Sinsheim

Wie die Innenstadt vom Autoverkehr entlastet werden könnte

Welche Effekte haben mögliche Verkehrsprojekte? Ein Planungsbüro hat dies untersucht und die Resultate vorgestellt.

24.11.2020 UPDATE: 25.11.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 45 Sekunden
Am „Hütter-Z“ – dem Knoten zwischen Wilhelm-, Haupt- und Friedrichstraße – stoßen wichtige Verkehrsachsen aufeinander. Eine Entlastung scheint schwierig zu realisieren. Foto: Tim Kegel

Von Tim Kegel

Sinsheim. Zukunftsprojekte wie die Nordanbindung, die Osttangente oder die ein wenig in Vergessenheit geratene Südspange würden den Innenstadtverkehr in Sinsheim deutlich entlasten. Dies umso mehr, wenn parallel die Situation für Radfahrer und Fußgänger verbessert und der Öffentliche Personennahverkehr ausgebaut werden würde. Alter Wein in neuen Schläuchen war der Sachstandsbericht, den Verkehrsplaner Reiner Neumann vom Büro "Modus Consult" dem Gemeinderat bei dessen jüngster Sitzung vorgetragen hat.

Der Simulation, die Neumanns Firma für den Verwaltungsgebrauch entwickelt hat, liegen zahlreiche Erhebungen zugrunde. Die Daten-Werker fütterten sie unter anderem mit Zahlen aus einer Haushaltsbefragung über Verkehrsgewohnheiten der Sinsheimer, über die berichtet wurde. Auch Zählungen im Februar, also vor der Corona-Krise mit deren diffusen, kaum einzuordnenden Auswirkungen, flossen hinein. Die Grundlage für eine Verkehrsentwicklungsplanung mit Hand und Fuß schürft tief und holt weit aus: Beispielsweise wurden fiktive Bau- und Gewerbegebiete an künftig denkbaren Standorten, deren Zustrom und das Verkehrsverhalten von Menschen bedacht, die sich dorthin und wieder weg bewegen oder dort leben würden. Weitere Faktoren sind Erkenntnisse zu Mobilitäts-, demografischen, dem Zeitgeist geschuldeten und sich wahrscheinlich entwickelnden Trends. In einem Zeitraum bis ins Jahr 2035. Vor diesem Hintergrund rät die Denkfabrik zu einem umfassenden, ganzheitlichen Ansatz. Und zu einem Programm mit "sinnvollen Maßnahmen für die Zukunft", die "richtungsbezogen" sein müssten – in jedem Fall jedoch zu "einem klaren Ja zur neuen Mobilität".

Verschiedene "Planfälle" wurden durchgespielt. Demzufolge würde eine Osttangente die Friedrichstraße um mindestens 7000 Fahrzeuge pro Tag entlasten; und um noch einmal bis zu 700 weitere, wenn ein verkehrsplanerischer "Umweltverbund" eingerichtet werden würde.

Bis zu 4300 Fahrzeuge weniger kämen durch die Hauptstraße im Fall des Baus einer Nordanbindung. Bei einem "Voll-Anschluss" durch die Umsetzung aller dieser Projekte rücke eine "verkehrsberuhigte Hauptstraße" näher. Neumann beschrieb ein Szenario als möglich, das sich in ähnlicher Form in Eppingen findet. Allerdings müsse dies dann auch zum Laden-Mix passen.

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Aus ähnlichen Gründen ist Neumann bei einer Südspange skeptisch: Die einiges an Landschaft fressende Trasse südlich der Autobahn würde wohl der Ansiedlung von Logistik-Riesen auf zusätzlichen 40 Hektar Gewerbeflächen Vorschub leisten, die viel Platz benötigen, aber nur wenige Arbeitsplätze schaffen würde.

Ein erster Aufreger: "Ohne Logistik keine Versorgung" lautete SPD-Rat Jens-Jochen Roths Zwischenruf. Minuten vorher ging es bereits darum, dass zunehmende Online-Bestellungen künftig die Verkehrsströme verändern könnten: Wo dann weniger Kunden zu den Geschäften fahren würden, seien mehr Lkw und Zusteller-Fahrzeuge unterwegs und bei der Abwicklung von Päckchen und Retouren zugange. Statistisch kann Neumann, wie er sagt, diese Entwicklung belegen.

Ebenso, dass ein Umstieg aufs Elektromobil nicht zwangsläufig zu weniger Autos auf den Straßen führe. In der Autostadt Sinsheim – auch dies glauben die Forscher zu wissen – sitzen die Meisten bei den meisten Fahrten immer noch allein hinterm Steuer, ob Benziner, Diesel oder E-Antrieb.

Ein zugespitztes Szenario lässt Neumann unter dem Stichwort "Mobilitätswende" laufen: Würden 51 Prozent der Nutzer Fuß-, Rad- und Öffentlichen Nahverkehr bevorzugen und 49 Prozent den "motorisierten Individualverkehr", dann habe man es in der Friedrich-, Haupt- und Neulandstraße nur mit zwischen 700 und 800 Fahrzeugen pro Tag weniger zu tun. Viele sind das nicht.

Der Aha-Effekt im Gremium hielt sich dennoch in Grenzen. Die Untersuchung bestätigt jedoch bisherige Erfahrungen, Vermutungen, Einschätzungen und Indizien und zieht einen Handlungsrahmen. "Wir müssen in allen Bereichen etwas tun", empfahl Neumann dem Gremium, das kurz vorher die Sanierung der Realschule wegen leerer Kassen verschoben hatte.

Neumann empfiehlt konkret, Knotenpunkte zwischen Dührener Straße und Jahnstraße zu entschärfen. Und auch das so genannte "Hütter-Z" vor dem Karlsplatz zwischen Wilhelm-, Haupt- und Friedrichstraße in der Innenstadt.

Zu mehr Entscheidungsfreude und Konzepten für neue Mobilitätsformen riet Neumann mehrfach, ebenso zu einem "klaren Bekenntnis, in welche Richtung wir wollen".

Trotzdem gab es vor allem im Lager der Grünen Kritik: Anja Wirtherle fand in dem Vortrag ihre Annahme nicht genügend untersucht, dass "neue Straßen neuen Verkehr" erzeugen würden. Anja Fürstenberger störte sich daran, dass sich die Diskussion immer nur um die Frage drehe, "wie die neuralgischen Punkte im Zentrum entlastet werden". Es reihe sich "Wohngebiet an Wohngebiet", während der Verkehr nach wie vor durch die Ortschaften "rauschen" würde. Neumann hofft auf Besserung nach dem Ausbau der Autobahn.

Im kommenden Jahr soll sich das Gremium mit einem Verkehrsentwicklungskonzept auf Basis der Datengrundlage befassen. Ein genauer Zeitpunkt steht noch nicht fest.

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