Prozess um versuchten Totschlag

Sieben Jahre für Bluttat von Neckargemünd (Update)

Versuchter Totschlag: Es gibt eine lange Haftstrafe für den 27-Jährigen.

11.01.2023 UPDATE: 17.01.2023 19:46 Uhr 6 Minuten, 13 Sekunden
An dieser Bushaltestelle am Stadttor soll es im Sommer zu der schweren Bluttat gekommen sein. Foto: Alex

Neckargemünd/Heidelberg. (bmi) Den Urteilsspruch zur Bluttat im Sommer am Neckargemünder Stadttor verfolgte der Hauptangeklagte weitgehend regungslos, später im kurzen Austausch mit seinen Brüdern brach es aus ihm heraus: "Sieben Jahre wegen eines Schlages."

Zu einer Haftstrafe im genannten Umfang hat das Landgericht Heidelberg am Dienstag einen 27-Jährigen wegen versuchten Totschlags verurteilt. Das Schwurgericht sprach ihn auch wegen einer gemeinschaftlich begangenen schweren Körperverletzung schuldig, für die ein 25-jähriger Mitangeklagter eine Freiheitsstrafe von acht Monaten erhielt, die zur Bewährung ausgesetzt wird.

> Die Tatnacht: Wie das Gericht um den Vorsitzenden Richter Jochen Herkle feststellte, haben die beiden Angeklagten an der Bushaltestelle in der Julius-Menzer-Straße in der Nacht des 30. Juni einen 32-Jährigen mit Schlägen attackiert und schwer verletzt. Das Duo hatte zuvor am Neckar mit reichlich Alkohol den Geburtstag des 27-Jährigen gefeiert, der im Laufe des Abends eine 21-Jährige kennenlernte und sich mit dieser intensiv unterhielt.

Die zwei Begleiter der Frau nahmen die beiden Freunde als aufdringlich wahr, dennoch verbrachte die Gruppe zu fünft den Abend. Kurz nach Mitternacht kam es nahe des Stadttors zur Eskalation. Dort drängten die beiden Täter den 32-Jährigen an die Wand des Bushäuschens und schlugen mit Fäusten auf das sich nicht wehrende Opfer ein. "Dessen einziger Fehler war, dass es nicht zum Alkohol Mitrinken bereit war", fasste Oberstaatsanwältin Christiane Vierneisel zusammen.

Die 21-Jährige sprang dazwischen, wurde aber vom 27-Jährigen weggeschubst; ebenso schüchterte dieser den zweiten Freund des Geschädigten ein und verhinderte dessen Notruf. Mit einer leeren Cognacflasche brach der 27-Jährige dem 32-Jährigen den Schädel, ehe sein Freund intervenierte. Das Opfer überlebte mit lebensgefährlichen Kopfverletzungen nur durch Glück und zwei Notoperationen.

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> Der Prozess: Beide Angeklagten hatten die Tatvorwürfe nicht bestritten, zum Geschehen selbst aber nur begrenzt ausgesagt. "Ein Geständnis sieht anders aus", meinte Richter Herkle zur Aussage des 25-Jährigen und attestierte bei der Entschuldigung der Angeklagten gegenüber ihrem Opfer "viel Luft nach oben."

Dennoch haben die Aussagen insbesondere der 21-Jährigen, des 32-jährigen Bekannten des Geschädigten sowie eines unbeteiligten Zeugen zu einer "dichten Beweislage" geführt. Das Spurenbild und die rechtsmedizinischen Untersuchungen hätten dieses Bild ebenso gestützt wie Ermittlungen und Aussagen im Umfeld des Hauptangeklagten.

> Die Plädoyers: Die Staatsanwältin ging von drei Flaschenschlägen aus und hielt für den 27-Jährigen eine Haftstrafe von acht Jahren für angemessen. Er habe ein Tötungsdelikt in Kauf genommen: "Es war ihm völlig egal." Für den 25-Jährigen plädierte sie auf acht Monate Freiheitsstrafe zur Bewährung.

Verteidiger Maximilian Seyderhelm sah nur eine gefährliche Körperverletzung seines 27-jährigen Mandanten als zutreffend. Für die aus Alkoholisierung und Dynamik des Geschehens spontan entstandene Tat wertete er eine Freiheitsstrafe von vier Jahren samt Unterbringung in einer Entziehungsanstalt als angemessen.

Rechtsanwalt Nicolas Frühsorger sah seinen Mandanten in den Kernkonflikt nur mit reingezogen; der 25-Jährige habe beim Eingreifen gegen seinen Freund eigene Verletzungen riskiert, Schlimmeres verhindert und aufgrund seines Verhaltens nach der Tat eine mildere Strafe verdient, plädierte er für eine Geldstrafe à 120 Tagessätzen.

