Neujahrsempfang Mühlhausen

Verfassungsrichter Stephan Harbarth hielt Ansprache

"Am Ball bleiben" - trotz gewaltiger Herausforderungen: Das gab Bürgermeister Spanberger vor.

18.01.2023 UPDATE: 18.01.2023 06:00 Uhr 2 Minuten, 44 Sekunden
„Sind wir in einer guten Verfassung?“, fragte Stephan Harbarth in seiner Ansprache. Foto: Pfeifer

Mühlhausen/Rettigheim. (rka) Den traditionellen Neujahrsempfang der Gemeinde Mühlhausen umrahmte der Musikverein "Eintracht" Rettigheim unter der Leitung von Christiane Weinmann. Mit "Ein volles Haus – Zeichen der Zuversicht in schweren Zeiten" begrüßte Bürgermeisterstellvertreter Ewald Engelbert die Anwesenden im Gemeindezentrum St. Nikolaus in Rettigheim. Er rief sie dazu auf, mit "Mut, Zuversicht und Optimismus in die Zukunft zu schauen".

Im voll besetzten Saal des Rettigheimer Gemeindezentrums St. Nikolaus veranstaltete die Gemeinde Mühlhausen ihren Neujahrsempfang. Foto: Pfeifer

In einer eindrucksvollen Neujahrsansprache beschäftige sich der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, mit der Frage: "Unser Staat in guter Verfassung? Herausforderungen für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat". Einleitend erinnerte er an Russlands Krieg gegen die Ukraine, der "an den Grundfesten der europäischen Friedensordnung" rüttle und so die eigene Verletzlichkeit aufzeige.

Einmal mehr stelle sich die Frage: "Wir haben eine gute Verfassung. Aber sind wir auch in einer guten Verfassung?", so Harbarth. "Wir haben allen Grund, auf unsere Verfassung stolz zu sein": Sie habe die deutsche Einheit ermöglicht ebenso wie die europäische Integration. Doch die freiheitliche Demokratie westlicher Prägung stehe unter Druck – in Europa, aber auch in Deutschland.

Die zunehmende Unzufriedenheit mit der Demokratie halte schon seit zehn Jahren an – ein der Dauer nach einmaliges Phänomen, stellte Harbarth fest. Die Demokratie werde anfälliger für Gefährdungen von innen und außen. Als Gefährdungen von innen nannte er den gesellschaftlichen Diskurs insbesondere durch neue Medien. Diese begünstigten das Spontane, Vorläufige, Verkürzende, auch das Verletzende.

"Die Distanz zum Gegenüber sowie die Anonymität des Internets befördern eine Verrohung und Enthemmung", so Harbarth. Mit Sorge beobachte er eine "Verstärkung gesellschaftlicher Fliehkräfte". Diese Angriffe aus dem Innern könnten flankiert werden durch Angriffe von außen, etwa durch Einflussnahme auf Wahlen. So könnten verfassungsrechtliche Grundlagen allein die Demokratie nicht sichern.

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"Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben uns 1949 ein außerordentlich gutes Rüstzeug mit auf den Weg gegeben, um auch die neuen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu meistern", sagte Stephan Harbarth. Allem vorangestellt habe man die Grundrechte mit der unantastbaren Menschenwürde.

Nicht der Staat, sondern das Individuum stehe im Fokus des Grundgesetzes. "Die freiheitliche Demokratie braucht einen starken Rechtsstaat", so der Verfassungsgerichtspräsident. Dies sei in besonderer Weise eine Reaktion auf die Nazi-Zeit. Ohne den Schutz vor Gewalt und ohne Recht "gibt es keine Freiheit", so Harbarths Meinung.

Als zusätzlichen Schutzmechanismus habe man das Bundesverfassungsgericht installiert. Intensiv plädierte Harbarth für das "föderale Prinzip". Durch die "horizontale und vertikale Gewaltenteilung" mit der Verteilung der Verantwortung auf Bund und Länder sei die Gefahr einer Diktatur deutlich reduziert. Die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger bis hin zur kommunalen Ebene fördere die Identifikation mit dem Staat.

Harbarth wies noch auf einen weiteren Punkt des Grundgesetzes hin, das Sozialstaatsprinzip, das staatliche Vor- und Fürsorge für diejenigen verlange, die wegen persönlicher Schwäche oder Schuld, Unfähigkeit oder gesellschaftlicher Benachteiligung in ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung behindert sind.

Insgesamt biete das Grundgesetz für die Bewältigung der aktuellen und kommenden Herausforderungen einen "stabilen Ordnungsrahmen". Deshalb dürfe man grundsätzlich zuversichtlich in die Zukunft blicken.

Doch auch die beste Verfassungsordnung könne keinen Erfolg haben, wenn sie keine Menschen antreffe, die sich mit Mut, Entschlossenheit und Leidenschaft für Freiheit und Demokratie engagieren, betonte er. Hierzu wünschte sich Stephan Harbarth ein "breites bürgerschaftliches Engagement für Freiheit und Demokratie mit Verstand, Ausdauer und Leidenschaft".

"Die letzten Jahre waren für uns alle eine emotional bewegende und auch schwierige Zeit", sagte Bürgermeister Spanberger in seiner Ansprache, in der er unter anderem Schwerpunkte auf die Corona-Pandemie sowie auf den russische Angriffskrieg auf die Ukraine legte. Lieferengpässe, hohe Inflation, steigende Energiekosten und Engpässe bei Lebensmitteln – und "auch aus humanitärer Sicht ist dieser Krieg eine Tragödie".

Mühlhausen habe seit Kriegsbeginn 52 Flüchtlinge aufgenommen, 130 werden voraussichtlich noch folgen, so Spanberger. Freiwillige und die Gemeinde hätten die Flüchtlinge aufs Herzlichste begrüßt. Auch darüber hinaus konnte Spanberger mit Stolz auf das große ehrenamtliche Engagement in der Gemeinde verweisen.

Trotz gewaltiger Herausforderungen sah Spanberger viele Möglichkeiten, die kommunalpolitischen Ziele für eine attraktive Gemeinde weiterzuverfolgen. "Am Ball bleiben", laute das Motto für 2023. Einweihung und Eröffnung von drei wichtigen Projekten stehen in diesem Jahr an: Gemeindebauhof, Kindergarten St. Josef und Waldkindergarten. Allerdings: Der Schuldenstand von gegenwärtig fünf Millionen Euro – oder 575 Euro pro Einwohner – werde wohl nicht so bleiben, ebenso wenig die Rücklage von zurzeit 5,7 Millionen Euro.

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