Die Familie Oppenheimer wurden schikaniert, vertrieben, ermordet
Jüdische Dossenheimer wurden unter dem NS-Regime ihrer Lebensgrundlage beraubt - Wohnung "durch Hitlerbanditen zerstört"

In Dossenheim erinnert seit 2007 ein auf Initiative des Jugendgemeinderats neben dem Rathaus auf dem Friedhofsvorplatz aufgestellter Gedenkstein an die jüdische Familie Oppenheimer. Foto: Alex / Archiv Burkhart (2)
Von Christian Burkhart
Dossenheim. Der 27. Januar ist der "Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus". 2018 ist dabei auch an jene jüdischen Dossenheimer zu erinnern, die vor 80 Jahren endgültig aus ihrem Heimatdorf vertrieben wurden. Zwei Mitglieder der Oppenheimer-Familie wurden 1938 sogar im Konzentrationslager Dachau in "Schutzhaft" genommen. In NS-Gedenkstätten und Staatsarchiven aufbewahrte Dokumente gewähren heute Einblick in die Schicksale der 143 Jahre lang in Dossenheim ansässigen Kaufmannsfamilie jüdischen Glaubens.
Die Geschichte der Oppenheimers in Dossenheim beginnt mit dem jüdischen Metzgermeister und Handelsmann Löb Joseph (1747-1839), der 1795 aus Schries-heim zuzog und 1809 gemäß dem badischen Judenedikt den bürgerlichen Namen Leopold Oppenheimer annahm. Um 1880 gründete sein Enkel Bernhard Oppenheimer (1849-1930) in der Hauptstraße eine Mehl-, Getreide- und Futtermittelhandlung, die auch Geldgeschäfte tätigte. Als sie zum OEG-Bahnhof und damit direkt an die 1906 eröffnete Güterbahnlinie Heidelberg-Schriesheim verlegt wurde, entwickelte sich daraus ein überregional florierendes Familienun-ternehmen.
Mit Adolf Hitlers Machtergreifung begannen 1933 sogleich antisemitische Schikanen. Sie hatten die Verdrängung der jüdischen Minderheit (0,8 Prozent der Deutschen, 0,1 Prozent der Dossenheimer) aus Wirtschaft und Gesellschaft sowie am Ende ihre Enteignung, Deportation und physische Vernichtung zum Ziel.
Seit dem 1. April 1933 hatten auch die Oppenheimers unter dem von den Nazis ausgerufenen Boykott aller "nicht-arischen" Geschäfte zu leiden. 1935/36 kam ihr Handel fast ganz zum Erliegen. Eingeschüchtert von den Drohungen der Nazis, blieb die christliche Kundschaft zunehmend aus. Die jüdische Familie sah sich genötigt, nach und nach ihre Grundstücke samt Wohn- und Wirtschaftsgebäuden zu verkaufen: Von Sigmund Oppenheimer (1875-1942) und dessen Schriesheimer Ehefrau Klara, geborene Marx (1886-1942), ging Straßengelände im Bereich der heutigen Beethovenstraße im April 1934 an die Gemeinde Dossenheim über. Im Februar 1937 wurde das Grundstück mit der Futtermittelhandlung von dem Dossenheimer Spar- und Darlehnskassenverein übernommen, der im Juli 1937 auch noch das Wohnhaus samt Hausgarten in der heutigen Beethovenstraße 24 erwarb.
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Etliche Dossenheimer, die den Oppenheimers Geld schuldeten, nutzten die Gelegenheit und ließen ihre jüdischen Gläubiger abblitzen. Verschiedene Zeitzeuginnen erinnern sich noch daran, dass bei einem Schuldner in der Heidelberger Straße "der Judd" sogar mit einer Peitsche vom Hof gejagt worden sei. Als das Bürgermeisteramt Dossenheim 1962 zur Dokumentation der Judenschicksale auf Fragen der Staatlichen Ar-chivverwaltung antworten musste, hieß es: "Walter Oppenheimer war mit der Betreibung der Schulden beauftragt und dadurch bei einigen Landwirten nicht gerne gesehen."
Eine Zeitzeugin, die den Kaufmann Oppenheimer noch gekannt hat, meinte: "Allgemein boten die Juden ihre Waren günstiger an als die anderen Händler. Wer NSDAP-Mitglied war, kaufte damals aber prinzipiell nichts bei Juden" sagte sie und wurde deutlich: "Auch den anderen Dossenheimern wurde immer wieder gesagt, dass sie bei den Juden nicht mehr einkaufen dürften. Es waren die mit den meisten Schulden bei den Oppenheimers, die am lautesten ‚Juden raus!‘ riefen."
