Bürgerkreis und psychologische Beratungsstelle tippen sich die Finger wund
Angebote werden aufrecht erhalten - Neue Kommunikationsformen

Von Anjoulih Pawelka
Sinsheim. Die Zeiten sind wahrscheinlich für niemanden einfach, doch wie gehen Menschen mit der derzeitigen Situation um, die psychisch krank sind?
"Wir versuchen auch in dieser schwierigen Zeit den Kontakt zu unseren Klienten zu halten", sagt Andrea Struzyna, die Geschäftsführerin des Bürgerkreises, der sich vor allem um Menschen mit psychischen Erkrankungen kümmert. Diese gingen mit der derzeitigen Situation sehr unterschiedlich um, erzählt sie. Manche kämen mit den Gegebenheiten sehr gut zurecht, obwohl sie in einer "wackeligen Konstitution" seien.
Andere wiederum bräuchten eigentlich mehr Betreuung, weil die Situation für sie sehr belastend sei. Da persönliche Kontakte derzeit aber nur in Ausnahmesituationen und im Freien stattfinden, kümmern sich die Mitarbeiter vor allem telefonisch um die Klienten. Ohne Mimik, Blickkontakt und Gestik ein Gespräch zu führen, sei teilweise sehr herausfordernd. Hinzu kommt ein weiteres Problem: Einige Klienten telefonieren sehr ungern.
Daher arbeiten die Sozialpädagogen viel mit Messenger-Diensten oder Videotelefonie. "Die Kollegen tippen sich die Finger wund", sagt Struzyna. Aber schon alleine die Tatsache, dass die Mitarbeiter auf irgendeine Art und Weise erreichbar seien, würde die Klienten beruhigen. Teilweise haben die neuen Kommunikationsformen auch Vorteile. Einige Klienten würden dadurch viel mehr aus sich herauskommen und gegenüber den Mitarbeitern viel offener sprechen.
Auch interessant
Struzyna und ihre Kollegen haben die Erfahrung gemacht, dass die "soziale Distanzierung" gepaart mit der Angst, sich anstecken zu können, bei manchen Klienten zu einem totalen Rückzug führt. Durch die Schließung vieler Einrichtungen fällt die für Erkrankte wichtige und gewohnte Struktur im Alltag weg. Diese trotzdem irgendwie zu erhalten, ist derzeit in vielen der Gespräche Hauptthema.
Wenn die äußeren Strukturen wegfielen, sei das Erreichte in Gefahr, sagt Struzyna. Aber auch der Umgang mit der vielen Zeit ohne Sozialkontakte, Einsamkeit sowie der Umgang mit Ängsten sind Inhalte, mit denen sich der Bürgerkreis beschäftigt. Vor allem bei Risikogruppen kommen auch die Organisation des Einkaufs oder Arztbesuche hinzu. Viele Klienten wollten aber auch einfach nur reden und ihre Sorgen teilen.
Wie sich die Situation für die einzelnen Personen verändert, sei sehr unterschiedlich. Es gebe Menschen, die auch in normalen Zeiten viel zu Hause seien oder alleine unterwegs, sagt Struzyna. Für diese würde sich aktuell wenig verändern. Sie gibt aber auch ein Beispiel von einem Klienten, der schon fast panisch sei und sein Haus gar nicht mehr verlassen möchte und teilweise schon paranoide Züge zeige. Daher ist es auch eine Aufgabe der Mitarbeiter, Aufklärungsarbeit über das Corona-Virus zu leisten, und beispielsweise auch die aktuellen Maßnahmen der Regierung mit den Klienten einzuordnen und zu besprechen.
Bis jetzt gebe es tatsächlich nicht mehr Klienten als sonst. Beim Sozialpsychiatrischen Dienst haben sich die Neuanfragen sogar reduziert, und einige Menschen mit psychischen Erkrankungen haben ihre Termine erst einmal ausgesetzt. Struzyna kann sich allerdings vorstellen, dass die Telefonseelsorgen mehr zu tun haben.
Auch bei der psychologischen Beratungsstelle geht zurzeit jeglicher Kontakt über das Telefon. "Ein guter Teil nimmt das in Anspruch", sagt Albrecht Oettinger, der Leiter der Beratungsstelle, die sich vor allem um Erziehungs-, Paar- und Lebensberatung kümmert. Auch hier sei die Lage noch relativ ruhig. Die Klienten seien sehr verständnisvoll. Er glaubt aber, dass in der nächsten Zeit auch Klinikpersonal und Personen aus der Jugendhilfe sich vermehrt bei der Beratungsstelle melden könnten. Und auch was die Familienberatung betrifft, kann er sich in den nächsten Wochen einen Anstieg vorstellen.
Gewalt in Familien seit der Corona-Krise ist beim Bürgerkreis noch kein verstärktes Thema gewesen, darüber ist Struzyna dankbar. Damit das auch so bleibt, stehen die Mitarbeiter in engem Kontakt mit den Familien und versuchen, die Mitglieder zu stärken, sich, wenn möglich, aus dem Weg zu gehen.
Info: Die Psychologische Beratungsstelle ist unter Telefon 07261 / 1060 erreichbar; der Bürgerkreis unter Telefon 07261 / 945040 oder per E-Mail an info@buergerkreissinsheim.de melden. Sprechstunden sind von 9 bis 13 Uhr. Infos gibt es auch unter www.buergerkreissinsheim.de



