"Odenwälder Shanty Chor" startete auf einem Segelschiff
Zwei Schreiner brachten vor 30 Jahren den Shanty nach Großsachsen

Leiter Matz Scheid zeigt die zehn CDs, die der Odenwälder Shanty Chor in seiner 30-jährigen Geschichte schon aufgenommen hat. Foto: Dorn
Von Annette Steininger
Hirschberg-Großsachsen. "Es begab sich zu jener Zeit...", fängt Matz Scheid an zu erzählen. Und in der Tat hat die Geschichte des Odenwälder Shanty Chors etwas Märchenhaft-Abenteuerliches. Denn die Anfänge des mittlerweile legendären Chors, der von den Erlebnissen des Seefahrers Schann Scheid erzählt, begannen auf der "Sea Cloud", einem Segelschiff. Dorthin hatte es in den 1980er Jahren die Großsachsener Arno und Thilo Spilger als Schiffsschreiner verschlagen. Auf den Reisen hörten sie immer wieder Shantys und traten sogar als Crew gemeinsam für die Gäste auf. "Die Menschen von Kiribati, einem Land in Ozeanien, waren wohl am sangesfreudigsten", wurde Scheid erzählt.
Im Jahr 1989 kehrten die Schiffsschreiner nach Großsachsen zurück, und es kam zu einer schicksalhaften Begegnung. Musiker Matz Scheid besuchte wie die beiden auch ein Dorffest. "Und zu vorgerückter Stunde fing einer von ihnen an zu singen", erinnert sich der 62-Jährige. "Ich fand diese Art von Gesang toll und hatte sie noch nie zuvor gehört."

Von der Urbesetzung des Odenwälder Shanty Chors ist heute noch gut die Hälfte dabei. Hier ein Bild von einem Auftritt 2018 in der Alten Turnhalle. Foto: Dorn
Diese Seemannslieder, wie man sie seit dem 19. Jahrhundert kennt, hätten nichts gemein mit Weisen wie "Junge, komm bald wieder". Und weil Matz Scheid, dem heutigen Leiter des "Odenwälder Shanty Chors" das so gut gefiel, taten sich die drei spontan zusammen und landeten bei ihm im Wohnzimmer, um gemeinsam Musik zu machen. "Das war der Urknall", sagt der Großsachsener. "Danach hat sich alles ganz rasant entwickelt."
Aus drei wurde vier: Die Schwester von Thilo und Arno Spilger, Andrea, gesellte sich noch dazu. Und aus vier wurden plötzlich acht: In der Weinheimer Kleinkunstkeller-Kneipe "Villa" machte sie der Wirt auf vier junge Frauen aufmerksam: "Die singen nämlich gern." Nun sangen sie gemeinsam die gut zehn Shantys in Matz Scheids Wohnzimmer. Damit stand das offizielle Gründungsdatum des "Odenwälder Shanty Chors" fest: der 13. Oktober 1989.
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"Innerhalb kürzester Zeit waren wir 20 Leute", erinnert sich Scheid. Von dieser Urbesetzung ist übrigens heute noch gut die Hälfte dabei. Das Wohnzimmer war damals längst zu klein geworden, der Chor probte fortan für einige Jahre im Ladenburger Jugendzentrum "Kiste", bis er später in der Alten Schule in Großsachsen seinen Heimathafen fand.
In jener aufregenden Zeit kam der Texter und Erzähler Manfred Maser dazu, der eines Tages von Schann Scheid, dem Helden der sieben Weltmeere aus Fränkisch-Crumbach, berichtete. "Da hat er einen Vorfahren von mir ausgegraben", meint Scheid, der den Seefahrer verkörpert, augenzwinkernd. Auch Prof. Dr. Alfons Netwohr (Maser), Leiter des Instituts für spekulative Heimatgeschichte, wurde damit zur Legende.
Und die Idee für eine einzigartige Mischung aus Shantys und Geschichten war geboren. Dass daraus ein richtiges Erfolgsmodell werden würde, ahnte damals wohl niemand. "Wir haben einfach gesungen und Spaß gehabt", erzählt Scheid.
Einige wenige Auftritte gab es zwar, aber nichts Offizielles, sondern mal bei der Hochzeit eines Freundes oder auf einer Gartenparty. "Unseren ersten richtigen Auftritt hatten wir 1990 in der ,Villa’ gemeinsam mit dem Clown Bello Bellowsky", erzählt Scheid. Damals nannte sich der Odenwälder Shanty Chor noch "Strandgut" und war noch nicht über ein Repertoire von zehn Liedern hinaus. "Wir sind aber richtig eingeschlagen."
Der heutige Name war nach dem ersten Auftritt schnell gefunden: "Uns nannte man da schon Shanty-Chor", erinnert sich Scheid. Und der Odenwald sei durch die Lage Großsachsens am Rande des Odenwalds dazugekommen. "Das klingt eben besser als Bergstraße", meint Scheid schmunzelnd.

