Von Matthias Miltz
Neckarelz. Es war ein Fußballmärchen aus der Region, das es in dieser Form vermutlich nicht noch einmal geben wird – der (einstige) Höhenflug der SpVgg Neckarelz. Begonnen hatte dieses Märchen im Jahr 2009: Überraschend setzte sich der damalige Verbandsligist im Pokalfinale gegen die zweite Garde des SV Sandhausen durch, die allerdings mit mehreren Akteuren der ersten Mannschaft und daher verstärkt auflief. Mit dem Pokaltriumph qualifizierten sich die Neckarelzer Kicker für die erste DFB-Pokal-Runde. Dort wartete mit dem großen FC Bayern das Traumlos für jede Amateurmannschaft, die es bis in den Pokal schafft. Aufgrund des zu erwartenden Fan-Ansturms und der DFB-Regularien wurde die Partie nicht im heimischen Elzstadion, sondern in der Sinsheimer Rhein-Neckar-Arena ausgetragen.
Rund 30.000 Zuschauer machten sich am 2. August 2009 auf den Weg ins damals neue Bundesligastadion der TSG Hoffenheim. Vor ausverkauftem Haus schlugen sich die Verbandsliga-Kicker der SpVgg mehr als wacker gegen den deutschen Rekordmeister. Erst ein Doppelpack von Mario Gomez in der 51. und 57. Minute brachte die Bayern auf die Siegerstraße. Als kurz darauf Heiko Throm auf 1:2 verkürzte, stand das Stadion kopf. Auch wenn die Partie nach einem Treffer von Hamit Altintop noch 1:3 verloren ging, war es der Anfang einer Zeit, in der die SpVgg Neckarelz zum großen Aushängeschild des Fußballs aus der Region wurde.
Nach dem Pokalspiel gegen die Bayern folgte in derselben Saison der Aufstieg in die Oberliga Baden-Württemberg. In der Saison 2010/11 erreichte man als Aufsteiger einen herausragenden vierten Tabellenplatz und etablierte sich direkt in der höheren Spielklasse. Im darauffolgenden Jahr schafften die Neckarelzer sogar den Sprung unter die besten Drei – punktgleich mit dem VfR Mannheim auf Rang zwei. Im dritten Oberliga-Jahr gelang der SpVgg dann der ganz große Wurf. Mit fünf Punkten Vorsprung auf den FC Walldorf wurde die Mannschaft von Trainer Peter Hogen Meister und stieg in die Regionalliga Südwest auf.
Plötzlich waren Traditionsvereine wie die Kickers Offenbach, Waldhof Mannheim oder Hessen Kassel zu Gast im Odenwald, im Elzstadion war Regionalliga-Fußball angesagt. Wie schon zuvor in der Oberliga hatte die Hogen-Truppe keine Schwierigkeiten, sich in der neuen Liga zurecht zu finden. Logischerweise war der Klassenerhalt das oberste Ziel, mit Rang neun in der Abschlusstabelle wurde diese Zielsetzung sogar noch übertroffen. Etwas knapper war es dann im darauffolgenden Jahr, doch mit Rang zwölf schaffte es die Neckarelzer Mannschaft am Ende ein weiteres Jahr Deutschlands vierthöchster Liga anzugehören.
Vermutlich niemand dachte zu diesem Zeitpunkt, dass das Neckarelzer Fußball-Märchen nur ein halbes Jahr später abrupt enden sollte. Am 8. Dezember 2015 stand das Finanzamt in Neckarelz auf der Matte und durchsuchte Vereinsräumlichkeiten und die Privatwohnungen von Verantwortlichen. Denn neben dem sportlichen Höhenflug startete 2009 bei der SpVgg mit dem Weg in die höherklassiger Ligen auch der Weg in den bezahlten Fußball. Man muss kein ausgewiesener Fußball-Fachmann sein, um zu wissen, dass ab einem gewissen Spielniveau auch Geld über Erfolg oder Misserfolg entscheidet. Getreu dem Motto "Geld schießt keine Tore, aber es bezahlt die Spieler, die sie schießen." Auch in Neckarelz war man sich dessen bewusst und so wurde aus dem kleinen Odenwald-Verein eine Mannschaft mit zumindest semiprofessionellen Strukturen.
