John Ehret gilt als Deutschlands erster schwarzer Bürgermeister
"Colored? Ich bin doch nicht bunt!" - Im Interview ruft er zu mehr Gelassenheit in Rassismus-Debatten auf

Von Lukas Werthenbach
Mauer. John Ehret (48) ist seit 2012 Rathauschef der Gemeinde Mauer, er gilt als "erster gewählter schwarzer Bürgermeister Deutschlands".
Herr Ehret, Sie waren zunächst gar nicht begeistert von der Idee dieses Interviews – warum?
Ich hatte in den letzten Wochen viele Anfragen von verschiedenen Pressevertretern, die die Entwicklungen in den USA zum Anlass genommen haben, um mich nach einem Statement zu fragen. Deswegen hatte ich das Gefühl, dass Sie jetzt auch das Gleiche wollen. Aber Sie haben mich ja überzeugt, dass es hier mehr um Vielfalt in Deutschland geht. Und dazu bin ich schon eher bereit, als nur auf das zu schauen, was in Amerika passiert. Wobei ich diese Gewalt, wie auch jegliche andere Gewalt, verurteile.
Sie waren als Kind der einzige Schwarze in Mauer: Wissen Sie noch, wann Sie sich erstmals damit auseinandergesetzt haben?
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Das ist eine interessante Frage, da muss ich wirklich mal überlegen. Ich habe keine großartige Erinnerung daran. Natürlich war das bei der Einschulung für die anderen Kinder was Besonderes, aber das waren keine negativen Reaktionen. Es war einfach Neugierde, weil man sich untereinander nicht kannte. Es gab aber mal eine Situation bei der SG Viktoria Mauer, wo ich kurz nach der Einschulung angefangen habe Fußball zu spielen. Da war ein Betreuer, der mich sah und sagte: "Hey, jetzt kriegen wir einen Pelé!" Pelé war bekannt, brasilianischer Fußballer, Schwarzer – und er war ein Idol. Da ist mir das vielleicht das erste Mal aufgefallen: "Stimmt eigentlich, ich bin ein Pelé...". Auch wenn natürlich meine fußballerischen Fähigkeiten nicht so hoch angesiedelt waren (lacht).
Sie haben mal erzählt, dass Ihnen als Kind Ältere oder Fremde gerne mit der Hand durchs Haar gefahren sind. Wie war das für Sie?
Ich war da wirklich entspannt. Man muss doch einfach mal die andere Seite verstehen, für die das was Besonderes ist. Meine Oma hat zum Beispiel damals nach dem Haareschneiden immer meine Haare gesammelt, um daraus Nadelkissen für Bekannte herzustellen. Meine Haare waren dafür einfach optimales Füllmaterial. Deswegen war mir schon klar, dass meine Haare für die Leute was Besonderes sind. Ich fühlte mich dadurch nicht belästigt.
Also haben solche Erlebnisse Ihr Selbstbewusstsein sogar gesteigert?
Im Nachhinein muss ich sagen: Wahrscheinlich schon, weil ich fast keine negativen Erlebnisse hatte.
Hintergrund
> John Ehret wurde 1971 in Karlsruhe geboren. Über seinen leiblichen Vater weiß er nur, dass er als US-amerikanischer Soldat in Karlsruhe stationiert war. Weil seine Mutter schwer krank wurde, kam Ehret im Alter von zwei Jahren in ein Kinderheim. Mit sechs
> John Ehret wurde 1971 in Karlsruhe geboren. Über seinen leiblichen Vater weiß er nur, dass er als US-amerikanischer Soldat in Karlsruhe stationiert war. Weil seine Mutter schwer krank wurde, kam Ehret im Alter von zwei Jahren in ein Kinderheim. Mit sechs Jahren wurde er vom Mauermer Ehepaar Gertrud und Helmut Ehret adoptiert. Dort wuchs er mit einem vier Jahre älteren, nicht leiblichen Bruder auf, der ebenfalls adoptiert war. Nach dem Abitur am Kurfürst-Friedrich-Gymnasium in Heidelberg begann Ehret 1993 eine Ausbildung beim Bundeskriminalamt (BKA), die er 1996 abschloss. Beim BKA arbeitete er zunächst im Bereich "Organisierte und allgemeine Kriminalität", ehe er 1998 zum Personenschutz wechselte. Dort wurde er ab 1999 im Bereich "Staatsbesuche" in Berlin eingesetzt. 2002 ging er in die Abteilung "Staatsschutz", wo er auch auf verschiedene Auslandsmissionen ging. Im Rahmen internationaler Polizeiarbeit für Vereinte Nationen (UN) und Europäische Union (EU) wurde er in Afghanistan, Libanon sowie Bosnien und Herzegowina eingesetzt. Vom Polizeidienst wechselte Ehret nach gewonnener Bürgermeisterwahl 2012 ins Mauermer Rathaus. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. luw
Wie blicken Sie auf heutige Debatten über politisch korrekte Sprache? Zum Beispiel auf "Mohrenkopf und Schaumkuss"?
Natürlich verändert sich Sprache, was ja auch gut ist. Man muss da schon sehen, dass vielleicht vor 50 Jahren die Worte anders gewählt wurden als heute. Deswegen kann ich gut verstehen, dass man immer wieder darüber redet, wie zum Beispiel jetzt auch über die Frage des Begriffs "Rasse" im Grundgesetz. Es ist gut, dass man in der Bevölkerung ein Bewusstsein schafft. Aber man müsste eigentlich mit der betroffenen Bevölkerung darüber reden, ob sie sich beim Wort "Mohrenkopf" benachteiligt fühlt oder nicht. So war es zum Beispiel auch, als man irgendwann anfing, mich "colored", also "farbig", zu nennen. Und dann habe ich gefragt: "Warum nennst Du mich farbig? Ich bin doch nicht bunt." Wenn man mich "schwarz" nennt, ist das für mich kein Rassismus.