Erzähler und Texter Manfred Maser als Prof. Dr. Alfons Netwohr. Foto: Dorn
Zahlreiche Auftritte folgten, im Jahr 1992 erschien die erste CD. Und Manfred Maser erzählte seine Geschichten. "Das ist ja das, was den Odenwälder Shanty Chor ausmacht", meint der OSC-Leiter. "Das findet man sonst nirgends." Hinzu komme, dass der OSC mit einem ausgefallenen Bühnenbild und originellen Requisiten arbeite. "Das ist teilweise ein sehr großer Aufwand", erzählt Scheid. "Und wir haben tolle Licht- und Ton-Techniker."
Das alles hat den Shanty Chor zu dem gemacht, was er heute ist: eine Institution, die Hallen füllt – in Hirschberg wie andernorts. Gut 400 bis 500 Auftritte haben die Chormitglieder schon absolviert in all den Jahren.
Und zehn CDs hat der OSC mittlerweile aufgenommen, die das jeweilige Programm als Titel haben: Sei es "Dorscht" oder "Per Bembel durch die Galaxis". Auch bei einer Kinder-CD übernahm der Shanty Chor eine tragende Rolle. Apropos: Für ein paar Monate gab es auch einen OSC-Kinderchor, den Scheid ebenfalls geleitet hat. Es war ausschließlich Nachwuchs der großen Sänger dabei, der sich "Goldkehlchen" nannte.
Im Gegensatz zum "kleinen Chor" schreibt der Shanty Chor nun seit 30 Jahren Geschichte: Derzeit gehören ihm acht Frauen und 14 Männer an, die Traditionals, Shantys, Folk- oder auch mal Rock-Songs singen – ins Ourewellerisch übertragene Welthits und Eigenkompositionen. Unter ihnen sind auch begnadete Instrumentalisten, die zu Gitarre, Mandoline, Ukulele, Kontrabass, Querflöte, Trommeln oder auch mal zur irischen Bouzouki greifen. Fast 200 Lieder umfasst das Oeuvre.
Matz Scheid studiert mit dem Chor bei den neuen Programmen erst einmal ein paar "allgemeine Lieder" ein, bis Manfred Maser die Idee liefert. Dann komponiert er selbst noch ein paar Stücke dazu, und das Ganze wird mit der Geschichte zum Kunstwerk.
Ein wirkliches Lieblingsprogramm habe er nicht, sinniert Scheid. "Ich mag alle Programme." Aber "Dorscht" sei ihm besonders leicht von der Hand gegangen. "Generell mag ich einfach Manfreds Humor sehr", sagt der Chorleiter. "Und diese Mischung aus Tiefsinn und Schenkelklopfern."
Manchmal muss er sich das Lachen auf der Bühne verkneifen. Wie bei dem Satz: "Leck’s am Arsch, en Bembel." Oft erwarte man etwas Mystisches und dann komme plötzlich etwas Frivoles, meint Scheid schmunzelnd.

Der erste Auftritt des OSC, der sich damals noch "Strandgut" nannte, im Jahr 1990. Foto: Dorn
Der Stolz auf das Erreichte und die Freude an diesem Chor sind Scheid deutlich anzumerken. Auch dass die Sänger schon als Veranstalter zu mehreren "Saasemer Folk- und Shanty-Festivals" – das erste fand 2001 statt – eingeladen haben, ist für ihn etwas Besonderes. Zumal dadurch auch Freundschaften mit anderen Sängern und Bands entstanden seien. Mit einigen von ihnen gibt es ein Wiedersehen, wenn der OSC vom 11. bis 13. Oktober samt musikalischen Gästen sein Jubiläum feiert.
Im kommenden Jahr soll es dann noch ein paar "Dorscht"-Auftritte geben. Und vielleicht ein "Best of"-Programm. Das steht aber noch nicht fest. Denn jetzt wird erst mal gefeiert – und auf abenteuerliche Seefahrten zurückgeblickt.



