Ein Besuch im Haus von Krimi-Autorin Ingrid Reidel
Die Frau mit der "Leiche im Keller". Ein Raum birgt skurrile Accessoires.

Von Günther Grosch
Weinheim. Sie ist Mitglied bei den "Mörderischen Schwestern" und den "Bloody Maries". Markenzeichen und detektivische Ausrüstungsgegenstände von Ingrid Reidel sind unter anderem diverse Hüte, Brillen und Handtaschen, von denen sie jeweils mehr als ein Dutzend ihr eigen nennt. Mit Weinheims "Queen of Crime" Ingrid Noll, der wohl bekanntesten Einwohnerin und künftigen Ehrenbürgerin der Stadt, hat Reidel den Vornamen gemein.
Und wem Agatha Christies Amateurermittlerin Miss Marple alias Margaret Rutherford ("16.50 Uhr ab Paddington"), ihr treuer Freund Mr. Stringer sowie Inspektor Craddock ein Begriff sind, kommt auch schnell Reidels nicht unbeabsichtigten Ähnlichkeiten mit Lisa Schneider, ihrem Bobtail "Dr. Brinkmann" und Kommissar Nowak auf die Schliche.
Lisa Schneider ist die neue fiktive Figur, mit der Reidel die Krimiszene aufmischen will. Ihr "Grüner Türke" bildet den Auftakt einer Reihe, für die mit der "Schönen Kleopatra" und dem "Dicken Hermann" bereits weitere Nachfolgebände Gewehr bei Fuß stehen. Reidel selbst bezeichnet die kriminalistischen Fälle der Lisa Schneider als "Lesehäppchen". Diese seien als kurzweiliges Mitbringsel für einen Krankenbesuch geeignet oder als "Book-Snack", etwa um eine OEG-Fahrt nach Heidelberg zu überbrücken.
"Wer den Auftaktband zu Lisa Schneiders in Wien angesiedeltem ersten Fall gelesen hat, wird Friedhöfe künftig mit anderen Augen sehen", macht Reidel im Gespräch mit der RNZ neugierig. Und erzählt, ohne allzu viel über den Inhalt zu verraten, von einem Besuch der verrenteten Krankenpflegerin und passionierten Leichenwäscherin in ihrer Lieblingspizzeria.
Dort wird sie von dem Wirt in die Küche gezogen, in der eine Abhöranlage installiert ist. Hintergrund: "Der Pizzabäcker möchte wissen, ob den Gästen seine neueste Kreation schmeckt." Doch was der Wirt und sie zu hören bekommen, ist alles andere als eine Lobpreisung auf die neue kulinarische Schöpfung. Und schon ist Lisa mittendrin im mörderischen Geschehen – in dem eine Urne eine herausragende Rolle spielt.
Eine Urne mit der Asche von Großmutters Schwester Gretel war es auch, die Ingrid Reidels Abdriften ins "kriminelle Milieu" befeuerte. Nach dem Tod der 96 Jahre alten Dame 2012 musste deren Haus ausgeräumt werden. In einem Karton fand die in Oberflockenbach aufgewachsene Krimigrazie neben abgetrennten Puppenköpfen die Urne ihrer Tante, welche von der Großmutter in deren Kleiderschrank "zwischengelagert" worden war. Es kam, wie es kommen musste: Die Überreste der Tante landeten ungeschickterweise auf dem Fußboden, mussten zusammengefegt und auf eher unsachgemäße Weise entsorgt werden.
"Eine schräge Erfahrung und ein Omen, die meinen Schreibstil wohl nachhaltig beeinflusst haben", schmunzelt Reidel, der mittlerweile eine große Fangemeinde folgt. 2016 stand die ehemalige Erzieherin auf der Shortlist der "Wiener Kriminacht" und schaffte es bis ins Finale der "Art Experience" in Baden bei Wien, wo sie auf dem sechsten Platz landete.
Ein Jahr später war es so weit: Beim "8. Tatort Eifel-Krimifestival" in Daun (Rheinland-Pfalz) gewann sie auf Anhieb den "Deutschen Kurzkrimi-Preis". Seitdem ist die 63-Jährige Dauergast bei den "Vigilius Mountain Stories" in Südtirol und mit weiteren "Krimigrazien" in über 20 Anthologien vertreten. Neben der Fortsetzung der Lisa Schneider-Reihe sind die Anfänge eines unter dem Arbeitstitel "Blutrotes Vermächtnis" im Odenwald spielenden Thrillers auf ihrem Laptop gespeichert. Hinzukommen das Jahr über landauf, landab Lesungen, die sie meist in Begleitung ihres Lebensgefährten Volker "Sherlock" Nau bestreitet. Der begleitet im Outfit des berühmten Detektivs Reidel hin und wieder auf einer alten Drehorgel.
Als ihre Spezialität nennt Reidel "genaue Recherche". Einfach draufloszuschreiben, sei für sie ein "absolutes No Go". Einen Krimi zu verfassen, benötige Logik und Fachwissen: So baldowert die versierte Spurensucherin immer die "Tatorte" aus, an denen die Geschichte spielt.
Zur Vertiefung der dabei gewonnenen Erkenntnisse zieht sie dann durch die örtlichen Wirtschaften, "wo die Leute sind, um deren Zungenschlag zu erfahren". Im Sommer diktiert Reidel ihre Einfälle ihrer "I-Phone-Siri". Dabei sitzt sie am liebsten in einer Plastik-Badewanne auf der Dachterrasse ihres Hauses in der Bischofsgasse mit Blick auf die Windeck. Im Winter richtet sich ihr Augenmerk auf die Flammen ihres gusseisernen Ofens, der inmitten ihres "Täterzimmers" im zweiten Stockwerk bullert und Wärme verströmt. Und dass Reidel noch eine "Leiche im Keller" liegen hat, beweist ein Gang zwei Etagen tiefer. Hier haben sich Reidel und Nau einen Raum eingerichtet, in dem es vor skurrilen Accessoires wimmelt.
Auf dem Fußboden liegt in einer eingetrockneten "Blutlache" eine lebensgroße Puppe, gespickt mit einem Messer im Rücken. Ein ausgestopfter schwarzer Rabe wacht über dem Schreibtisch: "Ein Geschenk von Ingrid Noll", sagt Reidel voller Stolz. Diebische Vorfreude verströmt Reidel auf das im Oktober in Weinheim stattfindende "1. Weinheimer Literaturfestival". Wo sie "natürlich auf jeden Fall dabei" ist und ihre neuesten literarisch-mörderischen Taten präsentieren will.
Info: Ingrid Reidel: "Grüner Türke" – Die kriminalistischen Fälle der Lisa Schneider, Band 1, Broschur, 80 Seiten, erhältlich im Buchhandel oder im Online-Shop des PMLakeman-Verlags; ISBN 978-3-9823727-2-3.