Geld schießt keine Tore, aber es bezahlt Spieler, die sie schießen
Jedoch erfolgten eben diese Bezahlungen während des Höhenflugs in Neckarelz nicht immer auf korrekte Weise. Es wurden Gelder am Finanzamt und den Sozialversicherungen vorbeigeschleust. Genau aus diesem Grund machten sich knapp fünfeinhalb Jahre nach dem Pokalspiel gegen die Bayern 50 Steuerfahnder auf den Weg nach Neckarelz. Der Hauptbeschuldigte: Dr. Thomas Ulmer. Der langjährige Präsident des Vereins und ehemalige Europaabgeordnete soll für die die illegalen Zahlungen verantwortlich (gewesen) sein.
Dieser 8. Dezember 2015 war der Anfang vom Ende der glorreichen Neckarelzer Zeit. In der Hinrunde kämpfte die Mannschaft noch um den Klassenerhalt, lag mit Rang zwölf voll im Soll. Nach dem Besuch der Finanzbeamten gab es allerdings einen großen Bruch. Noch in der Winterpause der Saison 2015/16 verließen sechs Spieler den Verein. Es folgte in der Rückrunde der Absturz auf einen Abstiegsplatz, nach der Saison gingen weitere zehn Spieler. Noch schneller als der einstige Aufstieg zum Aushängeschild der Fußballregion folgte der sportliche Absturz. Von Runde zu Runde wurde die SpVgg Neckarelz nach unten durchgereicht. In der Saison 2018/19 war man wieder in der Landesliga Odenwald angekommen – fünf Jahre nach dem Aufstieg in die Regionalliga.
Von den ehemals großen Tagen im Elzstadion mit prominenten Gegnern und renommierten Kickern blieb über die Jahre nur noch der andauernde Steuerprozess gegen die Vereinsverantwortlichen. Er war das Einzige, was aus dieser Zeit noch übrig war. Doch seit Kurzem ist auch dieses Kapitel in der Neckarelzer Geschichte zu Ende. Die Staatsanwaltschaft Mannheim hat die Ermittlungen beendet, es kam zu einem Urteil. Die Verfahren gegen die Spieler wurden wegen geringer Schuld allesamt eingestellt. Ein Verfahren wurde eingestellt, da die Ermittler keine Schuld beim jeweils Beschuldigten feststellen konnten.
Verurteilt wurde hingegen der Hauptbeschuldigte: Ein Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung, die Nachzahlung an die verfahrensrelevanten Sozialversicherungsträger und die Zahlung einer niedrigen sechsstelligen Summe an den Staat, lautete das Urteil, das vom Amtsgericht Mosbach verhängt wurde. Zwar behandelt die Wirtschaftsabteilung der Staatsanwaltschaft Mannheim alle größeren Fälle in Baden, dennoch verhängte das Amtsgericht Mosbach die Strafe. "Das liegt daran, dass am Landgericht Mannheim die ,großen Fälle’ verhandelt werden", erklärt Isa Böhmer, Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft. "Für die etwas kleineren Fälle ist es uns möglich, die Gerichte in der jeweiligen Region mit einzubeziehen. Wie in diesem Fall das Amtsgericht Mosbach."
Nach über fünf Jahren waren die Ermittlungen nun abgeschlossen, das Urteil ist bereits seit dem 19. Januar rechtskräftig. Laut Böhmer sei man dabei bemüht gewesen, den entstandenen Schaden so gut wie möglich zu bereinigen, Thomas Ulmer habe den Strafbefehl akzeptiert, auf RNZ-Nachfrage wollte er sich zum Thema nicht äußern.
Mittlerweile hat sich vieles verändert im Elzstadion. Viele Spieler kamen, viele gingen wieder. 2018/19 schaffte man immerhin den erneuten Aufstieg über die Relegation in die Verbandsliga. Vor dem erneuten Corona-Lockdown kämpfte die Mannschaft von Trainer Stefan Strerath um Punkte gegen den Abstieg, steht aktuell auf dem Relegationsplatz. Heute sind Mannschaften wie der VfB Eppingen, der FC Kirrlach und Fortuna Heddesheim zu Gast in Neckarelz. Es sind etwas weniger namhafte Konkurrenten als noch vor fünf Jahren. Was bleibt sind die Erinnerungen an die früheren, glanzvolleren Zeiten.