A6-Vollsperrung bei Sinsheim

Eine Überdosis Blech

Zweite Abriss-Runde führte zu Super-Stau und Verkehrskollaps - Viele Autofahrer steckten fest

15.07.2018 UPDATE: 16.07.2018 06:00 Uhr 4 Minuten, 58 Sekunden
Eine Autobahn mitten durch Steinsfurt. Das war die Verkehrslage am Wochenende, als die Fahrzeuge wegen des Brückenabrisses auf der Autobahn 24 Stunden lang Stoßstange an Stoßstange durch den Ort fuhren. Foto: Günther Keller

Sinsheim. (kel/app/tk) Diese Überdosis Blech hatte gravierende Nebenwirkungen: Die zweite Autobahnsperrung innerhalb einer Woche hat Sinsheim und Umgebung phasenweise in einen Verkehrskollaps geführt. Vor allem am Samstagabend herrschte Stillstand auf den Umfahrungsstrecken, der Super-Stau reichte bis zur Ausfahrt bei Dühren, weil genervte Autofahrer ihrem Navi glaubten, das nach der Abfahrt von der Autobahn A6 die Wegführung über die Jahnstraße bis zur Rhein-Neckar-Arena empfahlen.

Dort aber traf sie auf jene Fahrzeugkolonne, die in Sinsheim-Süd ausgeleitet wurde - nichts ging mehr an dieser Stelle. Aus Richtung Heilbronn das gleiche Bild: Etwa zehn Kilometer Stau auf der Autobahn und zwei Stunden Fahrzeit für die Durchquerung Steinsfurts und des Industriegebiets.

Der Brückenabriss selbst ging reibungslos über die Bühne. Nach der pünktlichen Sperrung der beiden Fahrstreifen am Samstag um 14 Uhr wurden zunächst Folien, Stahlplatten und Holzbohlen auf den Asphalt gelegt - als Schutzschicht. Am frühen Abend startete der eigentliche Abbruch der Querung, die von Steinsfurt zu den Aussiedlerhöfen am Fuße der Burg Steinsberg führt.

Das Geschäft ging schneller als erwartet: Schon am frühen Sonntagmorgen war das Beton-Stahl-Konstrukt weg, und es konnte mit dem Abräumen begonnen werden. Um die Mittagszeit wurde die erste A 6-Fahrspur freigegeben, gegen 14 Uhr die zweite.

Nadelöhr Steinsfurt

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Die A6-Sperrung bekam Steinsfurt schlagartig zu spüren. Aus beiden Richtungen schoben sich die Blechlawinen durch den Ort. Der größte Sinsheimer Stadtteil war praktisch zweigeteilt, die Steinsfurter Straße bildete die Trennlinie. Nur mit größter Vorsicht, abgesehen an den beiden ampelgeregelten Übergängen, konnten Fußgänger eine Passage vornehmen. Während die meisten Richtung Sinsheim rollenden Autos bereitwillig das Handzeichen zum Durchgehen gaben, war für die andere Straßenhälfte Reaktion und Aufmerksamkeit gefordert.

Für die Passanten, welche mit dem Auto dieses vorhatten, war erheblich mehr Geduld und Entgegenkommen der in der Autoschlange sitzenden gefordert. Richtung Süden floss der Verkehr wesentlich flüssiger. Wohl hatte sich so mancher aus dem Norden Kommende für eine weiträumige Umfahrung schon ab dem Autokreuz Walldorf bzw. der Anschlussstelle Rauenberg entschieden. Der Nahverkehr wählte den Weg durch das Angelbachtal, stellten jedoch fest, dass "hier erheblich mehr Verkehr war als sonst", wie einige bestätigten.