Und wie nennen Sie die schokoladige Süßware mit Schaumfüllung?
Das ist ein schwieriges Thema. Man muss auch wissen, wo man sich bewegt. Wenn ich in der Öffentlichkeit bin und weiß, dass darauf Wert gelegt wird, dann sage ich auch "Schaumkuss". Fingerspitzengefühl und ein Stück weit Gelassenheit helfen immer. Denn nicht jeder, der vielleicht nicht ganz politisch korrekt redet, ist gleich fremdenfeindlich. Auch der Ton macht die Musik. Und der Hintergrund beziehungsweise Kontext natürlich auch.
Hat es Sie verletzt, wenn Sie als Kind beim Krippenspiel stets den schwarzen König Caspar spielen sollten?
Nein, als der Pfarrer die Rollen verteilt hat, war ja klar, dass ich dann gefragt wurde, ob ich den "schwarzen" König spielen will. Und auch das habe ich eher als positiv empfunden, nach dem Motto: Ja ich kann das, ich hab ja schon die Farbe (lacht). Und als ich nach mehreren Jahren mal eine andere Rolle spielen wollte, wurde sofort darauf eingegangen. Dann durfte ich auch mal einen Hirten spielen.
Begegnet Ihnen Rassismus im Alltag?
Nein, wirklich nicht. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich jetzt in der Region als Bürgermeister unterwegs bin. Aber auch wenn ich als Jugendlicher in Heidelberg unterwegs war, ist da nie etwas passiert. Es gibt aber Situationen im Bekannten- und Freundeskreis, worüber sich andere schon aufregen. Zum Beispiel bekomme ich nach dem Urlaub schon mal scherzhaft gesagt: "Du bist aber braun geworden." Das empfinden andere Schwarze schon als Affront oder Rassismus. Aber ich finde das nicht schlimm, das ist doch kein Rassismus. Deswegen rufe ich zu mehr Gelassenheit auf. Alltagsrassismus ist, wenn ich als Schwarzer auf die Behörde gehe, vielleicht die Sprache nicht richtig spreche und links liegen gelassen werde.
Welche Erfahrungen mit Rassismus haben Sie bei der Polizei gemacht?
Meine Erfahrung ist, dass ein überwiegend großer Teil der Kollegen absolut nicht rassistisch ist. Dass es immer schwarze Schafe gibt, ist leider so in der Gesellschaft. Das ist aber bei Lehrern, Pfarrern, Bürgermeistern, bei jeder Berufsgruppe so.
Haben sich Bürger gegenüber Ihnen als Polizist im Einsatz mal rassistisch geäußert?
Ich habe eher schon mitbekommen, dass viele Ausländer Polizisten sofort als "Nazis" beschimpft haben, ohne dass etwas vorgefallen war. Das war bei mir natürlich immer schwer, weil ich ganz offensichtlich kein Nazi war. Und das hat dann zu einer gewissen Entspannung beigetragen, da war ich eher Bindeglied.
Als jemand, der in Deutschland aufgewachsen ist und auf verschiedenen Auslandeinsätzen war: Was ist für Sie typisch deutsch?
Aus meiner Sicht gibt es nicht "typisch deutsch", höchstens vielleicht Verhaltensweisen: zum Beispiel Pünktlichkeit, Gründlichkeit und Perfektion. Im Ausland habe ich oft erlebt, dass dort Oktoberfestbier und Weißbier zuerst mit Deutschland in Verbindung gebracht werden.
Sie nennen die öffentlichen Reaktionen auf Ihre gewonnene Wahl 2012 als "erster schwarzer Bürgermeister in Deutschland" einen "Riesenhype" – hatten Sie damit gerechnet?
Das war für mich überhaupt nicht absehbar, ich war in der Hinsicht auch ein bisschen naiv. Die ersten paar Male habe ich auch freundlich Antworten gegeben, aber nachdem der dritte, vierte und fünfte Journalist anrief, kam eine gewisse Abnutzungserscheinung. Ich hatte ja schon alles dreimal erzählt. Vor allem wollte ich doch erst mal als Bürgermeister loslegen und mit meiner Arbeit in der Öffentlichkeit punkten – und nicht bloß wegen meiner Hautfarbe. Dabei erzähle ich aber auch gern, dass ich beim Wechsel zur Abteilung "Personenschutz" 1998 am liebsten an die Seite des Bundespräsidenten oder Außenministers wollte – ich wollte zu jemandem, mit dem man viel reist. Dann signalisierte mir aber mein Abteilungsleiter, dass ich wegen meiner Hautfarbe nicht zum Außenminister könne.
Denn der sei so viel im Fokus der Presse, sodass dann ein Hype um mich als "schwarzer BKA-Bodyguard" entstehen würde, wie ein Jahr zuvor bei der "ersten Frau im BKA-Personenschutz" bei Theo Waigel, dem damaligen Bundesfinanzminister. Aber die Politiker möchten nicht, dass ihr Personenschützer mehr in der Zeitung ist als sie selbst. Deswegen kam ich dann in den Bereich "Staatsbesuche". Dort hätte ich viel mit ausländischen Staatsgästen zu tun, sagte mein Abteilungsleiter: "Da passen Sie rein." Aber auch das war aus meiner Sicht kein Rassismus, sondern für mich verständlich und sogar eher vorausschauend.