Ein Fest für Pilzsammler
Das Jahr 2024 ist ideal für Egerling, Herbstrompete und Co. Die RNZ war bei Wanderung dabei: So funktioniert die Bestimmung.
Von Julia Scholz
Spechbach. Die Herbstzeit ist Hochsaison für Pilze – insbesondere in diesem Jahr: Die Luft ist trocken, der Boden durchnässt, und Sonnenstrahlen durchdringen die dünnen Wolkenfelder bei milden Temperaturen nach regenreichen Tagen. 2024 herrschen ideale Voraussetzungen für ein gutes Pilzwachstum. Die RNZ war bei einer Pilzwanderung dabei.
Über den Hügeln des Kraichgaus lösen sich die morgendlichen Nebelfelder auf und geben die Sicht frei auf die Landschaft in braunen Erdtönen und leuchtend bunten Herbstfarben. Am leicht bewölkten Himmel steht noch blass der abnehmende Mond. Die frische Morgenluft, die den Treffpunkt beim Schützenhaus am Waldrand umhüllt, duftet nach Laub. Man könnte meinen, es riecht auch nach Pilzen: Das wäre absolut wünschenswert, denn allein wegen der Pilze haben sich 15 Interessierte für die Pilzwanderung des Spechbacher Naturheilvereins hier eingefunden.
Die von Pilzexperte Peter Reiter angeleitete Gruppe vereint geübte Sammler und unerfahrene Anfänger. Aus Reichhartshausen angereist ist Melanie Schmidt mit ihrem zehnjährigen Sohn Matteo Tombarge. Dazu gesellt sich Großmutter Marliese aus Sandhausen. Sie hatte mit ihrem inzwischen verstorbenen Gatten schon Ende der 1970er Jahre mit dem Leimener Pilzexperten Alfred Schofer bei Exkursionen im Gebiet um Neckarsteinach teilgenommen. Schofer war leidenschaftlicher Pilzsammler, der sein Wissen gerne teilte und als langjähriger Redakteur bei der RNZ auch schon ganze Pilz-Sonderseiten gestaltet hat.
"Am besten gleich den Pilz von Erde, Laub und Nadeln säubern, bevor er im Körbchen landet", ruft die Leimener Försterin Helga Duczek. Sie nimmt schon zum dritten Mal an Reiters Führung teil und empfindet es jedes Mal als Bereicherung. Derweil wirft eine Gauangellocher Biologin ein: "Man kann alles essen – aber manches halt nur einmal..." Schließlich enthalten auch einige Pilze Gift. Auf die Notwendigkeit, dass man sich auskennen müsse, weist Reiter deutlich hin.
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Ein Pilz muss drei bis vier Kernmerkmale erfüllen, um ihn sicher zu bestimmen. Das sei Übungssache. Beim geringsten Zweifel muss der Fund von einem Pilzsachverständigen begutachtet werden – oder liegen bleiben.
Bei der Begrüßung stellt Reiter erfreut fest, dass die Teilnehmenden verschiedensten Alters mehrheitlich weiblich sind und auch ein Kind mit von der Partie ist. Da sei eine Veränderung zu beobachten: Noch Ende der 1990er Jahre setzten sich die Gruppen mehrheitlich aus älteren Männern zusammen, inzwischen seien es häufig Frauen und jüngere Leute. Das unterstreiche, wie sehr es im Trend liege, zurück zur Natur zu finden, meint Reiter und durchforstet mit der Gruppe Teile des circa acht Quadratkilometer großen Strietwaldes zwischen Wiesenbach, Epfenbach und Spechbach.
Erlaubt ist die Ernte für den Eigenbedarf von circa einem Kilogramm Pilzen pro Person und Tag. So viel erbeutet diesmal aber niemand.
Reiter lässt die Teilnehmer auf der Wiese neben der Parkfläche nicht zufällig einen Kreis bilden: Hier verstecken sich schon die ersten Pilze zu seinen Füßen an einem Baumstumpf – ein Büschel Hallimasch. Als Speisepilz nur jung, blanchiert und angebraten zu verwenden, wie er erklärt. Weiter geht es für die Gruppe vorbei am giftigen Pantherpilz, zu zahlreichen nebelgrauen Trichterlingen, die kreisförmig in einem sogenannten "Hexenring" auf dem Waldboden wachsen – leider nicht genießbar. Dennoch ein wichtiger Laub-Zersetzer im Ökosystem Wald, das ohne Pilze bald im eigenen Laub und abgestorbenem Holz ersticken und versinken würde. An wohl-schmeckenden Speisepilzen finden sich beispielsweise Blutreizker, Semmelstoppelpilz, Herbsttrompete, Anis-Champignon, Frauentäubling, Butterpilz und Rotfußröhrling.