Schnell hatten sich die Annahmen der Verkehrsexperten über die kritischen Passagen der Umleitung bestätigt. Die engste Stelle der Steinsfurter Ortsdurchfahrt an der Elsenzbrücke wurde immer dann zu einer gefährlichen Zone, wenn sich hier zwei Lastwagen begegneten. Dann bildete sich ganz schnell ein Rückstau. Die Situation spitze sich zu, wenn Linksabbieger in die Dickwaldstraße abdrehen wollten - und nicht konnten. Sofort staute sich der Verkehr auf.

Problem A6-Ausfahrt

Noch eine Schwachstelle: Tausende von Autos lassen sich nicht zügig von einer Autobahn ableiten. Mit Beginn der Sperrung stauten sich die Kolonnen aus beiden Himmelsrichtungen auf. Aus dem Osten wurden bis zu zehn Kilometer Stau gemeldet, die Fahrzeuge standen in Höhe der Ausfahrt Bad Rappenau. Viele versuchten daraufhin hin ihr Glück über Land und wollten über die B39 und Kirchardt schneller voranzukommen. Das klappte tatsächlich zunächst - bis sie an der Einmündung der L 592 aus Reihen ankamen. Dort sammelte sich meist schon der Verkehr von der Autobahnausfahrt. Und zusätzliches Pech hatte, wer vor sich die Bahnschranken runtergehen sah. Jene, welche gegen 22.30 Uhr am Kirchardter Berg standen, bekamen als willkommene Abwechslung wenigsten ein Feuerwerk über dem westlichen Teil Steinsfurts zu sehen.

Einmündungen sind bei stark belasteten Straßen Gift für den Verkehrsfluss. Das zeigte sich in aller Deutlichkeit an der Ecke Neulandstraße/Dietmar-Hopp-Straße, wo die Fahrzeugkolonnen aus drei Richtungen aufeinander trafen und die Grünphasen kaum für Entlastung sorgten. Die Betroffenen reagierten genervt. Immer wieder wurde - offenbar aus reiner Verzweiflung - gehupt.

Problem Navi

Viele, die sich aus westlicher Richtung Sinsheim näherten und die Dührener Ausfahrt sahen, erhofften sich ihr Glück durch das Verlassen der Autobahn: Das Navi führte sich über Dührener Straße in die Jahnstraße, von dort zur Dietmar-Hopp-Straße - wo bereits die Kolonnen von der Autobahn standen. Eine Stunde habe er für die vermeintliche Abkürzung gebraucht, stöhnte ein Autofahrer aus dem pfälzischen Altenkirchen. Wirklich gebracht hatte der Abstecher nichts.

Dass es mit ihrer Zieleinfahrt am Technik-Museum ab 15.40 Uhr nicht klappen könnte, hatten die Organisatoren der Oldtimer-Rallye "Heidelberg Historic" geahnt - und eine Idee: Der von Weiler kommenden Fahrzeugtross wurde vom AVR-Kreisel über das Gelände der Rhein-Neckar-Arena gelotst und kam quasi durch die Hintertür aufs Museumsgelände. Der Plan ging auf, die Vehikel kamen pünktlich an. Aber nicht die Zuschauer: Während in der Vergangenheit regelmäßig Hunderte von Schaulustigen den Auflauf der Karossen bestaunten, war es diesmal nur ein paar Dutzend.

Invasion der Laster

War da nicht was mit Lkw-Fahrverboten an Wochenenden, mit Tempo 30 zu nachtschlafender Zeit in der Steinsfurter Ortsdurchfahrt? Laster an Laster donnerte in der Nacht zum Sonntag über die Bundesstraße B39, berichteten Anwohner. "Das ging ununterbrochen", schilderte Bianca Bucher, die direkt an der Strecke wohnt - und hat die Brummi-Invasion per Videokamera dokumentiert. Der Stadtteil war natürlich auch dem Lärm von der A6-Baustelle ausgesetzt. "An Schlaf war überhaupt nicht zu denken", sagte ein Nachbar.

