Von Wolfgang Brück
Heidelberg. Der Countdown läuft. Am morgigen Donnerstagabend stellen sich in Kirchheim führende Funktionäre mit dem DFB-Vizepräsidenten Ronny Zimmermann an der Spitze der Kritik von Vertretern aus Amateurvereinen. Oben fließen die Millionen, unten kämpfen sie ums Überleben. Die Basis bröckelt. Es geht um die Zukunft des Volkssports Fußball. Die Rhein-Neckar-Zeitung gibt deshalb allen, ob mit oder ohne Amt, die meinen, dass sich Grundlegendes ändern muss, ein Forum.
Gernot Jüllich war Profi beim SC Freiburg. Er war mit Bundestrainer Joachim Löw befreundet. Der inzwischen 65-jährige Schriesheimer gehörte zuvor zu den herausragenden Spielern in der Oberliga. Als Trainer schaffte er sechs Aufstiege. Jüllich ist vierfacher Vater, der Diplom-Ingenieur arbeitet in leitender Position für ein amerikanisches Unternehmen.
Seine Thesen geben zur Sorge Anlass: Unsere Vereine bluten aus. Der Fußball wird an Bedeutung verlieren, wenn der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und die Landesverbände keine Kurs-Korrektur vornehmen. Im RNZ-Interview behauptet Jüllich: Im Nachwuchsbereich gibt es eine gigantische Fehlentwicklung, die auch Ursache für die jüngsten Misserfolge der Nationalmannschaft sind.
Gernot Jüllich, der DFB hat in den letzten fünf Jahren 16.000 Mannschaften verloren. Der Verband verweist auf das üppige Freizeitangebot. Mädels und Jungs hätten heutzutage andere Interessen.
Da macht man es sich zu einfach. Wenn es Konkurrenz gibt, muss ich mich um so mehr anstrengen, besser werden und Fehler abstellen.
Das passiert nicht?
Ich arbeite seit 30 Jahren im Amateurbereich. Die Stimmung in den Vereinen wird immer schlechter. Die wenigen Einzelkämpfer fühlen sich allein gelassen. Sie sind überfordert. Sie haben das Gefühl, dass die Schere zwischen reichen Profis und armen Amateuren immer weiter auseinander geht.
Was könnte man besser machen?
Ich nenne Ihnen mal ein Beispiel. Patrick Hocker, den ich in Schwetzingen trainiert habe, wurde vor ein paar Wochen beim SparkassenCup in Ketsch als bester Spieler ausgezeichnet. Patrick ist ein Fußballer mit außergewöhnlichen Dribbel-Fähigkeiten, aber er fiel durch die Raster, vielleicht weil er einen eigenen Kopf hat. Wir erleben eine gigantische Fehlentwicklung. Unser Nachwuchs wird sehr früh, zu früh, in die Eliteschulen gesteckt. Dort werden sie weich gespült und gleich geschaltet und ihrer Individualität beraubt.
Ist es nicht sinnvoll, die Besten optimal zu fördern?
Natürlich, aber man muss es anders tun. Lasst die guten Spieler länger in den Vereinen. Dort können sie ihre Stärken entwickeln, zu Führungs-Persönlichkeiten heranreifen. Sie würden als Identitäts-Stifter den kleinen Klubs guttun und dazu beitragen, dass die Begeisterung früherer Jahre zurückkehrt. Der Verband muss Trainer in die Vereine schicken, anstatt die Jungs schon mit zwölf von frühmorgens bis spätabends durch die Gegend zu jagen.
Das kostet Geld.
Sie wollen mir erklären, dass der DFB, der gerade eine Akademie für 127 Millionen Euro baut, zu arm ist. Nehmen wir den Grundlagen-Vertrag...
Sie meinen die Vereinbarung mit der Deutschen Fußball Liga, die es möglich macht, dass der DFB mit drei Prozent von 1,5 Milliarden Fernsehgeld, also lächerlichen 45 Millionen, abgespeist wird.
Ein Skandal. Statt den Vereinen mehr Geld zu geben, knöpft man ihnen für alles mögliche Gebühren ab. Selbst die Trainer-Lizenzen kosten. Oben wird mit Millionen jongliert, die Kleinen wissen häufig nicht, wie sie den Schiedsrichter bezahlen sollen.
Ronny Zimmermann, ein redlich bemühter Mann, fühlt sich zu Unrecht kritisiert. Kann es sein, dass der badische Präsident ein Opfer des schlechten Images des DFB ist?
Wundern darf er sich darüber nicht. Bei den vielen Affären und Skandalen, die den Weltverband bis runter zum DFB in Misskredit gebracht haben. Da kann schon der Eindruck entstehen, den Herren geht es nicht um die Sache, sondern um Machterhalt und Privilegien.
Dafür spricht auch das Verhalten nach dem Scheitern bei der Weltmeisterschaft und dem Abstieg in der Nations League. Hätten Sie Ihrem früheren Freund Jogi geraten, seinen Hut zu nehmen?
Nein. Ich finde seine Philosophie gut, über Dominanz und viel Ballbesitz gewinnen zu wollen. Nur hatte er im Gegensatz zu 2014, als wir Weltmeister wurden, jetzt in Russland nicht mehr die Spieler dafür. Damit haben wir bereits die Auswirkungen der falschen Ausbildung zu spüren bekommen. Ich hoffe, dass der ins Auge gefasste Systemwechsel nur vorübergehend ist und uns nicht wieder den Rumpel-Fußball früherer Jahre bringt.
Viele Entscheidungen gehen zulasten der kleinen Vereine. Zum Beispiel das Spielrecht für die U 23-Teams bis hoch in die Dritte und Vierte Liga. Traditionsvereinen wird der Weg zurück in den Profifußball versperrt.
Nicht nur das. Sie werden in den Ruin getrieben, weil sie zu einem Wettrüsten gezwungen werden, das sie nicht gewinnen können. Die Profiklubs machen für ihre Zweitvertretungen mal schnell ein paar Millionen locker. Das ist schlicht und einfach Wettbewerbs-Verzerrung.
Bis heute ist nicht geregelt, dass die Meister aller Regionalligen aufsteigen dürfen. Zimmermann sagt, das war fast immer so.
Damit hat er sogar recht. Doch besser wird es dadurch nicht. Im Gegenteil. Als ich mit Sandhausen Meister wurde, durften wir auch nicht aufsteigen. Ich bin damals nach Freiburg gewechselt. Der Waldhof ist dreimal in der Relegation gescheitert. Ohne Sponsor Bernd Beetz wären die längst kaputt.
Sie sehen eine düstere Zukunft für den deutschen Fußball.
Wenn nicht die richtigen Lehren gezogen werden, fürchte ich, dass noch mehr Vereine aufgeben, dass der Fußball in Deutschland an Bedeutung verliert und wir international ins Hintertreffen geraten. Ich hoffe, dass mich Ronny Zimmermann nicht noch mal enttäuscht. Als Trainer in Neckargemünd wollte ich ihn haben, er war ja ein torgefährlicher Stürmer. Leider hat er mir abgesagt. Wir konnten nicht genug bezahlen (lacht).
Information: Podiums-Diskussion im Klubhaus der Freien Turner Kirchheim, der Trattoria Vecchia Bari, in der Pleikartsförster Straße 95, am Donnerstag, 18.30 Uhr. Der Eintritt ist frei. Alle sind eingeladen. Voranmeldungen bitte an philipp.richter@ft-hd-kirchheim.de