Im falschen Film: Die Mercedes-Mechaniker trugen in Hockenheim zwar das beste Kostüm, hatten aber nur wenig zu lachen. Foto: dpa
Von Christoph Ziemer
Hockenheim. Der Maskenball dauerte zwei Tage. Bei einem Kostümverleiher hatte Mercedes zum 125. Motorsportjubiläum für den Deutschland Grand Prix die passenden Kleider für das gesamte Team geordert. Auf der Zeitreise ging es zurück in die 30er Jahre, Teamchef Toto Wolff tauchte noch einmal ein in die guten alten Zeiten, mit Krawatte, Hosenlatz und weiten Hosen. Ein Kamerateam des Streaming-Anbieters Netflix begleitete Mercedes das gesamte Wochenende über auf Schritt und Tritt und hatte selbst Zugang zu den Meetings mit Fahrern und Ingenieuren. Ein Happy End gab es für die Silberpfeile beim Heimspiel aber nicht.
Das 200. Rennen als Formel-1-Werksteam geriet für die Weltmeister-Truppe zum Horror-Trip. Bei dem elektrisierenden Regen-Kracher in Hockenheim mit vier Safety-Car-Phasen unterliefen Mercedes insgesamt drei Abflüge, zwei davon gingen auf das Konto von Lewis Hamilton. Der Brite, der sich so gut wie nie einen Fahrfehler leistet, kam trotz Safety-Car-Phase vor der vorletzten Kurve von der Fahrbahn ab, touchierte die Streckenbegrenzung und musste mit einem stark lädierten Frontflügel an die Box. Dort aber war niemand auf den Stopp des Weltmeisters vorbereitet. "Er hat den Unfall direkt vor der Boxeneinfahrt gehabt", fasste wenig begeistert Teamchef Toto Wolff das Malheur zusammen. "Niemand war vorbereitet. Und dann wurden auch noch die falschen Reifen aufgezogen. Das ist uns seit Jahren nicht mehr passiert."
50 Sekunden dauerte Hamiltons Boxenstopp. Bei der Aufholjagd drehte sich Hamilton aber kurz darauf in der Nordkurve. Mit kaputten Reifen ging es zurück an die Box, wo er auch gleich seine Fünf-Sekunden-Zeitstrafe für das falsche Einbiegen beim ersten Stopp absitzen durfte. Die Nordkurve wurde auch für den zweiten Silberpfeil zur Schicksalskurve. Valtteri Bottas, der auf dem Papier als einziger den sechsten WM-Titel von Lewis Hamilton verhindern kann, stellte auch in Hockenheim seine mangelnde Konstanz unter Beweis. Der Finne drehte sich und schlug heftig im Reifenstapel ein - der K.O. "Wenigstens hatte das Rennen Unterhaltungswert. Für uns war es aber katastrophal. Ein Armageddon-Wochenende", haderte Wolff.
Die Gewinner des Rennens waren diejenigen, die bei den schwierigen Bedingungen die richtigen Entscheidungen zur rechten Zeit trafen - und dabei ohne Fehler blieben. Max Verstappen zeigte trotz Katastrophen-Start und einem Dreher mit Slicks auf nasser Strecke einmal mehr, dass er im Regen zu den besten Piloten im Feld zählt. Die holländischen Fans machten nach dem Rennen die heraufziehende Nacht zum Tage. Sie stapelten mehrere Bierbänke aufeinander, bastelten daraus eine Rutsche und fuhren diese freudig grölend hinunter.
Vergessen war auch das Ferrari-Fiasko vom Samstag. Obwohl die Scuderia sämtliche Trainingssitzungen dominiert hatte und als klarer Pole-Favorit ins Qualifying gestartet war, strandeten beide Roten mit technischen Defekten. Sebastian Vettel fuhr vor den Toren Heidelbergs eines der besten Rennen seiner Karriere. Schon nach der ersten Kurve hatte der vom 20. und letzten Platz startende Heppenheimer vier Autos kassiert und musste sich am Ende nur Max Verstappen geschlagen geben. Ein phänomenales Rennen des Deutschen, das seine Kritiker verstummen ließ.
Es fällt schwer zu glauben, dass nach diesem Rennen der Schlussvorhang für die Formel 1 in Deutschland fällt. Sebastian Vettel wurde auch im Ferrari-Motorhome nicht müde, eindringlich für die Fortsetzung der Königsklasse in Hockenheim zu werben. "Dass gewisse Leute da anders denken und mehr die Dollar-Scheine in den Augen haben, wäre nicht das erste Mal. Diese Veranstaltung zu verlieren, wäre unheimlich schade. Länder wie England und Deutschland sind ikonische Plätze für unseren Sport, sie bringen die Leidenschaft der Fans an die Strecke." Leider sei in Deutschland aber offenbar niemand bereit, für den Erhalt des Grand Prix zu zahlen: "Danke an Mercedes, dass sie das diesmal getan haben. In Holland ist es doch auch möglich. Warum nicht bei uns?"
Auch Lewis Hamilton setzt sich für den Verbleib der Formel 1 in Deutschland ein: "Es ist zu 100 Prozent wichtig, dass wir hier bleiben. Das Land hat viele gute Nachwuchsfahrer und baut die besten Autos. Es gibt nur wenige Rennen, wo du so großartige Zuschauer hast. Was auch immer passiert, wir brauchen weiterhin einen Deutschland-Grand Prix."
Der an Halsweh erkrankte Hamilton sagte für die nächsten Tage sämtliche Termine ab. In Ungarn möchte Mercedes wieder zur gewohnten Stärke finden. Dann aber ohne Maskenball.