Darum sind das keine guten Zeiten für Rehkitze
Jäger schildert aktuellen Fall - Verstörende Szenerie - Immer mehr Freizeitaktivitäten im Wald

Von Tim Kegel
Sinsheim. "Ich möcht’ heutzutage kein Reh sein", sagt Peter Keil und erzählt von zwei Ereignissen aus diesem und dem vergangenen Frühjahr. Eins davon mit glücklichem Ende, das andere verlief schrecklich. Zur Zeit bringen Rehe ihre Kitze zur Welt.
Es war am 3. Mai als Keil einen Anruf erhielt. Spaziergänger riefen ihn an, meldeten sich aus dem Gebiet Waidbach am Stadtrand von Sinsheim. Der Weg hinter dem Berufsschulzentrum führt vorbei an einem Wasserrückhaltebecken. Dort wurden die Spaziergänger Zeugen einer verstörenden Szenerie: Ein großer Hund war gerade dabei, ein Reh zu reißen, schildert Keil.
Die Augenzeugen begannen laut zu rufen, zu schreien, zu drohen "aus, aus!" Der Hund verschwand schließlich, zurück blieb das verletzte Reh. Die Zeugen verloren es aus den Augen, riefen Peter Keil, der in dem Gebiet zur Jagd geht. Gegen 19.45 Uhr war er vor Ort, rund eine Viertelstunde nach der Hundeattacke.
Was nun passierte, sei auch ihm an die Nieren gegangen, schildert Keil. Er suchte nach dem verletzten Reh, fand es schließlich im hohen Gras sitzend. "Es hat mich angeschaut, mich beobachtet, wie ich näher gekommen bin", einen Anblick, den Keil - seit über 40 Jahren Jäger - nicht vergessen wird: Das Reh sei schwer verletzt gewesen, "es kam nicht mehr hoch und fiel immer wieder hin"; das Tier hatte Wunden am Hinterlauf, am Hals und am Maul, schildert Keil. Es blieb nicht viel mehr als ein Gewehrschuss, um das Reh vom Leid zu erlösen.
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Schon beim Eintreffen hatte Keil gesehen: Das weibliche Tier war trächtig; die Rehgeiß hatte ein nahezu vollständig entwickeltes Kitz in der Gebärmutter, das als Folge des Hundeangriffs bereits verstorben war. Keil macht Fotos mit seinem Handy, die wir nicht drucken. "Das Schlimme:", sagt Keil, "es ist jedes Jahr dasselbe."
Der Hund sei von den Passanten, die sich mit Hunden auskennen, "als Entlebucher Sennenhund beschrieben worden", weiß Keil. Hierbei handelt es sich um einen mittelgroßen stämmigen, kurzhaarigen Hund mit kurzen Hängeohren, schwarzem Fell und weißen sowie rötlichen Zeichnungen. Nach den Rufen habe der Hund sofort vom Reh abgelassen: "So, als hätte er gespürt, dass er das nicht darf", sagt Keil: Er selbst ist ebenfalls Hundebesitzer.
Der Hund sei daraufhin schnell über den Waidbach und die stadtauswärts verlaufende Bundesstraße in Richtung Hünenbergweg, Stift Sunnisheim und die Oststadt gesprungen. Möglicherweise war das Tier ausgebüxt. Der Hund habe sich bei seinem Rückzug derartig flink und routiniert bewegt, dass bei den Zeugen der Eindruck entstand, "dass er öfter auf Raubzug geht". Die Polizei wurde über den Sachverhalt informiert.

Genau ein Jahr ist es her, dass eine sehr ähnliche Reh-Geschichte, die Peter Keil und seine Tochter Christine Schweter erlebt haben, ein glückliches Ende nahm: Damals wurden die beiden Jäger in die Felder zwischen Sinsheim und Hoffenheim gerufen. Passanten waren damals einem Hund begegnet, der etwas Dunkles im Maul hatte, es mit sich zerrte und fallen ließ: ein frisch gesetztes Rehkitz - diesmal unversehrt. Keil und Schweter nahmen es mit, päppelten es mühsam auf, tauften es "Harry".
Bis heute ist "Harry" gesund und fit, Auswildern erwies sich jedoch als nicht machbar. Etwas kümmerlicher als seine Artgenossen und vorsorglich kastriert, lebt er fröhlich an einem nicht näher genannten Ort in Kraichgauer Waldnähe.
"Ich würde mir eine Leinenpflicht zur Brut- und Setzzeit wünschen", sagt Keil, der das Tierleid, dessen Zeuge er immer im Frühling wird, ziemlich leid ist. "In jeder Wiese" könnten zur Zeit Rehkitze und Hasenjunge, in jeder Hecke Nester von Bodenbrütern, kleine Nager, junge Füchse und Dachse stecken. Hundehalter wüssten oft nicht darüber Bescheid, "wie weit sich ein Hund ohne Leine entfernt und zu was er womöglich fähig ist".
Verschärft habe sich die Lage im Lauf der vergangenen fünf Jahre, findet Keil: "Öfter als früher" beobachte er, dass Freizeitaktivitäten wie Motocross, Mountainbiking, aber auch Joggen, Wandern und Reiten "mitten durchs Gelände oder im tiefen Wald" praktiziert würden. Dies betreffe selbst empfindliche Biotope und bekannte Naturschutzgebiete wie die Hoffenheimer Klinge, den "Orles"-Steinbruch, die Heckenlandschaften rund um Dühren und die alten Weinberge bei Michelfeld.
Bedenklich sei auch, dass nahezu alle jungen Wildtiere auch dann noch in den Wiesen stecken, wenn diese im Frühsommer gemäht werden, sagt Keil und merkt als Jäger selbstkritisch an: "Und uns gibt’s auch noch." Es endet, wie es anfing, sagt Keil: "Ich möcht’ heutzutage kein Reh sein."