Leimen

Den Hallen der Eternitwerke droht der Abriss

Leimener Eternitwerke gelten als "Ikone der Industriearchitektur". Ihr Erhalt ist dennoch fraglich.

17.12.2021 UPDATE: 18.12.2021 06:00 Uhr 3 Minuten, 42 Sekunden
Die Produktionshalle steht seit Januar unter Denkmalschutz und gilt als „einzigartiges Kulturdenkmal“. Das Bild ist im Jahre 2011 entstanden anlässlich einer Ausstellung des Fachgebiets „Geschichte und Theorie der Architektur“ an der Technischen Universität (TU) Darmstadt zu Leben und Werk Ernst Neuferts. Foto: Jürgen Schreiter, Darmstadt

Von Benjamin Miltner

Leimen. Lange waren sie in Vergessenheit geraten: die Eternitwerke an der Grenze von Leimen zur Nachbarstadt Heidelberg. Die in den 1950er Jahren errichteten Gebäude auf dem Werksgelände sind weitgehend ungenutzt, teils beschädigt und geben ein trauriges Bild ab. Obwohl ein Architekturprofessor die Hallen als "einzigartiges Kulturdenkmal der Industriegeschichte" beschreibt und diese seit Januar unter Denkmalschutz stehen, steht ihre Zukunft in den Sternen. Die RNZ gibt eine Übersicht.

Warum sind die Leimener Eternit-Werke ein Kulturdenkmal? Die Hallen wurden ab 1954 durch den Architekten Ernst Neufert (1900-1986) entworfen und gestaltet. Er gilt als Verfasser der Bauentwurfslehre und auch darüber hinaus als einflussreiche Größe der modernen Architekturgeschichte – und die Eternithallen laut Landesdenkmalamt (LAD) zu seinen bekanntesten Gebäuden. Sie zeichnen sich durch eine optische Leichtigkeit aus und die Beschränkung auf wenige charakteristische Baustoffe wie Stahl, Glas, Beton und Faserplatten, wie in einem Artikel der Landesdenkmalpflege in ihrem Nachrichtenblatt festgehalten ist. Der architektonische Gestaltungssatz "Form follows function" – Form folgt der Funktion – wird ebenso zur Schau gestellt wie die Verwendung des in der Fabrik hergestellten Baustoffes, der Wellplatte aus Faserzement, etwa in der markanten Sägezahn-Silhouette der Sheddachreihen. "Die Bauten sind eine gelungene Einheit von Form und Inhalt", lautet auch das Fazit von Barbara Ritter, Vorsitzende des Vereins Rhein-Neckar-Industriekultur. "Es ist Architektur aus einem Guss."

Welche Teile stehen unter Denkmalschutz? Geschützt ist laut LAD: die älteste große Produktionshalle im Süden des Areals. Sie wurde von 1954 bis 1957 in drei Bauabschnitten samt Rohstofflager, Büros und Kantine errichtet und 1960/61 um zwei Achsen erweitert. Auch das Werkstatt- und Sozialgebäude von 1958, das Pförtnerhaus von 1959 und die Fahrzeugunterstände von 1954 stehen unter Schutz.

Wann wurden die Werke in die Liste baden-württembergischer Kulturdenkmale aufgenommen? Das LAD hat "im August 2020 Recherchen zum Objekt angestellt und eine Denkmaleigenschaft für äußerst wahrscheinlich eingestuft". Durch "corona-bedingte Verzögerungen" habe die Behörde die Firma Eternit Anfang Dezember 2020 um einen Besichtigungstermin gebeten, der am 20. Januar stattgefunden habe. Dabei hat sich "die Denkmaleigenschaft im Fall der älteren Hallen bestätigt". Der Denkmalschutz sei den Eigentümern direkt nach Besichtigung und eine ausführliche Begründung der Denkmaleigenschaft wenig später auch schriftlich mitgeteilt worden.

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Was hat das Ganze mit dem interkommunalen Gewerbegebiet Heidelberg-Leimen zu tun? Seit Anfang des Jahres machen Leimen und Heidelberg gemeinsame Sache beim "Interkommunalen Gewerbe- und Industriegebiet Heidelberg-Leimen" und haben in einem gleichnamigen Zweckverband die Arbeit aufgenommen. Neben der Neuansiedlung und Erweiterung von Gewerbe auf dem 99 Hektar großen Areal soll der Verkehr beider Städte durch eine neue Querspange entlastet werden. Diese Trasse soll neben Autospuren auch Straßenbahn und Radwegeachse Platz bieten – und mitten durch das Firmengelände von Eternit verlaufen. Eine im Sommer 2020 erstmals präsentierte Machbarkeitsstudie für die Ost-West-Achse führte in Teilen auch durch die Fläche der heutige Eternit-Produktionshalle.

