Leimener Landgut Lingental verteilt "Denkzettel" für Chaos-Gäste
Das Landgut hat ein Problem mit Besuchern und Personal - Jetzt zieht es die Reißleine und macht unter der Woche dicht

Die Verantwortlichen wollen die Idylle des Landguts bewahren. Mit den bisherigen Besucher-Massen geht das nicht, sagen sie. Fotos: Alex
Von Kevin Hagen
Leimen-Lingental. Die Abrechnung kommt nach dem Kaffee. Eine Postkarte mit Bildchen vom eigenen Haus und einer Überschrift in geschwungenen roten Buchstaben: "Weniger ist mehr!" Darunter gehen die Verantwortlichen vom Landgut Lingental mit den eigenen Gästen hart ins Gericht. Von "Verschmutzung und Beschädigung" ist da die Rede, von Mitarbeitern, die beleidigt oder bespuckt werden, von Kunden, die Zigarettenkippen in den Garten schnipsen.
Die Art, mit welcher der angesagte Freizeittreff oberhalb Leimens auf seine geänderten Öffnungszeiten aufmerksam macht, ist - gelinde gesagt - ungewöhnlich. "Wir gaben unser Bestes, wurden aber vom Tagesgeschäft alsbald ,aufgefressen’", heißt es auf dem Kärtchen, das derzeit den Gästen mit der Rechnung überreicht wird. Die Botschaft des "Denkzettels": Man zieht die Reißleine. Ab heute sind alle Betriebe des Landgutes montags bis donnerstags geschlossen. Der "Küchenmichel", das Sterne-Restaurant "oben", das Landcafé, die Vinothek, die Blumenwerkstatt - sie alle öffnen ab Juni stets erst am Freitag.
Glaubt man den Verantwortlichen, sind daran der Fachkräftemangel, aber vor allem auch die Gäste schuld. Zu viele seien seit der der Eröffnung im September 2013 täglich auf das Landgut geströmt. Zu viele hätten sich gehörig danebenbenommen. "Wir sind nicht auf diese Massen ausgerichtet", sagt Hotelfachmann Benjamin Stalf, der im "oben" die Service-Leitung inne hat und für das Landgut mit der RNZ über die Veränderungen spricht. Klar, habe der Service gelitten. Man habe eigene Qualitätsansprüche nicht halten können. "Aber man sollte auch nicht immer nur nach Kritik suchen, sondern einfach mal genießen."
Man hört ihm die Kränkung an, wenn er über Erfahrungen mit einigen Besuchern spricht. Er könne nicht verstehen, warum sich manche hier so verhalten, wie sie es zu Hause nie tun würden, sagt der 29-Jährige; warum sie Steine werfen, Toiletten aufs Übelste verschmutzen, Kinder durchs Lokal rennen lassen.
Die Mäkelei sind er und seine Kollegen satt. "Wir sind ausgebildete Fachkräfte", schimpft der Service-Chef, "das soll der Gast auch wertschätzen." Stattdessen gab es immer wieder Ärger. "Manche Besucher sind sehr aggressiv, gerade im Biergarten", erzählt er. "Für viele Mitarbeiter ging das unter die Gürtellinie." Offenbar für zu viele. Rund 50 Festangestellte arbeiteten einst für das Landgut. Mittlerweile sind es noch etwa 30. Die anderen, so sagt es Stalf, hätten von sich aus das Handtuch geworfen. Ersatz finde man kaum noch. Auch deshalb gerieten die Landgut-Betriebe ins Schlingern. Auch deshalb kann es nicht weitergehen wie bisher. "Hätten wir mehr geeignetes Fachpersonal gefunden, könnten wir auch sieben Tage die Woche öffnen", sagt Stalf. Die Entscheidung, jetzt etwas zu verändern, habe das Landgut-Team gemeinschaftlich getroffen.
Bei den Gästen gehen die Meinungen über die Offensive auseinander. "Respekt für den Schritt", schreibt etwa einer auf der Facebook-Seite des Unternehmens. Ein anderer bezeichnet das Manöver als "ganz schön arrogant". Einer, der selbst auch schon im Küchenmichel war, ist Hans Lindner. Am vergangenen Montag, erzählt der 66-Jährige der RNZ, seien seine Frau und seine Tochter im Landgut-Café gewesen - und anschließend ziemlich irritiert mit dem Brand-Brief zurückgekehrt. "Als Gast fühlt man sich nicht willkommen, wenn man das liest", sagt er. "Wenn man beruflich mit Publikum zu tun hat, muss man auch mit Kritik umgehen können, vor allem, wenn sie auch berechtigt ist."
Benjamin Stalf sieht dagegen ein generelles Problem im Verhalten vieler Gäste. "Ich bin mir sicher: Auch anderen Gastronomen geht es so. Es traut sich aber keiner, etwas zu sagen." Sein Haus wolle sich nun aufs Wochenende konzentrieren, in dem ohnehin 80 Prozent des Umsatzes generiert würden. Unter der Woche widmet sich das Landgut Veranstaltungen. "So können wir uns besser auf das Wochenende vorbereiten und dann gelassener mit einem besseren Service auf die Gäste zugehen", sagt Stalf. Mit finanziellen Einbußen rechnet er nicht.
Ob die Veränderung gar der Anfang vom Ende für das À-la-carte-Geschäft ist, wie einige Gäste mutmaßen, will er nicht sagen. Für ihn ist aber klar: "Das Landgut soll ein Liebhaberobjekt bleiben."



