"Musikalisches Hirschberg"

Der MGV 1884 Leutershausen rüttelt an der Tradition (plus Video)

Statt Heimatliedern, A cappella und traditioneller Chorliteratur gibt es Neue Deutsche Welle, musikalische Pop-Band-Untermalung und "Rock mi".

18.08.2019 UPDATE: 19.08.2019 06:00 Uhr 3 Minuten, 13 Sekunden

"Die alten Zeiten sind rum": Dass ein Männerchor heute noch überleben kann, ist nicht mehr selbstverständlich. Der MGV 1884 Leutershausen hat das erkannt und ist dabei, sich ganz neu aufzustellen. Foto: Dorn

Von Christina Schäfer

Hirschberg-Leutershausen. Sie seien noch euphorisiert. Das Bekenntnis kommt unisono aus den Mündern der MGV-Sänger Bernhard Adler, Harald Brand und Jürgen Böhm. Ihr großes Open-Air-Konzert liegt gerade einige Tage zurück. Sie zehren noch von dem Zuspruch ihres Publikums, von dem Erlebnis, eine gelungene Mischung aus modernem Chorvortrag und Comedy auf die Beine gestellt zu haben, von dem Applaus der 1000 begeisterten Zuhörer, die sie feierten und die rund 50 Stimmen haben anschwellen lassen zu einem einzigen großen Hirschberger Schlosshof-Chor.

Die Mühen im Vorfeld haben sich gelohnt und damit auch das Rütteln an sängerischer Tradition. Denn das Programm, mit dem sich der MGV Leutershausen beim Konzert präsentierte, war für die Geschichte des Männerchors ungewöhnlich.

Statt Heimatliedern stand die Neue Deutsche Welle auf dem Programm, statt A cappella gibt es musikalische Untermalung mit einer Pop-Band, statt traditioneller Chorliteratur flog den Gästen Voxx Clubs "Rock mi" um die Ohren. "Das wäre früher undenkbar gewesen", blickt Harald Brand, Vorsitzender der MGV-Sänger, zurück.

Der ehemalige Chorleiter Gerhard Wind war ohne Zweifel eine Institution. Er wusste aber auch, was er wollte. "Wir hatten schon einen Musikausschuss", erinnert sich Brand. Der war aber quasi obsolet. 2010 wechselte der Dirigentenstab nach 55 Jahren aus den Händen von Wind in die von Michael Kuhn. Für die Sänger brechen neue Zeiten an; auch weil es sein muss. "Wenn jetzt nichts passiert, dann ist Feierabend", bringt Brand es auf den Punkt. Ein Feierabend, der nach Meinung der drei etliche Chöre treffen wird, denn Nachwuchs ist Mangelware.

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Chormusik ist aus heutiger Sicht nicht besonders "sexy", Singen unter Männern eher verpönt. Früher war das anders. Harald Brand und Bernhard Adler wissen das aus Erfahrung: Als Jugendliche haben sie mit dem Singen angefangen. Brand kam 1985 zum MGV. Da waren die Zeiten in Sachen Kopfzahl der aktiven Sänger genauso anders wie die Gepflogenheiten des Miteinanders.

Brand sagt, jeder habe seinen festen Platz gehabt - in der Probe wie später am Tisch bei Bier und Karten zocken, der Nachwuchs saß derweil im Nebenzimmer. Man konnte es sich leisten, die Chorstärke war ausgeprägt, die Bemühungen um Integration junger Sänger bescheiden.

"Der Empfang war sehr herzlich. Ich fühlte mich von der ersten Minute an integriert, es hat mich direkt jemand an die Hand genommen." Jürgen Böhm zeichnet von seiner Aufnahme in die Chorgemeinschaft ein anderes Bild. Er ist "der Frischling in der Runde" und seit einem Jahr begeisterter Sänger.

Er sei, wie auch ein gutes Dutzend weiterer Sänger, "das Ergebnis der Werbekampagne", die im vergangenen Jahr begann. Da hatte die Zahl der aktiven Sänger mit knapp über 30 ihre Talsohle erreicht, sagt Böhm. Wäre keine Dynamik in die "man muss mal was machen"-Haltung gekommen, wäre der MGV Geschichte gewesen, weil die vier Stimmen nicht mehr hätten besetzt werden können.

"Die alten Zeiten sind rum", stellt Harald Brand klar. Sowohl, was die Selbstverständlichkeit des Überlebens eines Chors angeht als auch das Bewegen in der Komfortzone vorheriger Chorliteratur. Mit dem neuen Chorleiter habe man sich seit 2010 in Sachen Liedgut bereits etwas verändert, sagt er. Mit dem Programm des Open-Airs ist nun offensichtlich ein Aufbrechen erfolgt. Das ist auch eine Konsequenz dessen, dass man sich vor dem Hintergrund schwindender Aktiver und damit auch einer nicht mehr klaren Zukunft auf den Prüfstand gestellt hat. Ehrlich sei das gewesen, eine Auseinanderaussetzung mit auch unangenehmen Fragen und "dynamischen Diskussionen", wie es Adler nennt.

Es hat gefruchtet. Die Folge ist die bewusste Öffnung nach außen, das Einschalten einer Werbeagentur mit einer Kampagne zur Gewinnung neuer Mitglieder, die Überarbeitung von Homepage und Facebook-Seite und nicht zuletzt ein neues Outfit. Statt in Anzug und Krawatte stehen die Männer im Vintage-Stil der 1920er Jahre auf der Bühne.

Schon im vergangenen Jahr hat der Chor mit einem Kinoabend samt Chormusik und Bierprobe eine neue Idee umgesetzt, in diesem Jahr nun der Umschwung vom klassischen hin zum modernen Repertoire. Die Balance zu finden zwischen Tradition und Moderne sei jetzt die Schwierigkeit, sagt Bernhard Adler.

Es geht darum, alle Sänger, die alten wie die neuen, mitzunehmen in die Zukunft des MGV. Wie die aussieht, wird sich finden. Nach der Sommerpause, die nun vor allen liegt. Dann wird es Überlegungen zur Neuausrichtung geben. Klar ist bisher nur: Zurück zum Alten wird es nicht mehr gehen.

Der MGV hat sich 135 Jahre nach seiner Gründung mit seinen damals 21 Mitgliedern wieder auf ein stabiles Fundament gestellt. Neben den Bestands- und Neumitgliedern bilden das auch die zahlreichen passiven Mitglieder. Viele fühlen sich nach einer langen aktiven Sängerzeit fest mit dem MGV verbunden, haben ihre Begeisterung an die Söhne weitergegeben. Dabei zählt für Harald Brand vor etwaigem Talent der Spaß am Singen, denn, so Brand, singen könne jeder. "Die meisten wissen es nur nicht."

Jürgen Böhm ist sich sicher, dass, hätte er um die Freude gewusst, er schon viel früher den Weg zum MGV gefunden hätte. Und warum ein Männerchor? "Die Stimmgewalt, die man hat, und diese Vielfalt der Männerstimmen", zeigt sich Böhm faziniert. Beides hat der MGV 1884 Leutershausen nicht zuletzt mit seinem diesjährigen Open-Air-Konzert eindrucksvoll bewiesen.

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