Die Familie hält ihr den Rücken frei
Stella Kirgiane-Efremidou im RNZ-Porträt - Willy Brandt wäre heute sicher stolz auf sie

Gehen seit über drei Jahrzehnten durch dick und dünn: Stella Kirgiane-Efremidou und ihr Mann Alexandros Efremidis. Foto: Dorn
Von Stefan Hagen
Weinheim. In der guten Stube sitzen neben Stella Kirgiane-Efremidou ihr Mann Alexandros Efremidis, den alle Welt nur Alex nennt, ihre drei erwachsenen Kinder, der Schwiegervater und Cousin Emilio. Es wird angeregt diskutiert, der Familienrat muss eine wichtige Entscheidung treffen. "Bist du dir sicher?", stellt Alex seiner Frau schließlich die alles entscheidende Frage. Stella Kirgiane-Efremidou zögert keine Sekunde und nickt. "Ja", sagt sie, "ich möchte bei der Oberbürgermeisterwahl antreten". Dann gehen nacheinander alle Daumen in die Höhe. "Okay", ist die einhellige Meinung: "Wir halten dir den Rücken frei."
Mittlerweile ist der Wahlkampf in vollem Gange, und die Familie hat Wort gehalten. "Ohne diese tolle Unterstützung würde das gar nicht gehen", sagt die 52-Jährige. Sie weiß: Bei ihren Lieben daheim kann sie sich fallen lassen und Kraft tanken für die entscheidenden Wochen bis zur Wahl.
Der Urnengang in der Zweiburgenstadt findet übrigens sogar internationale Beachtung. Denn auch in Griechenland - Stella Kirgiane-Efremidou wurde in Thessaloniki geboren - drücken Verwandte und Freunde ganz fest die Daumen, dass nach der Wahl "endlich eine Frau" auf dem OB-Sessel Platz nimmt.

Musikalische Unterstützung bekam Stella Kirgiane-Efremidou von Jazzpianistin Anke Helfrich. Foto: Kreutzer
Wenn sie in Griechenland sei, erzählt sie lachend, komme stets die Deutsche in ihr raus. Die "hohe Flexibilität" der Menschen dort könne einen schon manchmal aufregen. In Deutschland sei es genau umgekehrt. "Muss es denn immer so formell sein, geht das nicht ein bisschen lockerer?", mache hier ab und an ihre griechische Seite auf sich aufmerksam.
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Als die kleine Stella das Licht der Welt erblickt, lebt die Familie bereits in Deutschland. "Meine Mama ist aber zur Entbindung in die alte Heimat gefahren", erzählt Kirgiane-Efremidou. Die Familie wohnt in Sigmaringen, zieht später nach Weinheim, wo man bald aus der örtlichen Gastronomieszene nicht mehr wegzudenken ist. Genannt seien an dieser Stelle nur die "Rose" in Sulzbach und das Stadionrestaurant (jetzt "Beim Alex") in der Weststadt. Auch Stella Kirgiane-Efremidou hilft im Familienbetrieb mit.
Hintergrund
Stella Kirgiane-Efremidou stellte Programm im Alten Rathaus vor
Es ist kein ganz neues Konzept, mit dem Oberbürgermeisterkandidatin Stella Kirgiane-Efremidou die Wahl am 10. Juni für sich entscheiden will. Aber bei der Präsentation ihres
Stella Kirgiane-Efremidou stellte Programm im Alten Rathaus vor
Es ist kein ganz neues Konzept, mit dem Oberbürgermeisterkandidatin Stella Kirgiane-Efremidou die Wahl am 10. Juni für sich entscheiden will. Aber bei der Präsentation ihres Arbeitsprogramms im Alten Rathaus schien die SPD-Frau den Nerv der Besucher zu treffen, genau wie die musikalische Umrahmung der Jazzpianistin und Echopreisträgerin Anke Helfrich.
Eindruck machte vor allem Kirgiane-Efremidous politisches Dreigestirn aus Ernstnehmen, Zuhören und Beteiligen. Das klang nach Phrasen-Dreschmaschine, doch für Kirgiane-Efremidou ist es ein ernsthafter Versuch, der politischen Kultur wieder etwas Schwung zu geben. Denn der Erfolg der Demokratie vom Bund bis zur Kommune entscheide sich an der Bürgernähe: "Echte Veränderungen gelingen nur mit den Menschen und nicht gegen sie."
Dabei - das wurde im Alten Rathaus registriert - geriet die langjährige Stadträtin nie in die Nähe einer populistischen Versprechungsorgie. Bürgernah heiße nicht, blind den Lautesten hinterher zu laufen und allen alles zu versprechen. Im Gegenteil: verschiedene Interessen anhören, abwägen und einen Kompromiss zu finden, der für möglichst alle tragbar ist. In der Vorbereitung für den Wahlkampf füllte sie dieses Modell mit Leben: Auf ihrer Tour "Stella im Dialog" durch Weinheim und seine Ortsteile habe sie viel über das gelernt, was die Menschen umtreibt.
Dazu einen roten Faden zu finden, sei nicht leicht gewesen. Aber über allem stehe der Wunsch der Menschen, ernstgenommen zu werden. "Wir müssen den Menschen zuhören, immer wieder, und den Dialog vertiefen." Das will die 52-Jährige mit einer eigens eingerichteten Anlaufstelle in der Verwaltung verankern. Dabei sollen die Kommunikationswege so kanalisiert werden, dass keine Anliegen mehr versanden.