Bereits im September 1937 kehrte Sigmund Oppenheimer mit Ehefrau Klara und Sohn Walter (1911-1971) seinem Geburtsort den Rücken; er zog nach Heidelberg in die Rohrbacher Straße 31. 1938 wurden sie durch die zusätzlichen Vornamen ‚Sara‘ und ‚Israel‘ sowie ein großes rotes ‚J‘ im Personalausweis eigens als Juden gekennzeichnet. Bereits im Oktober mussten sie in das "Judenhaus" in der Heidelberger Endemannstraße 11 umziehen. Dieses wurde während der Pogrome am 9./10. November 1938 von der SA verwüstet. Der junge Walter Oppenheimer wurde festgenommen und vom 11. bis 29. November im KZ Dachau inhaftiert. Nach seiner Freilassung gelang es ihm im Februar 1939, in die USA auszuwandern.
Wie der Theologe Dr. Joachim Maier recherchiert hat, mussten Walters Eltern im Zuge der vom NS-Regime forcierten Ausplünderung der Juden 1939 sogar noch Schmuck und Wertgegenstände - von der goldenen Armbanduhr bis zum silbernen Kaffeelöffel - im Pfandleihhaus abliefern.
Am 22. Oktober 1940 wurden die Oppenheimers schließlich abgeholt und mit rund 6500 anderen badischen und saarpfälzischen Juden per Eisenbahn nach Südfrankreich in das berüchtigte Lager Gurs deportiert. Im August 1942 wurde Klara Oppenheimer nach Drancy bei Paris verlegt und von dort aus mit dem 17. Transport des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) in den Osten gebracht. Da sie über 40 Jahre alt war, wurde sie wohl unmittelbar nach der Ankunft in Auschwitz-Birkenau, am 12. August 1942, an der Eisenbahnrampe selektiert, in der Gaskammer ermordet und im Krematorium verbrannt. Da dies aber nicht dokumentiert ist, wurde sie nach dem Krieg durch das Amtsgericht Heidelberg zum Kriegsende (8. Mai 1945) für tot erklärt.
Sigmund Oppenheimer, der schon im März 1941 nach Les Milles bei Marseille verlegt worden war, wurde ebenfalls im August 1942 über Drancy in den Osten verbracht. Mit dem 21. RSHA-Transport erreichte er Auschwitz-Birkenau am 21. August. Dort ereilte ihn - da über 50 Jahre alt - offenbar dasselbe Schicksal wie schon zuvor seine Ehefrau.
Anfang Dezember 1938, kurz nach dem Novemberpogrom, sah sich auch der in Heidelberg lebende jüngste Oppenheimer-Bruder Sally (1886-1942) veranlasst, das ihm seit 1911 gehörende Wohnhaus samt Hausgarten in der Handschuhsheimer Landstraße 6 an einen Dossenheimer Handwerker zu verkaufen. Damals ging die sogenannte "freiwillige Arisierung" gerade in die staatlich verordnete "zwangsweise Arisierung" über. Was regelmäßig formell als "Verkauf" mit notariellem Vertrag inszeniert wurde, wird heute als "Raub" gewertet. Sally Oppenheimer war mit der Sinsheimerin Flora, geborene Beer (1895-1940), verheiratet und sie hatten zwei Kinder: Franz (1921-1972) und Eleonore (1925-1968).
In Sallys Dossenheimer Haus jenseits der "Chaussee" hatten bis zum Novemberpogrom und der anschließenden Arisierung noch zwei verwitwete Schwestern der Oppenheimer-Brüder gewohnt: Rosa Oestreicher (1877-1953) war nach dem Tod ihres Ehemannes, des Eberbacher Kaufmannes David Oestreicher (1873-1928), 1931 nach Dossenheim zurückgekehrt. Sie betrieb eine Gäste-Pension, und zeitweise hielten sich dort auch ihre Söhne - der Prokurist Hermann (1901-?) und der Ingenieur Sally Oestreicher (1905-?) - auf. Der ältere gelangte 1937/38 über die Balkanroute nach Palästina, der jüngere 1938/39 über die Philippinen in die USA.
Lina Bender (1883-1981) war nach dem Tod ihres Ehemanns, des Frankenthaler Kaufmannes Julius Bender (1882-1933), der sich aus Verzweiflung über Verfolgung und Verluste erhängt haben soll, sowie nach der Arisierung ihrer Landesproduktehandlung 1936 nach Dossenheim zurückgekehrt. Ihre Tochter Lotte (1910-?) hatte sich damals nach Frankreich verheiratet, und ihr Sohn Paul (1910-?) war nach Argentinien emigriert.