Ob der großen Artenvielfalt geraten die Teilnehmer ins Staunen. Alle Sinne sind bei der Bestimmung gefragt; Reiter lässt schauen, schmecken und riechen und erklärt damit auch seine Ablehnung von Pilzerkennungs-Apps. Unterwegs zeigt sich auch der Pilz des Jahres: Es ist der Schopftintling. Weiß, fest und jung ist er ein guter Speisepilz, doch alt löst er sich in eine schwarze Flüssigkeit auf, die von den Huträndern herab trieft. Tatsächlich wurde in vergangenen Jahrhunderten Schreibfarbe aus dem Pilz gewonnen. "Prima", meint Matteo und nimmt sich für die Eigenproduktion von Schreibtinte zwei davon mit nach Hause. Zurück beim Parkplatz schenkt Reiter ihm eine Postkarte der Deutschen Gesellschaft für Mykologie mit dem Abbild des Schopftintlings. Als sich die Pilzwanderer kurz darauf in bester Laune verabschieden, hört man noch den Ruf des Jungen in Richtung des Exkursionsleiter: "Ich schreibe Ihnen dann" – dann natürlich mit Schopftintlingfarbe.
Speisepilze und ihre ungenießbaren oder giftigen Doppelgänger werden hier gegenübergestellt:
> Rotfußröhrling und Schönfußröhrling: Der Rotfußröhrling ist anfällig für Goldschimmel und darf nur in ganz frischem Zustand verspeist werden. Der Schönfußröhrling hat im Gegensatz zum Rotfuß ein Netz am Stiel und ist an seinem bitteren Geschmack erkennbar.
> Violetter Lacktrichterling und Rosa Rettichhelmling: Der giftige Rettichhelmling unterscheidet sich deutlich im Geruch: Er riecht unter seinem Hut nach Rettich.
> Reizker und Birkenmilchling: Der essbare Blutreizker hat ein eindeutiges Erkennungsmerkmal – nämlich die orangefarbene Milch, die der Pilz an der Schnittstelle absondert. Der ihm optisch ähnelnde giftige "Zottige Birkenmilchling" hat einen fransigen, zottigen oder wollenen Hutrand und sondert eine weiße Milch ab.
> Frauentäubling und Speitäubling: Der Frauentäubling hat einen aquarellfarbenen blass-lila Hut und milden Geschmack. Der giftige Speitäubling hingegen hat eine knallig-rote Hutfarbe und einen scharfen Chili-Geschmack.
> Anis-Champignon und Knollenblätterpilz: Das deutlichste Unterscheidungsmerkmal der Champignons, auch "Egerlinge" genannt, ist die Lamellenfarbe. Die Lamellen der Egerlinge sind rosa oder bräunliche gefärbt – der giftige Knollenblätterpilz hingegen hat weiße Lamellen. Auch der Geruch ist ein Indiz: Der Knollenblätterpilz riecht nach muffigem Kartoffelkeller, der Anis-Champignon verströmt beim Reiben am Hut einen leichte Anis-Duftnote. Auch die Stielbasis gibt Aufschluss; der Schaft des Knollenblätterpilzes steht in einer "Vulva" – also einer Pilzscheide –, der Egerling nicht.
> Allgemeines: Pilze zählen aus biologischer Sicht weder zu den Pflanzen noch zu den Tieren. Neben Flora und Fauna bilden sie ihre eigene systematische Stufe: das Reich der Pilze. Allein in Mitteleuropa kommen bis zu 8000 Arten von Großpilzen vor. Der Pilz selbst ist der Fruchtkörper, in dessen Fruchtschicht – diese befindet sich je nach Gattung beispielsweise an der Unterseite des Hutes oder im Inneren des Pilzes – Sporen gebildet werden. Dabei handelt es sich um später über die Luft verteilte Fortpflanzungseinheiten. Der eigentliche Vegetationskörper, das Myzel, befindet sich im Erdreich oder einem anderen Substrat wie Holz oder Laub. Der Standort eines Pilzes in einem bestimmten Lebensraum kann Indiz für die Bestimmung liefern. Weitere Merkmale weisen Stiel, Stielbasis, Hut, Hutunterseite, gegebenenfalls Häutchen, Fleisch-Beschaffenheit, Geruch, Farbe und nur mit größter Vorsicht verbunden der Geschmack auf.
Anfängern empfiehlt sich das Suchen und Sammeln von Röhrenpilzen: Sie haben an der Hutunterseite schwammartige Röhren – so etwa der Steinpilz im Gegensatz zum Blätterpilz, der wiederum Lamellen aufweist wie beispielsweise der Fliegenpilz. Hierzulande gibt es nur zwei ungenießbare beziehungsweise giftige Röhrenpilze: der Satanspilz und der Schönfußröhrling. Dieser könnte mit dem Rotfußröhrling verwechselt werden.
Für alle Speisepilze gilt, dass nur junge und knackige Exemplare geerntet und diese nicht im rohen Zustand gegessen werden sollten. Für die Bestimmung muss der Pilz im Ganzen vorgezeigt werden, also mitsamt dem Stielansatz. Auf der Internetseite der Deutschen Gesellschaft für Mykologie unter www.dgfm-ev.de finden sich die Kontaktdaten zu allen dort gelisteten Pilzsachverständigen. Wer sich zum Pilzesammeln auf den Weg macht, sollte ein Handbuch mit Bestimmungsschlüssel haben; Experte Peter Reiter empfiehlt zum Beispiel Andreas Gminders Handbuch für Pilzsammler.