> Das Urteil: Sieben Jahre Haft wurden für den wegen Gewalt- und Aggressionsdelikten vorbestraften 27-Jährigen ausgesprochen, der gegen dieses Urteil Revision einlegen will. Beim Strafmaß für den 25-Jährigen folgte das Gericht dem Antrag der Staatsanwaltschaft: acht Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung mit der Auflage einer 1000-Euro-Wiedergutmachung an den Geschädigten und einer 800-Euro-Zahlung an eine Organisation mit Schwerpunkt Gewaltprävention für Männer.

> Die Folgen: Das Leben des Geschädigten ist seither nicht mehr dasselbe und wird es auch nicht mehr, so die Plädoyers. Der 32-Jährige versucht "mit Therapie Reha und Kur alles, um sich ins Leben zurückzukämpfen", betonte seine Anwältin.

Update: Dienstag, 17. Januar 2023, 19.45 Uhr


Zivilcourage konnte Bluttat nicht verhindern

Neckargemünd/Heidelberg. (bmi) Das erste Aufflackern von Aggressionen kann sie noch unterbinden. Als es aber wenige Stunden später eskaliert, ist die 21-Jährige, um die sich der ganze Fall dreht, machtlos. Sie kann die folgenschwere Attacke auf ihren guten Freund nicht verhindern.

Der dritte Prozesstag am Freitag am Landgericht Heidelberg behandelte die sechs Monate zurückliegende Bluttat nahe des Neckargemünder Stadttors. Ein 25- und ein 27-Jähriger sollen an der dortigen Bushaltestelle in der Julius-Menzer-Straße in der Nacht des 30. Juni einen 32-Jährigen mit Schlägen und Tritten attackiert und sich so der schweren Körperverletzung beziehungsweise des versuchten Totschlags schuldig gemacht haben.

Nach den beiden Angeklagten und dem Opfer sagten nun die beiden anderen aus der Fünfer-Gruppe aus, die gemeinsam den Sommerabend verbracht hatte. Unbestritten ist: Nahe der Eisenbahnbrücke am Neckar entspannen ein 32-jähriger Heidelberger mit einer 21-jährigen Bekannten und seinem 32-jährigen Ex-Kollegen. Zwei junge Männer stoßen später dazu, mehr oder minder gemeinsam wird geredet, Musik gehört und getrunken.

"Ich vertraue dem nicht", flüstert das spätere Opfer seiner Bekannten zu. "Nur weil er Dich nicht kennt", will sie den gerade kennengelernten 27-jährigen beschwichtigt haben, der den Satz mitgehört und darauf aufbrausend reagiert hatte. Alles bleibt ruhig, ehe alle gegen Mitternacht zum Stadttor aufbrechen – und dort die Situation eskaliert.

Klar scheint auch, dass die beiden 25- und 27-jährigen Angeklagten ihr sich nie wehrendes Opfer im Bushäuschen mit Faustschlägen malträtieren, die 21-Jährige Zivilcourage beweist, dazwischengeht und weggeschubst wird. Der 27-Jährige verletzt den 32-Jährigen mit einer Cognacflasche lebensgefährlich, ehe der 25-Jährige interveniert, die Flasche beim Sturz des älteren Angeklagten zu Bruch geht und dieser flüchtet.

Woran entzündete sich der Konflikt? Hatte die 21-Jährige dem Hauptangeklagten Avancen gemacht? Wollte das spätere Opfer sie schützen, war es eifersüchtig? Wie viele Flaschenschläge gab es? Wie viele Tritte? Beleuchtete Fragen ohne eindeutige Antworten.

Genauer Tatablauf und Motive der Akteure blieben offen. Alle waren zumindest leicht alkoholisiert, die 21-Jährige und der 25-Jährige mit Werten von knapp zwei Promille stärker. Dies könnte sich für den jüngeren der beiden Angeklagten als strafmildernd erweisen: Gutachter Dr. Hartmut Pleines stellte ihm eine leichte Alkoholvergiftung, eine erheblich verminderte Steuerungs- und damit auch Schuldfähigkeit aus.

Was den mehrfach vorbestraften Hauptangeklagten angeht, so meinte der Fachmann: "Wenn er gescheitert ist, dann nicht wegen seines Kokain- und Alkoholkonsums, sondern aufgrund seiner Persönlichkeitsmerkmale." Pleines sah den 27-Jährigen nicht wie dieser selbst als abhängigen, sondern als Gelegenheitskonsumenten an. Er leide an einer "dissozialen Persönlichkeitsstörung", sei voll schuldfähig.

Die erhöhte Gefahr für weitere Verbrechen liege anhand seiner Biografie auf der Hand. Alle bisherigen Sanktionen seien wirkungslos verhallt, der Angeklagte habe zudem ein "antitherapeutisches Verhalten" gezeigt. Pleines sah somit in der von der Verteidigung angestrebten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt kaum Erfolgsaussichten.

