Sinsheims Innenstadt verödet, der Leerstand nimmt zu
Die Stadtspitze und das Wirtschaftsforum äußern sich im RNZ-Gespräch zu Machbarkeiten und Problemen.

Von Tim Kegel
Sinsheim. Der Innenstadt von Sinsheim ging’s schon einmal besser: Die Verödung mit vielen Leerständen nimmt zu, die Vielfalt geht zurück. Doch was tun? Eine Innenstadt-Befragung im Auftrag der Stadt soll nun Klarheit schaffen. Im Vorfeld äußerten sich Oberbürgermeister Jörg Albrecht, Stadtmarketing-Sprecherin Melanie Wricke sowie Knut Meißner, Vorsitzender des Sinsheimer Wirtschaftsforums, und Klaus Gaude vom Arbeitskreis Handel und Handwerk zu Fragen der RNZ.
Was macht eigentlich die Innenstadt-Umfrage der Stadtverwaltung vom vergangenen Herbst?
Albrecht: Wir werden die Ergebnisse am 28. März, also diesen Dienstag, im Gemeinderat präsentieren.

Können Sie etwas aus den Ergebnissen vorwegnehmen?
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Albrecht: Das macht wenig Sinn, weil wir etwas Umfassendes präsentieren wollen, sprich: eben nicht nur das reine Ergebnis, zumal auch dieses vielschichtig sein wird.
Was meinen Sie genau mit etwas Umfassendem?
Wricke: Wir haben deutlich gespürt, dass jeder die Ergebnisse dieser Umfrage wissen will. Aber es wäre doch etwas wenig gewesen, nur ein Ergebnis in den Raum zu stellen und nicht auch zumindest Ansätze einer Lösung oder eine Analyse.
Albrecht: Deshalb wird es bei der Sitzung nur einen einzigen Tagesordnungspunkt geben. Der heißt dann "Innenstadt-Befragung" und wird sauber aufbereitet. Wir wollen dem Thema alle Zeit geben, die es braucht. Und wir haben uns externe Beratung von der Industrie- und Handelskammer geholt; nicht nur, aber auch für diesen Abend.
Hat aber trotzdem ganz schön lange gedauert, finden Sie nicht?
Albrecht: Sagen wir mal so: Wir hätten das theoretisch in der Weihnachtszeit oder zwischen den Jahren machen können – da wär’ das Thema aber untergegangen, wegen des Weihnachtsgeschäfts oder der Ferienzeit. Das wär’ ähnlich unpassend gewesen wie ein Grillfest am Karfreitag (lacht). So etwas darf man nicht verschießen. Ins Auge gefasst hatten wir daher April. Nach der neuerlichen Innenstadt-Diskussion wird es jetzt dieser Dienstag, also etwas früher.
War das Wirtschaftsforum in irgend einer Form an dem Prozess beteiligt?
Meißner: Es gibt ständig einen Austausch mit der Stadt, im Minimum alle vier Wochen, den wir auch kontinuierlich fortführen. Dazwischen greift man auch mal zum Telefon. Die Vorhaltung, dass alles nur in Hinterzimmern stattfinden würde, hat uns doch ein bisschen geärgert.
Um welche Themen, die dem Gast in der Innenstadt auffallen, geht es bei Ihren gemeinsamen Treffen?
Meißner: In der jüngeren Vergangenheit waren das, nur als einige Beispiele, die neue Weihnachtsbeleuchtung, die das Wirtschaftsforum finanziert hat, der Karlsplatz oder auch Überlegungen zum Digitalen Marktplatz. Es gibt aber auch Themen, die zunächst nicht-öffentlich besprochen werden müssen, etwa um deren Erfolgschancen nicht zu gefährden.
Gaude: Zur Corona-Zeit hatten wir die Aktion "Sinsheim hält zusammen" sowie eine Gutschein-Aktion beim Einzelhandel und bei der Gastronomie, die die Verwaltung mit 50.000 Euro bezuschusst hat. Das Wirtschaftsforum mit der Kanzlei von unserem früheren Vorsitzenden Thorsten Seeker hat dazu die Allgemeinen Geschäftsbedingungen gebaut.
Wricke: Die Website von damals ist übrigens noch hinterlegt und ließe sich wieder aktivieren.
Mit gemeinsamen Internet-Initiativen hat man ja keine so guten Erfahrungen gemacht.
Gaude: Das war das E-Commerce-Projekt "Marktplatz-Sinsheim" vor einigen Jahren. Zuerst wirkte es so, als würde es eine gute Beteiligung geben. Am Ende ist es daran gescheitert. Dann muss man aber auch abschließen können.
Angesichts der Corona-Auflagen hätt’ man’s dann doch umsetzen sollen. Sind die Einzelhändler zu unflexibel?