Wäre eine Erschließung also nur mit Abriss des geschützten Gebäudes möglich? "Die ursprüngliche Variante war ohne die Produktionshalle geplant", berichtet Horst Althoff von der Stadt Heidelberg, gleichzeitig einer der beiden Geschäftsführer des Zweckverbandes. So verlief die geplante Straße über das nordwestliche Eck des bestehenden Gebäudes. Zwischen Produktionshalle und dem Werkstatt- und Sozialgebäude sei aber genügend Platz, sodass die Trasse nach einer leichten Verschiebung gut zwischen den Gebäuden verlaufen könne.

Wie sind Zustand und Nutzung heute? "Die Gebäude stehen derzeit leer und werden nicht genutzt", teilte eine Unternehmenssprecherin der "Etex Germany Exteriors GmbH"– ehemals Eternit – mit. Über die angedachte künftige Nutzung der Hallen war auf Nachfrage nichts zu erfahren. "Die Gebäude befinden sich bis auf die große Halle in einem guten Zustand", heißt es vonseiten des LAD. Die Produktionshalle sei dagegen stark beeinträchtigt, fast die Hälfte aller Dachpaneele seien entfernt. "Es wurden die beidseitig an den Stützen verlaufenden Führungsschienen für die Kräne abgetrennt", so das LAD weiter. Die Einstufung als Denkmalschutz kam "gerade noch rechtzeitig, bevor die erste Abrissbirne zuschlug", schreibt Barbara Ritter von Rhein-Neckar-Industriekultur. "Die nachhaltige Beschädigung der Hallen war schon in vollem Gange", bestätigt Gernot Weckherlin. Der Architekturprofessor der Hochschule Anhalt in Dessau – er promovierte über die Bauentwurfslehre Ernst Neuferts – sieht die Leimener Eternitwerke als "eine Ikone der Industriearchitektur der Nachkriegsjahre." Das LAD betont derweil: "Die Erhaltungsfähigkeit der Halle steht jedoch nicht in Frage."

Verhindert der Denkmalschutz einen Abriss der Gebäude für anderweitige Nutzungen der Fläche? Nicht zwingend. Das LAD verweist auf das Denkmalschutzgesetz, das dem Eigentümer "eine Erhaltungspflicht im Rahmen des Zumutbaren" zuschreibt. Der Erhalt sei öffentliches Interesse, weshalb dahingehend alle Möglichkeiten auszuloten und auch Landeszuschüsse möglich seien. Die Etex GmbH scheint indes andere Absichten zu verfolgen und hat nach RNZ-Informationen einen Abbruchantrag für die denkmalgeschützten Hallen eingereicht. Von der dafür zuständigen Leimener Denkmalschutzbehörde hieß es dazu auf mehrfache Rückfrage nur: Zu laufenden Verfahren werden keine Auskünfte gegeben.

Warum sind die Eternithallen nicht früher in den Fokus gerückt? Dazu erklärt das LAD auf Nachfrage, dass Leimen und Heidelberg die Eternithallen "bei der systematischen Denkmalerfassung in den 1980er Jahren noch nicht als schützenswert" ansahen. In den letzten Jahren habe das LAD verstärkt Bauwerke der Nachkriegsmoderne in Hinblick auf ihren Denkmalwert untersucht und sei bei der Bestandsaufnahme auch auf Neuferts Werk und eben die Eternithallen im Industriegebiet Rohrbach-Süd gestoßen.

Wie geht es nun weiter? Zur beschriebenen Verkehrsverbindung sagt Althoff: "Wir wollen nächstes Jahr mit der eigentlichen Planung beginnen." Hierfür sind 150.000 Euro im beschlossenen Haushalt 2022 eingestellt. Was die geschützten Eternit-Gebäude angeht, gibt es aus Sicht der Denkmalpflege "vielfältige Nutzungsmöglichkeiten", wie das LAD betont. Die Behörde würde eine einst diskutierte Nutzung als Betriebshof oder Abstellanlage für die Rhein-Neckar-Verkehr GmbH begrüßen, "weil sie mit nur geringen Eingriffen in das Kulturdenkmal verbunden ist und den Erhalt der Anlage ermöglicht". Verbands-Geschäftsführer Althoff betont jedoch, dass solch eine Nutzung kein Thema mehr sei. Der Heidelberger Gemeinderat hatte bekanntlich einen Neubau des Straßenbahn-Betriebshofs in Bergheim mit zwei zusätzlichen Abstellflächen in Wieblingen und Rohrbach beschlossen.

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