß ausfalle. Eine andere Einstufung hätte sich Goegebuer auch im Superschwergewicht der Männer gewünscht. Denn die Analyse von Wettkämpfen und Ergebnissen zeige, dass "die besten Superschweren alle über 140 Kilo wiegen". Nach der Reform beginnt die Herkules-Klasse ab 109 statt wie bislang bei 105 Kilo.
Der 43-jährige Goegebuer ist nicht nur ein erfahrener Gewichtheber, sondern auch Präsident seines Heimatverbands und Mitglied in der "IWF Sport Program Commission". In diesem Gremium wurden offenbar ganz andere Vorschläge erarbeitet. "Ich bekomme Fragen und Bemerkungen von vielen Personen, kann aber leider nicht erklären, warum die Auswahl der Klassen so ausgefallen ist. Das Executive Board ist dem Vorschlag unserer Körpergewicht-Kommission nicht gefolgt", berichtet Goegebuer.
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Jürgen Spieß, dreimaliger Olympia-Teilnehmer, gehört zu den zahlreichen Athleten, die nicht glücklich über die jüngste Reform sind. "Die Abstände zwischen den einzelnen Gewichtsklassen, die bei Olympia gelten, halte ich für zu groß. Vor allem sind sie nicht nachvollziehbar im Verhältnis zu den leichten Gewichtsklassen." Auch Oliver Caruso, Cheftrainer des Baden-Württembergischen Gewichtheberverbandes, kann der Neueinteilung wenig abgewinnen. "Eine intelligente Lösung ist das nicht." Ihn stört vor allem, dass bei den Olympischen Spielen zwei komplette Gewichtsklassen für schwerere Athleten (bis 89 und bis 102 Kilo) gestrichen werden.
Der Weltverband hat den sportlichen Rahmen also kräftig durchgeschüttelt, aber eine gute Chance verpasst. "Aus meiner Sicht hätte man die Gelegenheit nutzen können, alles etwas einfacher zu gestalten", sagt BVDG-Sportdirektor Frank Mantek. "So wie zu den Olympischen Spielen in Tokio geplant, mit sieben Gewichtsklassen bei Männern und Frauen und dazu eine übersichtlichere einfache Aufteilung der Gewichtsklassen, zum Beispiel bis 60, 70, 80, 90, 100, 125, über 125 Kilo - das wäre auch ein Weg gewesen."



