Leimen/Heidelberg

Schornstein war in neun Sekunden Schutt (Video/Fotogalerie)

Das Bauwerk aus den 1960er Jahren wurde nicht mehr benötigt und am Dienstagnachmittag gesprengt.

13.01.2022 UPDATE: 18.01.2022 16:36 Uhr 3 Minuten, 35 Sekunden
Foto: PR-Video

Von Christoph Moll

Leimen/Heidelberg. "Drei – zwei – eins – Zündung!" Punkt 14 Uhr knallt es am Dienstag auf dem ehemaligen Eternit-Gelände zwischen Leimen und Heidelberg heftig – als würden unzählige Silvesterböller auf einmal gezündet. Dann gerät der 60 Meter hohe Schornstein auf dem Areal der "Etex Germany Exteriors GmbH" aus den 60er Jahren immer stärker in Schräglage und bricht im Fallen in der Mitte auseinander. Es dauert nur neun Sekunden, bis ein Stück Firmengeschichte mit Eternit-Logo in Schutt liegt. Die Staubwolke hält sich überraschenderweise in Grenzen. Mehrere laute Signale hatten die spektakuläre Sprengung angekündigt und die Besucher des nahen Obi-Baumarktes wurden mit Durchsagen gewarnt. Neben den Angestellten verfolgten rund 100 Schaulustige – darunter viele Kinder – das Spektakel.

Michael Neubert aus der Nähe von Chemnitz in Sachsen war der Mann, der den Schornstein zu Fall brachte. Der 26-jährige Sprengingenieur – die Bezeichnung "Sprengmeister" gibt es nicht mehr – arbeitet für die Thüringer Spreng-Gesellschaft mit Sitz in Kaulsdorf an der Saale und jagt seit einem Jahr hauptamtlich Bauwerke in die Luft. Sein bisheriger "Höhepunkt" war das 63-Meter-Hochhaus "Weißer Riese" in Duisburg im vergangenen September. Ansonsten legt er vor allem alte Windräder um – alleine 20 Stück im vergangenen Jahr – und ist in Steinbrüchen aktiv.

Das Unternehmen gibt es seit 31 Jahren und ist hauptsächlich in Mitteldeutschland aktiv, sprengte aber auch schon Bauwerke in Kaiserslautern und Ludwigshafen. Schornsteine gehören fast zum "Tagesgeschäft". Jener in Leimen war das 449. Exemplar. "Da führen wir eine Strichliste", sagt Neubert mit einem Augenzwinkern. Der größte Schornstein war bisher jener im Kraftwerk Westerholt in Gelsenkirchen mit über 300 Metern, der im Jahr 2006 gesprengt wurde. Vergleichsweise klein war nun jener in Leimen, aber nicht "harmlos". "Jede Sprengung ist eine Herausforderung", betont Neubert – auch wenn 60 Meter eine "klassische Höhe" seien. Die meisten zu zerstörenden Schornsteine seien zwischen 40 und 80 Meter hoch.

Für die Sprengung von Schornsteinen aus Mauerwerk wie jenem in Leimen gebe es einen festen Ablauf. Zunächst hole das Unternehmen Unterlagen zum Bauwerk ein und überprüfe Angaben wie die Wandstärke vor Ort. In Leimen geschah dies bereits im November. Die eigentliche Vorbereitung der Sprengung begann am Montag mit dem "Vorschwächen" des Schornsteins. Es wurde eine keilförmige Öffnung am Fuß geschaffen – zurück blieben nur zwei Stützen, die dann am Dienstag weggesprengt wurden. Dadurch kam es zu einer Schwerpunktverlagerung. "Der Schornstein kippt einfach um wie ein Baum", hatte Neubert angekündigt – und Wort gehalten. Auch dass er wohl durch die hohen Fliehkräfte in der Mitte bricht, hatte er vorausgesagt. Das einfache "Umlegen" sei nur wegen des ausreichenden Platzes möglich gewesen. Der 300-Meter-Schlot in Gelsenkirchen sei zum Beispiel "einmal wie ein Zollstock gefaltet" worden.