Gaude: Vielleicht wären einige über die zusätzliche Möglichkeit froh gewesen, weiß man nicht. Andererseits muss eine Internet-Präsenz gut gepflegt werden. Nicht wenige Einzelhändler sind eine Art One-Man-Show und schaffen keine 60 und mehr Wochenstunden. Zeit ist mehr denn je ein knappes Gut.
Viele Leute in Sinsheim, die keine Insider sind, nehmen das Wirtschaftsforum hauptsächlich über den Sinsheimer Herbst wahr und das Stadtmarketing durch Tourismus-Werbung. Dann heißt es oft: Eppingen oder Heilbronn machen’s besser ...
Meißner: Es ist auch keine einfache Zeit für unsere Mitglieder. Wir sind ein ehrenamtlicher Zusammenschluss, jeder von uns hat ein Geschäft oder eine Firma mit spezifischen Herausforderungen. Aber jetzt haben wir gesagt, dass wir ein "Design Thinking" machen wollen, auch zum Thema Innenstadt. Denn jeder hat ja so seine Ideen, was angebracht oder wünschenswert ist und die wir zusammentragen wollen. Nur, wie so oft: Es braucht Leute, die da mitmachen.
Albrecht: Es ist ja bekannt, dass ich in Mauer lebe und auch mit Menschen von dort und den dortigen Orten zusammenkomme. Dort wird mir noch einmal ein ganz anderes Sinsheim-Bild beschrieben. Im Sinne von: "Ihr macht es gut; wir kommen gern zu Euch."
In Sinsheim ist eher der Wunsch nach einer Rückvergütung in den Läden beim Geld fürs Parken zu hören – oder nach weniger Imbissbuden oder Friseuren.
Albrecht: Sinsheim hat wirklich Hunderte günstige oder sogar kostenlose Parkplätze in direkter Innenstadtnähe, am Festplatz, am Bahnhof, in den meisten Parkhäusern. Unsere kurz- und mittelfristigen Planungen wirken auf eine verkehrsberuhigte Innenstadt hin, und wir schaffen den Rahmen für Aufenthaltsqualität, etwa durchs Freibad, den Wohnmobil-Stellplatz, die Alla-Hopp-Anlage und das Kulturquartier.
Gaude: Mit einem Vergütungs-Modell, etwa einem gewerblichen Parkpfennig, haben wir vor Jahren keine guten Erfahrungen gemacht. Die Münzen auf einem Papierstreifen wurden teils sogar weggeschmissen. Manche Händler hatten am Ende Kartons davon im Lager stehen.
Was unternehmen Sie denn ganz konkret für eine belebte Innenstadt mit einem vielfältigen Mix?
Albrecht: Vieles, was man vielleicht nicht auf den ersten Blick merkt, wenn man sich täglich hier bewegt, ist auf die Steigerung von Frequenz ausgerichtet. Aber wenn zum Beispiel ein gutbürgerliches Restaurant nach einem Wechsel ein gutbürgerliches Restaurant bleibt und eine Bäckerei eine Bäckerei, dann ist das zwar in unserem Interesse, aber dazu braucht es Vermieter, die das genauso sehen. Da können wir uns treffen und versuchen, zu vermitteln. Aber eigentlich haben wir als Stadt da keine Aktien drin. Aber wir können die Tourist-Info im Alten Rathaus ansiedeln und dort Buga- oder Maimarkt-Karten verkaufen – das zielt auf Publikum ab. Oder das Gebäude der "Bonita"-Kette im Städtischen Kulturquartier, das wir entwickelt haben: Das haben wir ja nicht gekauft, weil wir vom Rathaus schon immer mal eine Boutique machen wollten ...
Gaude: Aber Filialen bieten ein Stück Sicherheit ...
Auch nicht unbedingt: Vögele ging weg, jetzt stehen Teile vom riesigen Volksbank-Komplex leer. Gerry Weber ist auch weg ...
Meißner: Hinter solchen Entwicklungen steht oft Internet-Konkurrenz. Die Leute flanieren weniger. Es gibt schwierige Rahmenbedingungen, auch im Kleinen: Ich kann mal ein Beispiel aus der Industrie nennen, Stichwort Überprüfungen des Verbands für Elektrotechnik. Jedes Kabel wird kontrolliert. In meiner Firma kommen alleine dafür Kosten von mehr als 50.000 Euro im Jahr zusammen.
Gaude: Und die Zeit der Corona-Maßnahmen hat Auswirkungen, diese zwei Jahre tun Dir noch heut’ weh. Und alles schaut jetzt auf den 30. Juni: Dann sammelt die Landesbank die ausgezahlten Corona-Hilfen wieder ein. Man blickt schon über die Landesgrenze – Hessen, zum Beispiel, macht das nicht.