Trotz des Ausnahmezustands gab es keine nennenswerten Zwischenfälle. Ein Nachspiel könnte allenfalls das Verhalten einiger Motorradfahrer haben, die am Samstag die A6-Absperrung Richtung Mannheim umkurvten. "Die sind einfach durchgefegt", sagte Michael Endres, Sprecher der Autobahngesellschaft ViA6West. Wegen der hohen Geschwindigkeit sei das Verhalten der Motorradfahrer für die Bauarbeiter sehr gefährlich gewesen. Die Abrissarbeiten hatten zu dem Zeitpunkt noch nicht begonnen.

Es mag ein nebensächliches Thema sein, aber den Verkehr bekamen auch die Geschäfte zu spüren: Während beim "Seppl Bäck" das Geschäft an beiden Tagen normal verlief, am Sonntagmorgen sogar vor dem Laden freie Parkplätze zur Verfügung standen, klagte eine Türe weiter der Besitzer der Eisdiele: "Das war eine Zumutung, dieser Verkehr. Bei einem solchen Wetter habe ich normal Hochbetrieb. Gestern hatte ich aber mindestens 500 Euro Einnahmeausfall." Wenn Autos angehalten hätten, sei nur Wasser geordert worden. Kein Wunder: Ein Kunde hatte sechs Stunden vom Walldorfer Kreuz bis hierher gebraucht.

Viel Suchverkehr

Wer samstagmittags über Land unterwegs war, dem fielen viele fremde Kennzeichen auf allerlei Wegen auf. Von etlichen Meldungen und Kampagnen vorgewarnt, von "Navis" verlassen, bahnten sich zahlreiche Fahrer offensichtlich ihren eigenen Weg ums heitere Landstädtchen herum. Ein Engländer fragte sich in Adersbach durch, wie er denn wieder auf die Autobahn käme. Andere nahmen die große Kehre über die B292, Waibstadt und Neckarbischofsheim. Auch auf dieser Strecke, die vor einer Woche noch links liegen gelassen wurde, waren deutlich mehr Autos unterwegs als sonst.

Ob die Schließung der Bundesstraße in Richtung Rohrbach am Linus-Barth-Kreisel, von den Stadtverantwortlichen HEM-Kreisel genannt, eine gute Idee war, darüber lässt sich streiten. Auf jeden Fall dürfte die Sperrung eine Entlastung für Sinsheims innerstädtischen und vom Stadtfest geprägten Verkehr bedeutet haben - und das war ja Zweck der Sache.

Die empfohlene Umfahrung über den Gemeindeverbindungsweg zwischen Adersbach und Rohrbach scheint nicht sonderlich stark frequentiert worden zu sein, so wurde aus Rohrbach berichtet. Ortskundige blieben wohl gleich zu Hause. Der (freie) Verkehr von Rohrbach nach Steinsfurt floss indes unrund: Am Kreisel war eine Zufahrt schwierig, die Fahrzeuge liefen bis in die Rohrbacher Ortseinfahrt auf.

Am Sonntagmorgen besserte sich die Lage zusehends: Der Verkehr floss in beiden Richtungen relativ zügig. Es wurde deutlich, dass zu diesem Zeitpunkt erheblich weniger Lastkraftwagen auf der Straße waren. Ab 12 Uhr steigerte sich das Verkehrsaufkommen plötzlich wieder, die Autoschlangen verdichteten sich. Erneut hatten die "Einfädler" aus den Land- und Ortsstraße Probleme auf die B39 zu kommen.

Kritik und Lob

Verkehrsplanung ist kein einfacher Job, es setzte Lob und Tadel für die Verantwortlichen: Den Brückabbruch gleichzeitig mit dem Stadtfest und dem Ferienbeginn in Nordrhein-Westfallen zu legen, sei eine "Idiotie", hieß es in Kommentierungen. Aber es gab durchaus Verständnis: Wo soll denn der ganze Verkehr hin?, wurde der Kritik entgegnet - eine Frage, die niemand so recht zu beantworten wusste.

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