Betrüger bringen Senioren um ihre Rente
Eine Welle von Schockanrufen falscher Polizeibeamter schwappt über die Region.

Von Tim Kegel
Sinsheim/Kraichgau. Eine Masche, so hinterhältig, dass das menschliche Vorstellungsvermögen in vielen Fällen überfordert wird. Und die sich in den vergangenen Tagen so oder ähnlich im Kraichgau vielfach zugetragen hat: Schockanrufe, falsche Polizeibeamte oder Enkeltricks. Polizeisprecher Norbert Schätzle weiß von "25 Anrufen in der Region. Pro Tag." Wobei die Dunkelziffer nach Einschätzung der Polizei hoch sein dürfte.
"Da ruft jemand an und schluchzt", macht Schätzle ein Beispiel. Oft fragen die Anrufer Vornamen ab; geben an, in Tragödien verwickelt zu sein, erzählen von schweren Unfällen, Krankenhaus oder drohenden Haftstrafen. Sie reden von anstehenden Einbrüchen oder üblen Betrügereien, die man gerade aufdecke, weshalb man die Kooperation der Opfer benötige. "Über viele Stunden" seien ältere Menschen mit Anrufen "torpediert worden", bis diese hohe Bargeldsummen verzweifelt an Wildfremde herausgaben. Eine der betroffenen Personen ist 90 Jahre alt.
Perfide Verwirrspiele am Telefon fänden da statt; oft mit verteilten Rollen zum Aufbau von Drohkulissen. Um glaubhaft zu wirken, schüchtern neben falschen Angehörigen und fingierten Polizisten auch vermeintliche Staatsanwälte die Opfer ein.
"Die stehen dann permanent auf der Matte", beschreibt Schätzle. Besonders gemein: Falsche Polizeibeamte hatten angegeben, einen Falschgeldring aufzudecken, in den örtliche Bankmitarbeiter involviert seien. So sollte vermieden werden, dass Betrugsopfer beim Abheben größerer Summen am Bankschalter über die Polizei sprechen.
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Schwerpunkt war jetzt der Sinsheimer Raum mit Fällen in der Weststadt, Eschelbach, Angelbachtal, Reichartshausen und Helmstadt. Während in den meisten Fällen sofort aufgelegt wurde, bemerkten zwei Senioren in Sinsheim und Helmstadt den Betrug zu spät: Immer seien "fünfstellige Summen" an die Gangster übergeben worden. Sie holten das Geld an der Haustür ab.
Wie kann es so weit kommen?
Tatsächlich sind dem Polizeisprecher Fälle bekannt, bei denen bündelweise Geld hinter Autoreifen oder Hecken zur Abholung deponiert wurde. Nach der Tortur mit Psychotricks und in Annahme, das vermeintlich Richtige zu tun, spürten die Betrogenen bisweilen "sogar Erleichterung", wenn das Geld übergeben ist. "Mehrere tausend" Fälle hat es in den vergangenen Jahren im Bereich des Polizeipräsidiums gegeben. Die Gesamtschadenssumme in Mannheim, Heidelberg und den Rhein-Neckar-Kreis liegt bei mehr als drei Millionen Euro.
Die Folgen der Taten sind tragisch, schildert Schätzle, "weil eine ganze Lebensplanung mit einem Mal kaputt geht". Die hohen Summen würden als Altersvorsorge oder Erbe betrachtet. Einmal übergeben, sind sie unwiederbringlich verloren; die Aufklärungsquote der Fälle ist gering: weniger als fünf Prozent. Der den Senioren in Sinsheim und Helmstadt, aber auch in Plankstadt und Neckargemünd entstandene Gesamtschaden soll mehr als 150.000 Euro betragen.
Die Ermittler der Kriminalpolizei hoffen jetzt auf Hinweise zu verdächtigen Personen und Fahrzeugen. In Sinsheim konzentrieren sich die Ermittlungen auf die Dresdner, Breslauer und Magdeburger Straße, die Westliche Ringstraße, die Werder- und Hauptstraße.
In Helmstadt sei das Geld vor die Haustür gelegt worden – wann es abgeholt wurde, ist unklar. Es könnten am Nachmittag des vergangenen Mittwochs zwischen Kinderschulweg, Raban- und Asbacher Straße und dem Wasserschlossweg Personen oder Fahrzeuge aufgefallen sein.
Verantwortlich sind professionell organisierte Banden, die von Callcentern in der Türkei oder Polen aus agieren. Um die Abholung, möglicherweise auch um die Recherche nach potenziellen Opfern – etwa über älter klingende Vornamen in Telefonbucheinträgen oder Adressregistern – kümmern sich Kontaktleute in Deutschland. In Sinsheim wird nun nach einem circa 20 bis 25 Jahre altem, dicken Mann gesucht, der schwarze, kurze, seitlich und am Hinterkopf "extrem ausrasierte" Haare hat und eine dicke, schwarze Winterjacke, eine schwarze Stoffhose und schwarze Schuhe trug.
Eine Beschreibung, die nicht unbedingt nach typischem Polizeibeamten klingt. Auch hier werde vorgesorgt: Oft werde von "Kollegen" gesprochen, die als Bote natürlich "zivil und inkognito kommen müssen", sagt Schätzle. Weitere Anrufe in den kommenden Tagen seien sehr wahrscheinlich.
Was kann man tun?
Erste Regel ist laut Schätzle, "dass die Polizei niemals kommt und Geld oder Schmuck abholt und keine Boten schickt." Anrufern sollten keine Details zu familiären und finanziellen Verhältnissen nennen und sich Zeit nehmen, um Angaben des Anrufers zu überprüfen. Werden bekannte Personen genannt, sollten diese angerufen werden. Auch das Streichen von Vornamen aus Telefonbucheinträgen kann nützlich sein.
Schätzle gibt auch zu bedenken, dass manche Fälle "aus Scham" vielleicht nie bekannt werden, auch dass in Familien wenig über gegenseitige Finanzverhältnisse gesprochen wird, spiele den Tätern möglicherweise in die Hände. Am besten könne man vorbeugen, wenn in Familien offen über das Thema geredet wird und es "genaue Absprachen" gibt. "Die Treffen in der Weihnachtszeit bieten sich dafür an."
Info: Hinweise zu aktuellen Fällen gehen an den Kriminaldauerdienst unter Telefon 0621 / 1744444 oder an das Polizeirevier Sinsheim unter Telefon 07261 / 6900. Beratung der Polizei zum Thema gibt es unter Telefon 0621 / 1741212 oder 06221 / 991234.