Albrecht: Manches Angebot, das sich Besucher in Sinsheim wünschen, scheitert aber auch an der Realität in einer Stadt dieser Größenordnung: Es gab mal einen Vermieter, der mir gegenüber sicher war, eine größere Restaurantkette in die Innenstadt zu holen. Ich war von vorn herein skeptisch – funktioniert hat es am Ende nicht.
Da traut man sich ja fast nicht zu fragen, was gegen die Leerstände unternommen wird, etwa in den Passagen.
Gaude: Unter den aktuellen Bedingungen ist es umso schwieriger, eine Gewerbeimmobilie anzumieten. Sie stoßen da auch schnell auf Hürden durch bauliche Vorschriften.
Albrecht: Das ist auch eine Vermietersache. Will ich attraktiv vermieten, dann brauche ich attraktive Räume, hell, barrierefrei. Wir forcieren das, sobald wir in Gesprächen die Gelegenheit dazu haben. Die haben wir aber oft nicht, weil das nicht originäre Rolle der Stadt ist. Dann hatten wir Beispiele im Umgang mit Leerstand, über die ich nicht konkreter werden kann, die sich ohne Moderation durch die Stadt und viel Kooperation auf allen Seiten sehr wahrscheinlich viel länger hingezogen hätten. Ich kann andeuten, dass wir noch an der einen oder anderen weiteren Sache im Bezug auf Leerstände dran sind. Mehr dazu sagen darf ich nicht.
Die Leute sehen nun einmal nur das, was sie sehen. Dann muss man sich nicht wundern, wenn von Hinterzimmer die Rede ist.
Meißner: Ich kann die Anliegen und die Innenstadt-Diskussion ja verstehen. Und im Grunde hat jeder Leserbrief und jeder Kommentar auch Recht. Aber das Thema ist komplex und hat viele Ursachen, Zuständigkeiten und Verästelungen. Im Hintergrund tut sich schon einiges. Bei vielen Planungen gibt es aber auch Verschwiegenheitserklärungen. In der Wirtschaftsförderung ist das in gewisser Weise normal.
Gaude: Hinzu kommt: Ein Einzelhandelsgeschäft eröffnet man heutzutage auch nicht mehr so leicht wie in den 90er-Jahren, als es noch ganz andere Margen gegeben hat. Das Internet setzt uns da genauso zu, wie diverse Auflagen und ein Wandel bis hin zur zweistufigen Lagerhaltung. Eine Imbissbude zum Beispiel hat, sagen wir mal überspitzt, einen Euro Materialeinsatz je fünf Euro Einnahmen. Und das große Problem ist zurzeit eh, Personal zu finden. Mehrere Schließungen in Sinsheim in der jüngsten Zeit hängen damit direkt zusammen.
50 Jahre lang schien Personal kein großes Problem zu sein. Wo sind denn die ganzen Leute?
Gaude: Das fragen wir uns täglich.
Meißner: Es ist aber schon seit Jahren schwierig, Nachwuchs zu generieren. Nur zwei Beispiele: Wir sind mit dem Video-Projekt unserer Mitglieder namens "Rocket Job" vor Jahren an Schulen und in Jugendtreffs gegangen – eine ernüchternde Erfahrung mit kaum Rücklauf. Die einstige Lehrstellenbörse des Wirtschaftsforums und der Stadt erreicht mit einem neuen Konzept und einem privatwirtschaftlichen Ausrichter weniger den klassischen Einzelhandel oder das Handwerk, wie es scheint.
Es gibt aber auch Gewerbetreibende in Sinsheim, die für einen Gewerbeverein und für gemeinsame Aktionen unerreichbar scheinen.
Gaude: Das ist so.
Meißner: Wobei man generell gut beraten ist, Kontakt mit uns und der Wirtschaftsförderung aufzunehmen, wenn man ein Geschäft eröffnen will. Man trifft da auf viel spezifisches Know-how und Unterstützung.
Ein Dauerthema seit Jahren sind einheitliche Öffnungszeiten. In Sinsheim offenbar nicht zu schaffen.
Gaude: Kaum eine Stadt bekommt das hin. Oder doch, es gibt einen einzigen Ort in Sinsheim, wo das geht: Hasselbach (lacht). Und das auch nur, weil es dort keine Läden gibt. Aber im Ernst: Es kommt sehr stark auf die Branche an und auf die jeweilige Kalkulation. Meine Buchhandlung, die auch aktuelle Presseerzeugnisse wie Tageszeitungen verkauft, ist mit einer Öffnungszeit von 9 Uhr vielleicht schon etwas spät dran. Bei einem Textiler sind 9.30 oder 10 Uhr ausreichend – wer kauft sich auf dem Weg zur Arbeit denn schon Hosen? Ein gut gepflegter Google-Geschäftseintrag ist inzwischen aber essenziell.