Von Claus Weber
Heidelberg. Die Hängepartie bei den Amateuren geht weiter. Die Politik hat zwar jüngst Training in Kleingruppen wieder ermöglicht, doch der starke Anstieg der Fallzahlen könnte dafür sorgen, dass es bald wieder zum Sport-Lockdown kommt. Wie sich Amateure fit halten und für die Zeit nach Corona vorbereiten können, darüber sprach die RNZ mit Heidelberger Sportmedizinern.
"Am wichtigsten ist, dass man nicht von null auf hundert startet", sagt Dr. Yannic Bangert, der in der Orthopädischen Universitätsklinik in Schlierbach den Bereich Sportorthopädie leitet und den Olympiastützpunkt Rhein-Neckar sowie als Mannschaftsarzt die Bundesliga-Fußballer der TSG Hoffenheim betreut. "Das Schlechteste wäre, wenn es heißt, die Liga beginnt in zwei Wochen wieder Fußball zu spielen und die Mannschaft legt beim ersten Mal gleich voll los." Individuelles Ausdauertraining war auch in Zeiten des Lockdowns möglich. Doch das allein, so Bangert, reicht nicht aus. Auch funktionelles Training gehört zu einer guten Vorbereitung.
Mobilisation/Dehnung, Tiefensensibilisierung und Kräftigung seien die drei Säulen der Prävention, sagt der Ärztliche Direktor der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Professor Dr. Tobias Renkawitz. "Das Programm "Fifa 11+" bietet viele gute Beispiele dafür. Da geht es um die Themen Koordination und einfache Kraftübungen, die man ohne Geräte durchführt", erklärt der Sportmediziner mit Bundesliga-Erfahrung. "Hier werden Methoden aus dem Spitzenfußball für Amateurvereine umgesetzt und man kann diese verletzungspräventiven Bestandteile gut ins Training integrieren."
Die Zeit sollte man sich nehmen. Mit einem guten, regelmäßig durchgeführten Programm, schätzt Dr. Holger Schmitt von der Heidelberger Atos-Klinik, könnte man die Zahl der Verletzungen um bis zu 50 Prozent reduzieren. Den Trend zur Prävention, der bei den Profis längst gang und gäbe ist, werde an der Basis leider noch nicht richtig umgesetzt – weil oftmals die Zeit fehlt. "Wenn ein Freizeitsportler beispielsweise einen Tennisplatz reserviert hat, dann will er die Zeit zum Spielen nutzen und sich nicht erst 20 Minuten mit Aufwärmen, Dehnen und Koordinationsübungen beschäftigen", sagt Schmitt.
Prävention immer wichtiger
Doch mit Disziplin könne man vieles erreichen, meint Stephan Maibaum von der Sportopaedie in Heidelberg. "Leider bereiten sich viele oft nur halbherzig vor oder man sieht Pseudo-Übungen", sagt der 63-Jährige, der seit vielen Jahren die Rhein-Neckar Löwen betreut.
Auch mit der richtigen Haltung beim Sport lassen sich Schäden vermeiden, sagt er: "Wer X-Beine hat, hat beispielsweise ein höheres Risiko, einen Kreuzbandriss zu erleiden." Präventiv helfe das Programm "Stopp-X" mit einer Vielzahl an verschiedenen Übungen.
Aufgrund des langen Lockdowns hat die Anzahl der Sportverletzungen in den letzten Monaten deutlich abgenommen, vor allem Ski-Verletzungen sind auf ein Minimum zurückgegangen. Stattdessen kommt es vermehrt zum Jogger-Knie mit Schmerzen an der Außenseite des Gelenks. Sie können durch eine zu starke Beanspruchung, aber auch durch Fehlstellungen oder den Laufstil begründet sein. Man müsse sich den Patienten deshalb immer im Ganzen anschauen, betont Yannic Bangert. Und Stephan Maibaum ergänzt: "Wir müssen uns fragen: Liegt ein strukturelles oder ein funktionelles Problem vor – gibt es also Schäden oder eine Störung, die ein Gelenk dazu verleitet, Probleme zu machen?"
Beim Joggen sollte beispielsweise die Schrittlänge nicht zu lang sein. "Kürzere und schnellere Schritte sind besser, damit das Becken nicht abkippt", sagt Maibaum und sein Kollege Pieter Beks rät: "Physiotherapeuten sind der richtige Ansprechpartner, mit ihnen kann man Übungsprogramme ausarbeiten."
Die Umfrage unter den Ärzten ergab: Die häufigsten Sportverletzungen betreffen das Sprunggelenk und das Knie. Spitzenreiter sind hier Meniskus-, Knorpel- und Kreuzbandverletzungen. Die meisten Verletzungen treten – das mag auch an der Popularität liegen – im Fußball und in den Ballsportarten auf, sagt Holger Schmitt.
In der Sportmedizin gilt heute: Weniger ist mehr. Operationen vermeiden, minimal-invasiv eingreifen und den Patienten so bald als möglich mobilisieren. "Die Sportmedizin hat sich auch im OP-Saal weiterentwickelt", erklärt Tobias Renkawitz, "früher gab es bei einer Kreuzband-Operation große Schnitte, heute machen wir das in Schlierbach mit neuen Präzisionsmethoden in Schlüsselloch-Technologie."
Damit es gar nicht so weit kommt, sollte man präventiv vorbeugen. "Ganz entscheidend bei allen Sportarten ist die Rumpf- und Rückenmuskulatur", sagt Renkawitz, "sie überträgt die Kraft und ist für die Kernstabilität von entscheidender Bedeutung." Und gerade die Rückenmuskulatur baue schnell ab, wenn man lange Zeit nichts mache und noch dazu in gebeugter Haltung im Homeoffice arbeite. Zur Stärkung von Hüfte und Rücken – gerade für Menschen, die bereits Beschwerden haben – empfiehlt er die "Heidelberg 8" – ein Übungsprogramm mit acht Übungen in acht Minuten, das die Orthopäden und Physiotherapeuten der Uniklinik zusammengestellt haben.
Holger Schmitt von der Atos-Klinik ist Präsident des badischen Sportärztebundes. "Wir schulen Trainer und Übungsleiter, wie sie ihre Athleten verletzungsfrei durch die Saison bringen", sagt er, "denn Prävention wird in Zukunft noch bedeutender."
Präventionsprogramme im Internet:
Fifa 11+: Programm zum Aufwärmen und zur Verletzungsprophylaxe.
Stop X: Präventionsprogramm zur Vorbeugung von Knieverletzungen im Sport.
Heidelberg 8: Programm der Uni-Klinik zur Stärkung von Hüfte und Rücken.
Fittoplay: Empfehlungen für verschiedene Sportarten von einer Arbeitsgruppe in Oslo/in englischer Sprache.