Die Novemberpogrome erlebten die beiden Oppenheimer-Schwestern in Dossenheim, wo am Morgen des 10. November 1938 eine Schar NSDAP-Mitglieder und SA-Männer aus dem Dorf in das von den Witwen bewohnte Haus eindrang. Zeitzeugen zufolge warfen sie die Möbel auf die Straße. Die Wohnung der Schwestern, so meldete 1962 das Dossenheimer Rathaus nach Stuttgart, sei "durch Hitlerbanditen grauenhaft zerstört" worden.
Außerdem wurde der bei seiner Mutter Rosa wohnende Sally Oestreicher festgenommen und vom 11. bis 18. November im KZ Dachau inhaftiert, ehe man ihn dann Mitte Dezember auswandern ließ. Lina Bender verlor in der Pogromnacht auch noch ihre Schwiegermutter Fanny, geb. Michel (1854-1938), die in Neustadt an der Haardt in einem von den Nazis angezündeten jüdischen Altersheim verbrannte.
Nachdem Rosa Oestreicher ihr Heimatdorf Ende 1938 fluchtartig verlassen hatte, wohnte sie in Heidelberger "Judenhäusern": 1939 zunächst bei ihrem jüngsten Bruder Sally Oppenheimer und dessen Ehefrau Flora in der heutigen Bunsenstraße 19 a, 1940 dann bei ihrem ältesten Bruder Sigmund Oppenheimer und dessen Ehefrau Klara in der Endemannstraße 11. Wie die anderen wurde 1940 auch Rosa nach Gurs deportiert,; sie überlebte jedoch das Lager und reiste 1946 - mit dem Flugzeug - in die USA zu ihrem jüngeren Sohn. 1953 verstarb sie bei ihrem älteren Sohn in dem 1948 gegründeten Staat Israel.
Lina Bender zog Ende 1938 zunächst zu ihrer Tochter ins französische Straßburg. Nach dem Sieg der deutschen Wehrmacht über Frankreich gelang ihr 1941 die Flucht nach Argentinien. 1948 wieder zurück, wohnte sie zunächst in Straßburg, Frankenthal und Heidelberg. Von 1962 an lebte sie in Baden-Baden, wo sie 1981 verstarb. Bestattet wurde sie auf dem jüdischen Friedhof Frankenthal.
Während bei den Pogromen 1938 die Plünderung jüdischen Eigentums offiziell verboten gewesen war, wurde mit Beginn der Deportationen das zurückgelassene jüdische Hab und Gut ab 1941 im Rahmen sogenannter "Judenauktionen" ganz offiziell "verwertet". Einer Zeitzeugin zufolge soll damals auch in Dossenheim großer Andrang geherrscht haben, als im "Parteiheim" der NSDAP-Ortsgruppe in der Pfarrgasse 6 der "arischen" Bevölkerung die Gelegenheit zu einer solchen Schnäppchenjagd geboten worden sei.
Flora Oppenheimer überlebte unter den entsetzlichen Bedingungen, die im Lager Gurs herrschten, noch nicht einmal den ersten Winter. Ihr Ehemann Sally verstarb im darauffolgenden Winter im Hospital der nahen Stadt Pau.
Ihre Kinder Franz und Eleonore wie auch deren Cousin Walter, der Sohn von Sigmund und Klara, überlebten jedoch den Holocaust im englischen und US-amerikanischen Exil. Franz nannte sich als Engländer fortan Frank S. Orland. Eleonore "Ellie" Oppenheimer hieß infolge einer von 1947 bis 1955 bestehenden amerikanischen Ehe nunmehr Sterling; als Politikwissenschaftlerin publizierte sie aber bisweilen unter dem Pseudonym "E. M. Orland".
Gemeinsam mit Walter, der nach dem Tod in den USA 1971 seine Asche auf dem Dossenheimer Gemeindefriedhof bestatten ließ, kämpften beide nach dem Krieg bis in die 1960er-Jahre juristisch um Rückerstattung und Wiedergutmachung. "Mit seinen Mitstreitern Ellie und Frank soll er (Walter) - gewiss nicht zur Freude der dortigen Einwohner - sogar Dossenheim aufgesucht haben, um Gerechtigkeit zu erstreiten und die angestammten Besitztümer zurückzufordern", schreibt dazu die Politikwissenschaftlerin Dr. Birgit Seemann. Sie hatte 2013 als Band 16 der Buchreihe "Widerständige Frauen" eine Biografie der Enkelin des Dossenheimer Kaufmanns und Firmengründers Bernhard Oppenheimer veröffentlicht.
Nach dieser Professorin Dr. Eleonore Sterling wurde schon 1969 in Frankfurt am Main eine Straße benannt. 1938 war sie als 13-jährige Schülerin allein in die USA emigriert. Sterling machte nach ihrer Rückkehr 1953 bis zu ihrem frühen Tod (1968 im badischen Ebersteinburg) als deutsch-jüdische Kämpferin gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus von sich reden.