Update: Freitag, 13. Januar 2023, 19.58 Uhr


Noch sind viele Fragen zur Bluttat offen

Neckargemünd/Heidelberg. (bmi) "Ich hatte von Beginn an ein ungutes Gefühl." Das Gespür des 32-Jährigen und seine Vorsicht gegenüber den beiden Fremden trog ihn nicht. Wenige Stunden, nachdem der Heidelberger einen 25-und einen 27-Jährigen am Abend des 30. Juni am Neckargemünder Neckarufer kennengelernt hat, kommt es nahe des Stadttors zu einer Bluttat. Das Duo muss sich vor dem Landgericht Heidelberg der schweren Körperverletzung beziehungsweise des versuchten Totschlags rechtfertigen. Am gestrigen zweiten Verhandlungstag stand die Aussage des Opfers im Fokus; zudem wurden die Tat rekonstruiert, ein medizinisches Gutachten gehört und die Ermittlung des Hauptangeklagten geschildert.

Was geschah in jener Hochsommernacht? Drei Freunde lassen sich nach dem Besuch des Kleingemünder Terrassenbads bei der Eisenbahnbrücke am Neckar nieder. Die Frau des Trios lernt dort zwei junge Männer kennen; unter Argwohn ihrer vorherigen Begleiter verbringt die Fünfer-Gruppe den Abend – mehr oder minder gemeinsam, mit mehr oder weniger Alkoholkonsum. Gegen Mitternacht folgt der Aufbruch zur Bushaltestelle Stadttor in der Julius-Menzer-Straße – und dort eskaliert die Situation.

"Ich will hier weg, vertraue dem Ganzen nicht", hat der 32-Jährige laut eigener Aussage gegenüber seiner Bekannten am Bushäuschen nochmals betont. "Was hast du da gesagt", soll der jüngere der beiden Fremden erwidert und daraufhin einen Disput angezettelt haben. Zunächst verbal, dann mit Faustschlägen. Laut Aussage des Geschädigten soll nach dem 25-Jährigen auch sein 27-jähriger Kumpel von der anderen Seite attackiert haben. Auf Schläge folgten Tritte und dann ein Angriff des 27-Jährigen mit einer Cognacflasche. Die Folge: lebensgefährliche Verletzungen, die zwei Operationen – eine zeitige und eine nach einer Gehirnblutung fünf Tage später – nötig machen.

Waren es ein oder bis zu drei Flaschenschläge? Gab es wirklich Tritte? Haben die beiden Angeklagten ihr Opfer gleichzeitig oder nacheinander attackiert? Und wie belastbar sind – in Anbetracht der Gedächtnislücken nach Schädelbruch und offenem Schädel-Hirn-Trauma – die Aussagen des Geschädigten? Diese und weitere Detailfragen bleiben auch nach dem Gutachten der Gerichtsmedizin offen. Der Sachverständige stufte die vermutete Cognacflasche als mögliche Tatwaffe ein und betonte, dass durch die zeitnah eingeleiteten Behandlungen "keine akut-lebensgefährliche Situation" entstand.

Unbestritten ist: Für den 32-Jährigen stellt die Tatnacht "eine Zäsur mit gravierenden Folgen" dar, wie er selbst eingangs betonte. Der gelernte Tischler und Schreiner ist auch ein halbes Jahr später krank geschrieben, hat infolge der Tat Taubheitsgefühle am rechten Daumen. Belastbarkeit, Fitness, Konzentrations- und Merkfähigkeit sind bei dem Heidelberger trotz Kur und Ergotherapie weiter eingeschränkt; zudem klagt er über Kopfschmerzattacken sowie Erschöpfung und denkt über eine Umschulung nach, sofern er seinen Job als Spielplatzbauer nicht mehr ausüben kann. Die Entschuldigungen der beiden Angeklagten für das von ihm Erlittene nahm er regungslos entgegen.

Anders als sein 25-jähriger Kumpel war der wegen versuchten Totschlags angeklagte 27-Jährige in der Tatnacht geflohen. Die Verbindungsdaten vom Handy des "total unkooperativen" Jüngeren und dabei drei Telefonate mit dem Hauptangeklagten waren der Durchbruch in den Ermittlungen, wie Aussagen dreier Polizisten bestätigten. Die jüngst verstorbene Stiefmutter des 27-Jährigen, eine für ihn erniedrigende medizinische Untersuchung im Genitalbereich, Ermittlungen wegen Falschaussage gegen seinen älteren Bruder: Diese und weitere Details machen den Fall nicht weniger brisant, bei dem in einer Woche der Urteilsspruch fallen soll. 

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