Neujahrsempfang Weinheim

Was OB Just zufolge in Deutschland schiefläuft

Manuel Just kritisierte überhöhte moralische Ansprüche und fehlende Bescheidenheit. Migranten müssten die Werte "zumindest akzeptieren".

09.01.2023 UPDATE: 09.01.2023 06:00 Uhr 4 Minuten, 23 Sekunden
Die Neujahrsbrezel zählte zu den Geschenken, die die Innungsobermeister an OB Manuel Just (3.v.l.) und Ersten Bürgermeister Torsten Fetzner (r.) übergaben. Foto: Dorn

Von Philipp Weber

Weinheim. Als Blütenprinzessin Christina I. zur Musik der Stadtkapelle in den großen Saal einzog, durften die "Untertanen" sitzen. Der Neujahrsempfang der Stadt mit den Fastnachtern ist am Sonntag nicht in der Enge des Schlosses, sondern in der Stadthalle über die Bühne gegangen. OB Manuel Just hielt eine Neujahrsansprache, in der er das tagespolitische Geschehen mit ungewohnter Meinungsstärke kommentierte.

Zunächst begrüßten jedoch Helga Eibel, Erste Vorsitzende der Karnevalsgesellschaft "Weinheimer Blüten", und Christina I. die Gäste. Die souverän auftretende Prinzessin forderte die Weinheimer auf, das neue Jahr trotz aller Sorgen mit Frohsinn zu beginnen – etwa beim "Ball der Prinzessin" am 21. Januar.

Der dreifache Salut: Die Böllerschüsse kamen „nur“ aus der Handkanone. Foto: Dorn

Damit gehörte die Bühne OB Just. Nach einigen Sätzen zur "Zeitenwende" und zum Ende des Traums vom Frieden in Europa kam er bei den notwendig gewordenen Flüssiggaslieferungen aus Katar an. Er griff den Vorwurf der Doppelmoral auf, der zuletzt speziell die Deutschen beim Umgang mit dem an Rohstoffen und Sportbegeisterung reichen Emirat getroffen hatte.

"Selbst wenn wir teilweise zu Recht unsere ethischen und moralischen Ansprüche anderen abverlangen, sollten wir einerseits nicht verkennen, wie lange wir gebraucht haben, um diese zu leben und zu verinnerlichen – und andererseits hinterfragen, welche dieser Ansprüche richtig und welche überzogen sind", sagte Just. "Kindern an Fasching zu verbieten, sich als Indianer oder Mexikaner zu verkleiden, ist in meinen Augen genauso unsinnig wie in Erwägung zu ziehen, dass es Sinn ergeben könnte, sich an Straßen festzukleben oder Kulturgut zu zerstören, um damit die politisch Handelnden zu bewegen, mehr gegen den Klimawandel zu tun", erklärte Just.

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Es verstehe sich von selbst, dass Schutzsuchenden geholfen wird, sagte er. Man müsse aber erwarten können, "dass diese sich an unsere Gesetze halten und unseren Wertekompass zumindest akzeptieren". Inakzeptabel sei, "wenn unter anderen genau diese Menschen Sanitäter, Hilfskräfte der Feuerwehr oder Polizeikräfte mit Feuerwerkskörpern attackieren – wie in der Silvesternacht in Berlin".

Der Staat müsse seine eigenen Werte schützen. "Wenn ich sehe, dass Woche für Woche unsere Toiletten im Schlosspark dem Vandalismus preisgegeben sind und wir teilweise fünfstellige Summen in diese wichtige Einrichtung stecken, jedoch gleichzeitig einem Verbot unterliegen, den Vorplatz durch eine Kamera überwachen zu lassen, dann läuft in diesem Staat etwas schief", sagte Just. Der Saal schien diese Ansichten fast eins zu eins zu teilen: An keiner Stelle der Rede gab es so starken Zwischenapplaus.

Aber auch zum Thema Klimawandel hatte sich der OB etwas notiert. "Von allen Krisen hat diese wohl die weitreichendsten Folgen", ordnete er ein. Er forderte dazu auf, zu handeln – und zwar ohne überbordende Regulation.

Er wünsche sich ein Jahr 2023, in dem die Menschen etwas bescheidener werden: "Welche Wut es gerade auslöst, wenn sich Autofahrer mitten in der Stadt, wo Menschen wohnen, mit ihrem Auto an eine Tempo-30-Beschränkung halten müssen, irritiert mich in diesem Kontext." 2022 übertraf die Zahl der Neuzulassungen von SUVs die der Klein- und Kompaktwagen. "Das ist völlig absurd."

In Weinheim hoffe er auf ein rasches Vorankommen im Baugebiet Allmendäcker und dort vor allem beim sozial abgefederten Wohnungsbau. Auch das Gewerbegebiet "Nord" und das Wohnquartier auf dem ehemaligen GRN-Areal im Westen des Bahnhofs kämen voran. Die Stadt begleite Projekte wie die Förderung von Geothermie, die Seniorenwohnungen an der Hildebrandschen Mühle und das Hotel am Bahnhof.