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Zum Einsatz kamen nun vier Kilogramm gelatinöser Sprengstoff – eine Weiterentwicklung von Dynamit – und 35 Zünder. Lediglich ein starkes Gewitter oder Sturm hätte die Sprengung verhindern können. Der Aufprall wurde durch ein "Sandbett" gemildert. Der benachbarte Obi-Baumarkt wurde sicherheitshalber durch einen vier Meter hohen Erdwall geschützt, eine Evakuierung war allerdings nicht notwendig. Die mit einer sogenannten Kondensatorzündmaschine ausgelöste Sprengung erfolgte ausschließlich auf dem riesigen Werksgelände, das nicht betreten werden durfte. Der Gefahrenbereich betrug zwischen 80 und 200 Meter.

Dieser Schornstein wird am kommenden Dienstag in die Waagrechte gelegt. Foto: Etex

Dank des Ziegelmauerwerks sei die Staubentwicklung auch nicht so groß gewesen wie bei einem Betonbauwerk, so Neubert. Trotzdem waren Anwohner in unmittelbarer Nähe im Vorfeld gewarnt und gebeten worden, Fenster und Türen zu schließen sowie Lüftungs- und Klimaanlagen abzustellen.

Sprengingenieur Neubert zeigte sich nach der Sprengung zufrieden mit seinem Werk: "Es gab keinerlei Schäden und der Schornstein ist so gefallen, wie er sollte." Den rund 500 Tonnen schweren Trümmerhaufen beseitigt nun eine mit dem Rückbau auf dem Areal beauftragte Firma aus Stade bei Hamburg.

"Ein markantes Zeichen von Leimen ist verschwunden", schwang bei Etex-Sprecherin Miriam Petermann Wehmut mit. "Doch es wurde Platz geschaffen für Wachstum und Neues." Bekanntlich planen Leimen und Heidelberg auf einem Großteil des Areals ein interkommunales Gewerbegebiet (siehe "Hintergrund").

Der Schornstein stand etwas im Schatten des unweit entfernten und deutlich größeren Schlots des Zementwerks. Er war seit Mai 2021 außer Betrieb und diente zuvor der Wärmeversorgung für die Unternehmensgebäude. Zuletzt wurde mit Holzpellets geheizt. Im Zuge des Rückbaus wurde die Energieversorgung des Geländes im vergangenen Jahr und an den geringeren Bedarf angepasst. Nun gibt es zwei kleine Blockheizkraftwerke

Update: Dienstag, 18. Januar 2022, 14.27 Uhr


60 Meter hoher "Eternit"-Schornstein wird gesprengt

Leimen/Heidelberg. (cm) Es wird laut. Anwohner in unmittelbarer Nähe sollen Fenster und Türen schließen sowie Lüftungs- und Klimaanlagen abstellen: Auf dem Gelände der früheren Eternit GmbH – heute Etex Germany Exteriors GmbH – wird am kommenden Dienstag, 18. Januar, gegen 14 Uhr ein 60 Meter hoher und gemauerter Schornstein gesprengt. Dies teilten die Stadt Leimen und das Unternehmen am Donnerstag mit.

Der Schornstein befindet sich auf dem Werksgelände und steht etwas im Schatten des unweit entfernten und deutlich größeren Turms des Zementwerks. Die Sprengung erfolgt nach Unternehmensangaben "im Zuge der Rückbauarbeiten der ehemaligen Faserzement-Produktion". Der in den 1960er Jahren erbaute Schornstein ist seit Mai des vergangenen Jahres außer Betrieb. Er war Teil der Wärmeversorgung für die Unternehmensgebäude. "Nachdem die gesamte Energieversorgung des Geländes im letzten Jahr neu erstellt und durch moderne und an den Bedarf angepasste Technologien ersetzt wurde, wird der Schornstein nicht mehr benötigt", heißt es.

Unternehmenssprecherin Miriam Petermann sagte auf RNZ-Anfrage, dass keine umliegenden Gebäude evakuiert werden müssen. Die fachmännische Sprengung werde durch Sprengsignale angekündigt sowie beendet und erfolge ausschließlich auf Werksgelände, das nicht betreten werden dürfe. Ein "Sandbett" soll den Aufprall dämpfen.

Das Unternehmen stellte Produkte für Dächer, Fassaden und Terrassen aus Faserzement her. Am Standort an der Gemarkungsgrenze zwischen Leimen und Heidelberg liegt der Schwerpunkt inzwischen auf der Produktion von Farben.

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