Flüchtlinge anderer Länder vermissen Behandlung wie Ukrainer
Genießen die Ukrainer einen privilegierten Status? Beim "Ukraine-Austausch" kam auch die Enttäuschung anderer Nationalitäten zur Sprache.

Sinsheim. (cba) Die 53-jährige Tetiana ist vor acht Monaten mit Sohn und Tochter aus Kiew geflüchtet. Ihr Mann darf nicht ausreisen und kümmert sich um seine betagte Mutter. Die Möglichkeit, mit ihm zu telefonieren, habe sie selten, da die Infrastruktur in Kiew durch Raketenangriffe stark beschädigt sei, Strom und Mobilfunknetz nur bedingt funktionierten. Dennoch sei sie noch in einer glücklichen Lage, sagt Tetiana. Andere Frauen, etwa aus der zerstörten Region um Bachmut hätten keinen Ort mehr, an den sie zurückkehren können.
Tetiana besucht mittwochs den "Ukraine-Austausch" im Sam-Café auf dem Sinsheimer Burgplatz, wie viele ihrer Landsleute auch.
Im Heimatland habe sie als Projektleiterin eines Unternehmens gearbeitet, sie spricht fließend Englisch. Sehr froh sei sie nun, bei einer deutschen Familie in Rohrbach gut untergekommen zu sein. Einen Sprachkurs besucht sie, meint aber, dass es sei für viele Ukrainer nicht leicht sei, innerhalb kürzester Zeit Deutsch zu verinnerlichen: "Die meisten von uns haben wenig Möglichkeiten, die Sprache zu trainieren, da sie nicht arbeiten." Tetiana sieht sich im Vorteil wegen ihrer Englischkenntnisse. Ihre Tochter habe bereits in Kiew Deutschunterricht gehabt.
"Katastrophe, großes Problem", sagt eine junge Frau am Stammtisch, "Wohnung finden." Das Geld, das ihr das Jobcenter zahlt, reiche nicht für die Miete: "Die Wohnungen sind zu teuer und es gibt zu wenige davon", sagt eine Übersetzerin am Tisch, ebenfalls aus der Ukraine. Die Kaution, die Vermieter üblicherweise verlangen, stelle eine zusätzliche Hürde dar.
Einen Job suchen könne die sich Frau, die mit ihrem elfjährigen Sohn geflohen ist, erst nach erfolgreichem Abschluss eines Sprachkurses bei der Volkshochschule. Einige Teilnehmerinnen am "Ukraine Austausch" leben bei deutschen Familien, andere kamen zunächst in die Asylunterkunft im Fohlenweideweg: "Das sind aber sehr schlimme Verhältnisse dort", findet die Übersetzerin: Das enge Zusammenleben von Menschen vieler unterschiedlicher Kulturen bringe "immer wieder Reibereien" mit sich.
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Grünen-Stadtrat Alex Riederer will sich nun darum kümmern, die Schwierigkeiten mit dem Jobcenter zu klären: Wichtig findet er es, "im Austausch zu bleiben, um die Probleme konkret anzugehen". In vielen Fällen funktioniere das, auch bei gemeinsamen Unternehmungen werde der Kontakt vertieft, so dass die Integration leichter gelinge.
Enttäuschung erlebt Sam-Vorsitzender Marcel Fink in Gesprächen mit Menschen, die aus anderen Ländern nach Deutschland gekommen sind: Eine Behandlung, wie sie die Ukrainer oft genießen würden, werden vermisst: "Die Flüchtlinge aus der Ukraine haben einen etwas privilegierten Status", findet Fink. Ein Satz, den er von Syrern höre, laute: "Sind wir nicht auch aus dem Krieg gekommen?"
Rund 160 Menschen aus der Ukraine haben laut Volkshochschulvizeleiterin Simone Philipp bislang Sprachkurse besucht. Derzeit seien es etwa 120. Längst nicht alle hätten die Kurse beendet, viele seien in die Heimat zurückgekehrt oder umgezogen.
"Die meisten Personen aus der Ukraine sind lateinisch alphabetisiert", erklärt Philipp; einige müssten allerdings nicht nur eine neue Sprache, sondern eine neue Schrift lernen. "Die Anzahl der Zweitschriftlerner ist aber merklich zurückgegangen."
Integrationskurse sind umfangreich. Mehr als 700 Unterrichtseinheiten sind vorgesehen. Die Vollzeitkurse finden an täglich außer am Wochenende mit je fünf Einhalten am Tag statt und erstrecken sich über neun Monate.
Kurse, die sich speziell an Ukrainer richten, gibt es nicht. Jedoch seien wegen der erhöhten Nachfrage vier zusätzliche Deutschkurse im Angebot, was die Warteliste verkürze. Bis zu drei Monate dauere es, bis ein Platz frei wird. Anmeldetermine gibt erst wieder im April.
Geld für den Unterricht stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bereit. Allerdings fehlten Dozenten: "Wir haben leider nicht genügend", bedauert Simone Philipp. Frühere Dozenten oder solche im Ruhestand seien nun von der Bundesbehörde angeschrieben worden, um diese zurückzugewinnen.



