Wiesloch

Hier ließ sich Saša Stanišic die Haare lang wachsen

Ein Haus im Gewerbegebiet Wiesloch-Walldorf war die erste Anlaufstelle des heutigen Erfolgsautors. Davon erzählte er bei einer Lesung.

17.06.2022 UPDATE: 19.06.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 22 Sekunden
Saša Stanišic (r.) gab im Gespräch mit Hauke Hückstädt Einblicke in seinen Weg vom Flüchtlingskind zum Schriftsteller – gespickt mit Humor und Ernst. Foto: Pfeifer

Wiesloch. (hds) Für Saša Stanišic sind die Erinnerungen an Wiesloch eng mit Heavy-Metal-Musik verbunden. 1992, im Alter von 14 Jahren, musste er mit seiner Mutter, Großeltern und Cousinen aus Visegard, einer Kleinstadt im östlichen Bosnien, fliehen wegen des dortigen Krieges.

Seine erste Anlaufstelle in Deutschland war ein Haus im Gewerbegebiet Wiesloch-Walldorf. Bei einer Lesung in der Mensa des Ottheinrich-Gymnasiums blickte der heutige Schriftsteller auf jene Zeit zurück, gab einen Einblick in seine Gefühlswelt in jenen Tagen und las aus seinem jüngsten Roman "Herkunft".

Rund 200 Besucher waren auf Einladung des Kulturforums Südliche Bergstraße gekommen, um sich von Stanišic in dessen literarische Welt entführen zu lassen. Er tat dies mit einer beschwingten Lockerheit und einem gehörigen Schuss Humor, ohne dabei die schwierigen Zeiten der ersten Monate in der neuen Heimat aus dem Blick zu verlieren. "Ich hatte plötzlich Zeit, ließ mir die Haare wachsen und hörte eben Heavy Metal", blickte er zurück.

Vor dem Start in die Veranstaltung hatte er sich noch in das Goldene Buch der Stadt Wiesloch eingetragen – und zwar in der Mensa. Denn der ursprünglich angesetzte Termin im Rathaus musste wegen einer Verspätung der Bahn verlegt werden. Thorsten Krings als Stellvertreter von Oberbürgermeister Dirk Elkemann war mit dem "gewichtigen" Buch gekommen und betonte, man sei stolz, so einen berühmten Autor in Wiesloch begrüßen zu können.

Stanišic ist unter anderem Träger des Preises der Leipziger Buchmesse und wurde 2019 mit dem Deutschen Buchpreis für "Herkunft" ausgezeichnet. Dass er letztlich pünktlich zur Lesung vor Ort sein konnte, verdankte er Hauke Hückstädt, dem Leiter des Literaturhauses Frankfurt. Dieser hatte ihn in Bensheim aufgeladen und mit dem Auto nach Wiesloch gebracht. Hückstädt war es auch, der die Gesprächsführung des Abends übernahm.

Auch interessant
Nationaltheater Mannheim: So lief die Uraufführung von Saša Stanišics "Herkunft"
Stanišić in Dossenheim: Das Goldene Buch für den Buchpreisträger
Wiesloch: In Corona-Zwangspause eigenes Kinderbuch illustriert

"Hier in Wiesloch hat vor nunmehr 30 Jahren etwas Neues begonnen", erzählte Stanišic. Angekommen mit nur zwei Koffern, begab man sich in die Mühlen der Bürokratie; er selbst ging später in die internationale Gesamtschule in Heidelberg. Zwischenzeitlich war er mit seiner Mutter – der Vater kam erst später nach – in den Heidelberger Stadtteil Emmertsgrund gezogen. Heute wohnt der Schriftsteller mit seiner Familie in Hamburg und ist seit 2013 deutscher Staatsbürger.

Stanišics Art des Erzählens erwies sich als Mischung zwischen Ernsthaftigkeit und scheinbar belanglosen Elementen. Er sprach über Teile, die man aus dem Sperrmüll ergatterte und über seine Mutter, die ihm in der Wieslocher Zeit eine Jeans gekauft hatte. "Ich konnte mich durchsetzen, obwohl das Teil eigentlich zu teuer war", erinnert sich der 44-Jährige.

Er vermittelte Wissenswertes über die Phasen seines Deutsch-Lernens, hob die Bedeutung eines Lehrers hervor, der ihn auf den literarischen Pfad gebracht habe, und ließ die Zuhörer wissen, wie soziale Treffen an einer Aral-Tankstelle im Emmertsgrund abliefen. Begegnungen der unterschiedlichsten Art wurden beleuchtet, ihre Einflüsse auf den Werdegang Stanišics aufgelistet und liebenswerte Kleinigkeiten vermittelt. Stanišic nahm die Zuhörer mit. Hin und wieder ergänzten sich Übertreibungen mit ernsten, ja bedrückenden Phasen.

In "Herkunft" mischen sich autobiografische Elemente mit scheinbaren Nebensächlichkeiten, für den Autor jedoch von immenser Bedeutung. "Es ist meine spezielle Art, meine Erinnerungen aufzuarbeiten, mein familiäres Umfeld darzustellen und meinen Weg hin zur Literatur aufzuzeigen", betonte er.

Er verwies auf die "Sprache im Koffer", eine Art Symbiose aus Flucht und Neuaufbruch. "Literatur erklärt keine Zusammenhänge, vielmehr klärt sie aus bestimmten Blickwinkeln auf", unterstrich er seine Philosophie. Und die hat er auch bei seinem Eintrag ins Goldene Buch verewigt mit dem Satz: "Niemals aufhören, Geschichten zu erzählen".

Am Ende bedankte sich Anne Maennchen, die Vorsitzende des Kulturforums, für den erlebnisreichen Abend, verbunden mit dem Hinweis, dass Stanišic am nächsten Tag die einstmalige Unterkunft in Wiesloch-Walldorf besuchen wolle. Und da kamen sicherlich auch andere Dinge als Heavy Metal in der Erinnerung hoch.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.