Für die Transparenz nach außen will Kirgiane-Efremidou Ratssitzungen im Internet live übertragen lassen. Insgesamt will sie in der Verwaltung den Dienstleistungsaspekt stärken. So könne auch das Vertrauen zwischen Stadt und Ortsteilen wieder gestärkt werden. Darum sei es derzeit nicht zum Besten bestellt. Kurz ging Kirgiane-Efremidou auf die Forderung nach einer Sporthalle für Oberflockenbach ein, die schon viel zu lange vor sich hin gäre. Sie sei zuversichtlich, dass eine finanzierbare Lösung zeitnah verwirklicht werden könne. In diesem Kontext seien auch die unechten Teilortswahlen wichtig für ein gelingendes Miteinander.
Von besonderer Tragweite seien auch der soziale Wohnungsbau, faire Gebühren für die Kinderbetreuung und eine gebundene Ganztagsschule an der Weststadtschule. In dem rund 20 Seiten starken Arbeitsprogramm geht es auch um Verkehr: Die Stadt sei an der Belastungsgrenze, so die Kandidatin. Mehr Geschwindigkeitskontrollen und intensiverer Parküberwachung könnten wenigstens in Teilen für Entlastung sorgen. Kirgiane-Efremidou plädierte auch dafür, das Thema Sauberkeit nicht zu unterschätzen. Die könne sich auf das subjektive Sicherheits- und Wohlgefühl auswirken.
Das umfangreiche Programm schien zu überzeugen. Gerlinde Pfisterer gefiel vor allem der Teil des Zuhörens und Ernstnehmens. Außerdem freue sie sich, dass mit Kirgiane-Efremidou wenigstens eine Frau am Start sei. Rainer Jeck überzeugten die sozialen Aspekte des Arbeitsprogramms. Er habe allen Bewerbern zugehört. "Und jetzt steht fest, ich wähle sie."
Info: Das Arbeitsprogramm ist über www.stella2018.de abrufbar. (stek)
Zwischendurch macht sie in Griechenland eine Ausbildung bei einer Zeitung und arbeitet als Journalistin. "Ich war hier eine der wenigen Frauen, die sich für diesen Beruf entschieden hat." Trotz guter Perspektiven im Journalismus entscheidet sie sich für die Liebe und kehrt nach Deutschland zurück. Denn hier wartet Alex bereits sehnsüchtig auf seine Stella. Familie und die Gastronomie sind nun der Mittelpunkt ihres Lebens.
Drei Kinder bringt sie in den nächsten Jahren zur Welt und kommt dadurch - eher zufällig als gewollt - in Kontakt mit der Kommunalpolitik. Als sie für ihren Sohn Vassilios keinen Kindergartenplatz findet, geht sie mit anderen Müttern auf die Straße und macht ihrem Ärger Luft. "Wir haben eine kleine Demo organisiert", erinnert sie sich. Dadurch sei schließlich die SPD auf sie aufmerksam geworden. Dass sie sich den Sozialdemokraten anschließt, hat noch einen anderen Grund, der zu diesem Zeitpunkt schon Jahre zurückliegt.
Im Restaurant ihres Vaters ist Anfang der 80er Jahre der SPD-Landtagsabgeordnete Wolfgang Daffinger zu Gast. In seinem Gefolge befindet sich ein anderer großer Sozialdemokrat: Willy Brandt. "Mein Vater hat mich damals in eine griechische Tracht gezwängt, und ich musste den Ehrengast bedienen." Aber Brandt bemerkt, dass sich der Teenager in seiner Aufmachung nicht wohlfühlt.
Er habe ganz cool ein Bier und einen Ouzo bestellt, erinnert sich Kirgiane-Efremidou, und sich dann lange mit ihr unterhalten. Seine Botschaft: Du kannst im Leben alles schaffen, du musst nur daran glauben. "Das war ein Schlüsselerlebnis für mich", sagt sie.
Viele Jahre später wäre Willy Brandt sicher stolz auf den Teenager, der ihm damals die Getränke gebracht hat, schließlich hat Stella Kirgiane-Efremidou den Sozialdemokraten mittlerweile in den verschiedensten Funktionen treue Dienste geleistet. Seit 1999 ist sie Stadträtin, seit 2014 Vorsitzende der SPD-Fraktion und seit 2009 Kreisrätin.
Zuletzt trat sie 2017 als Bundestagskandidatin im für die SPD schwierigen Wahlkreis Zollernalb-Siegmaringen an. Die Partei hatte gerufen, der Wahlkreis wäre sonst ohne SPD-Kandidatur geblieben. Sie erfüllte damit zugleich den letzten Wunsch ihres Vaters.
Er war als Gastarbeiter auf die Alb gekommen - und dort "sehr freundlich" aufgenommen worden. Dass sie den Einzug ins Parlament nicht geschafft hat, verbucht sie unter der Rubrik "Erfahrungen". Vor allem aber wäre Brandt stolz auf das ehrenamtliche Engagement seiner Parteigenossin, für das sie und ihr Mann 2012 das Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland erhielten.
Sie ist Gründungsmitglied und Vorsitzende des Vereins "Pro Weststadt". Seit der Verein das erste Weststadtfest stemmte, habe sich die Stimmung im Stadtteil verbessert, findet sie. Das Fest jedenfalls gehört längst zu Weinheim dazu. Ebenso wie der Weststadt-Weihnachtsmarkt. Gründungsmitglied und Vorsitzende ist sie auch im griechisch-deutschen Freundeskreis "Philia". Und als Sprecherin des Runden Tisches Integration - diese Funktion füllt sie seit fast 18 Jahren aus - setzt sie sich für ein friedliches Zusammenleben und Integration ein.
Im Wahlkampf kommt ihr der "Willy" immer wieder in den Sinn, der ihr vor langer Zeit Mut gemacht hat: "Ja, du kannst es schaffen." Aber egal, wie die Wahl am 10. Juni auch ausgeht: Ihre Familie wird sie auf jeden Fall hochleben lassen.