Das gelte unter anderem auch für die Lösung des Parkplatzproblems am Miramar. Außerdem bekräftigte Just, mehr für die Jugend tun zu wollen: "Ziel ist und bleibt weiter ein Jugendhaus in Weinheim – es ist lange überfällig." Die Ideen aus der Zukunftswerkstatt lägen vor, aber der Prozess laufe.

In Bezug auf den Einzelhandel erklärte Just, dass ein "Kümmerer" sicherlich gut sei. Das Kümmern um eine lebendige City setze aber auch am Erscheinungsbild der Stadt, deren Erreichbarkeit und deren Immobilienbesitzern an. Apropos Erscheinungsbild: Die Vorbereitungen auf die 2025 in Weinheim stattfindenden Heimattage liefen auf Hochtouren.

Handwerksobermeister Helge Eidt moderierte die Übergabe der Geschenke, die die Innungen an OB Just und Ersten Bürgermeister Torsten Fetzner übergaben. Auch er betonte den Wert des optimistischen Handelns, wenngleich das Handwerk unter hohen Energiepreisen, Projektverzögerungen und Personalmangel ächze. Immerhin: Es gibt Ideen, die Jugend für die Branche zu begeistern, in einigen Projekten packen schon Kindergartenkinder an.

Die Übergabe: OB Manuel Just reichte Prinzessin Christina I. den „Rathausschlüssel“.  Foto: Dorn

Nach den Grüßen der Winzerhoheiten aus Lützelsachsen und einem Medley der Stadtkapelle war der Umtrunk im Foyer eröffnet, den Andreas Botz an der Gitarre untermalte. Doch halt: Vorher "durfte" OB Just den Rathausschlüssel noch den Narren von den "Blüten" übergeben.



Was sagten Besucher zum Ortswechsel?

OB Manuel Just will den städtischen Neujahrsempfang weiter in der Stadthalle ausrichten. Dort solle die Veranstaltung in den kommenden Jahren zu einem Bürgertag heranwachsen, sagte er in seiner Neujahrsansprache. Doch wie erlebten die Besucher den Empfang, zu dessen Beginn Klein und Groß nicht in der Enge des Schlosssaals beieinanderstanden, sondern von ihren Sitzplätzen aus die beeindruckendsten Bilder des Jahres 2022 über die Großbildleinwand defilieren sahen?

Gabi Rück zeigte sich begeistert. "Es ist wunderbar, vor allem weil die Luft hier viel besser ist als im Schloss." Die dortigen Verhältnisse seien gerade für ältere Teilnehmer "grenzwertig" gewesen. Außerdem könne in der Stadthalle jede und jeder das Geschehen auf der Bühne verfolgen, auch visuell. Die beiden lobten auch die Rede von OB Just: "Der immer wieder einsetzende Applaus hat gezeigt, dass die Leute bei ihm waren."

Die Doppel-Premiere: Nach Corona fand der Neujahrsempfang 2023 wieder statt, und zwar in der Stadthalle. Die war – abgesehen von den letzten Reihen und der Empore – gut gefüllt.  Foto: Dorn

"Der Empfang ist hier besser aufgehoben als im Rathaus", fand auch Walter Blesing. In der barrierefreien Veranstaltungshalle seien auch die sanitären Einrichtungen geräumiger und zahlreicher vorhanden als im alten Schloss. "Ich fände es gut, künftig die Vereine ins Boot zu holen. Es müssen ja nicht Jahr für Jahr die gleichen sein", meinte er.

Es war nicht die einzige Idee, die Thema war im Foyer: Ein Teilnehmer forderte, die Jugend stärker einzubinden. Das war sicherlich verständlich: Abzüglich der Winzer- und Blütenhoheiten waren fast alle Teilnehmenden jenseits der Vierzig.

Es gab aber auch andere Meinungen: "Der Saal hier in der Stadthalle mag praktischer sein, aber uns fehlen die historische Umgebung des Schlosses und die donnernden Kanonenschüsse. Das gehörte eben dazu", so Werner Schaab und Marlene Pancar. Ihre Idee: Neben dem traditionellen Handwerk weitere Gewerbebranchen vorstellen.



Und er sagte doch etwas zur Mult

Kritiker eines Gewerbegebiets in der "Hinteren Mult" sammeln Unterschriften für ein Bürgerbegehren. OB Manuel Just blieb beim Neujahrsempfang seinem Grundsatz insofern treu, als er hierzu keine Empfehlung abgab. Zum geplanten Gerwebegebiet äußerte er sich aber doch: "Ich bin der Mehrheit des Gemeinderats dankbar für die Entscheidung zugunsten einer Gewerbeentwicklung", so der OB.

"Ich sage aber auch – wie seit drei Jahren: Damit sind wir auf der Zielgeraden des Flächenverbrauchs." Er habe schon im OB-Wahlkampf 2018 betont, dass dieses Gebiet gesetzt und eine Entwicklung an dieser Stelle, welche 0,5 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche Weinheims entspreche, richtig sei. "Richtig, um Arbeitsplätze zu halten und den Haushalt mit Gewerbesteuereinnahmen zu stärken."

Die von der Stadtgesellschaft gewünschten Projekte und Vorhaben müssten bezahlt werden, nannte er Straßen-, Bäder- und Kitasanierungen als Beispiele.

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